Sind deshalb viele Projekte wie Artemis bei Audi verschoben?
Das müssen sie andere fragen. Wir jedenfalls können unsere geplanten Funktionen auch auf bestehenden Plattformen realisieren und so früh wie möglich in Fahrzeuge bringen. Dazu brauchen wir einen Sensorgürtel zur 360-Grad-Umfelderfassung, um die benötigten Daten zu generieren. Und wir brauchen leistungsfähige Steuergeräte, die dies verarbeiten können. Bei welchen Modellen das letztlich zum Einsatz kommt, spielt für uns eine untergeordnete Rolle.
Was kann das System dann?
Bis Jahresende wollen wir zum Beispiel noch ein System nach Level 2+ mit aktivem Spurwechsel auf der Autobahn herausbringen. Das Zielsystem für 2025/26 erlaubt dann ein Fahren ohne Hände am Lenkrad in einer sehr großen Vielfalt von Fahrsituationen. Und genau hier sehen wir dann einen Komfortsprung zu den bisherigen Systemen, bei denen der Fahrer in kurzen Abständen ans Steuer greifen muss.
Wie viele Mitarbeiter sind involviert?
Wir haben ein Team mit rund 1500 Mitarbeitenden, das paritätisch besetzt ist und an Standorten wie Stuttgart, Ingolstadt und Berlin arbeitet. Aber die Größe allein zählt nicht, denn es geht darum, die richtigen Kompetenzen am Start zu haben. Wir haben eine agile Aufstellung gewählt, überprüfen alle drei Monate, wo wir bei unseren gesteckten Zielen stehen. Und ich kann behaupten, da sind wir gut unterwegs.
Wer hat diese Strukturen implementiert?
Die Idee der Partnerschaft ist, dass wir etwa die Fähigkeit mitbringen, Automobil-Software zu entwickeln und die Werkzeuge hierfür bereitzustellen. Auch die KI-Kompetenz kommt von uns. Volkswagen verstärkt dies, steuert sein Fahrzeug-Knowhow bei und stellt eine riesige Flotte zum Sammeln von Daten zur Verfügung. So können wir die Algorithmen trainieren. Diese Fähigkeiten in Kombination haben im Moment nur wenige.
Aber manche Hersteller wie GM mit Super Cruise können Level 2+ schon, oder?
Es sind schon Wettbewerber da, die das auf ähnliche Weise machen. Unser Ziel in der Kooperation mit Volkswagen ist es, die Systeme besser zu machen, schneller in alle Fahrzeugklassen zu bringen und damit die Besten im Markt zu schlagen. Hier geht es auch um Reife und Verfügbarkeit der Funktionen. Aber auch noch um etwas Anderes.
Und das wäre?
Viele Tech-Player bieten heute zum Beispiel einen Rechenkern aus dem Bereich der Consumer Electronics an und verknüpfen dies fest mit der Basissoftware, der Middleware, den Funktionen, der Entwicklungsumgebung und dem Ökosystem, in dem Daten gesammelt werden. Unsere Industrie mag aber keine Einschluss-Effekte und längerfristige Abhängigkeiten. Unser Ziel bei Bosch ist es daher, diese Logik zu durchbrechen. Wir haben gelernt, wie sich die Funktionen von der Implementierung auf dem Chip trennen lassen. Unser Software-Stack läuft hardware-unabhängig auf Chips von beispielsweise Ambarella, Nvidia, Qualcomm oder TI. Wir denken das software-defined vehicle zu Ende.
Aber dann müssten doch alle bei Ihnen anklopfen, oder?
Wir stoßen heute schon auf großes Interesse, wollen aber zunächst die Basis schaffen, bevor wir in die weitere Kundenakquise gehen. Der Vertrag mit Volkswagen ist so ausgestaltet, dass wir unser gemeinsam entwickeltes System mit zeitlichem Abstand auch anderen Kunden anbieten können.
Welche Hersteller sind das?
Das ist für uns ein weltweites Thema. Wir erleben, dass es für viele Akteure nicht so einfach ist, Software-Kompetenzen in ihren Organisationen aufzubauen und in Fahrzeuge zu bringen. Fahrerassistenz ist für mich hier das Paradebeispiel. Sie braucht im Kern Künstliche Intelligenz und eine datengetriebene Entwicklung, dazu komplexe Rechnersysteme. Und hier können wir als Bosch unterstützen.
Wie weit sind diese automatisierten Funktionen ausbaubar?
Theoretisch wären alle Level möglich. Aber wir sehen, dass sich hier angesichts des erforderlichen Aufwands bei der Entwicklung Ernüchterung breit macht. Dennoch schaffen wir in der Partnerschaft mit Volkswagen eine hervorragende Grundlage, um perspektivisch auch höhere Stufen anzubieten. Mit der Fülle von Daten, die wir in der Partnerschaft bekommen, können wir viele Verkehrssituationen trainieren und kommen gut voran. Wir lernen dabei auch, wie fundamentale Herausforderungen etwa bei Level 4 zu lösen sein werden.
Was treibt eigentlich das software-defined vehicle?
Eine Herausforderung ist, die ausufernde Komplexität mit zu vielen Steuergeräten von verschiedenen Lieferanten, die sich kaum mehr integrieren lassen. Zudem sind neue Funktionen bisher an Hardware gekoppelt. Um diese zu integrieren, braucht es bisher also zum Beispiel ein Modell-Facelift, was im Schnitt nur alle drei Jahre kommt.
Etwas lange, oder?
In Zeiten, in denen wir uns an ständige Updates auf dem Smartphone gewöhnt haben, ist das nicht akzeptabel. Ein weiterer Treiber ist daher auch die Entwicklungsgeschwindigkeit. Statt in zwei Jahren, kann eine Funktion heute innerhalb von Tagen realisiert werden.
Was passiert da im Auto?
Ich muss im Fahrzeug eine Software-Schicht einziehen, um eine Abstraktion zwischen Hardware-Komponenten und Funktionen herzustellen. Daher die Idee der Autohersteller zu eigenen Betriebssystemen. Heute spielt auch beim PC der Rechenkern oft keine große Rolle mehr. Selbst das Betriebssystem ist untergeordnet, solange Applikationen wie Textverarbeitungsprogramme problemlos darauf laufen. Mit dieser Logik geht die Autoindustrie an das software-defined vehicle, aber es stellen sich natürlich auch Herausforderungen.
Welche sind das?
Mitunter hat ein Hersteller Basistechnik im Fahrzeug, die auf diese neuen Entwicklungen weder vorbereitet noch einfach zu integrieren ist.
Die hatte Tesla nicht, oder?
Neue Player hatten die Chance, dies auf der grünen Wiese mit wenigen Modellen zu machen und alles neu zu denken. Etablierte Hersteller dagegen müssen diesen Übergang in der vorhandenen Modellpalette schaffen. Daher nehmen wir eine gewisse Ernüchterung bei den Betriebssystemen wahr. Hier können wir als Bosch gute Lösungen anbieten, weil wir eine große Erfahrung haben und pro Jahr mehr als 250 Millionen Steuergeräte mit eigener Software ausliefern.
Für welche Bereiche werden die eingesetzt?
Neben der Fahrerassistenz sehen wir die Fahrzeugbewegung mit Brems- und Lenkfunktion als eine Fahrzeugdomäne. Daneben haben wir den Antrieb mit Verbrenner, Elektroantrieb oder Brennstoffzelle. Dazu kommen Komfortfunktionen und Infotainment. Wir können Hard- und Software in all diesen Bereichen zur Verfügung stellen. In die obersten Software-Schichten drängen auch Tech-Player wie Google und Apple. Diesen können wir zum Teil die Integration erleichtern. Funktionen von Apple Car Play werden beispielsweise nicht im Head-up-Display angezeigt. Wenn der Fahrzeughersteller das will und die Schnittstelle aufmacht, schaffen wir die Verbindung.
Wann ist das software-defined vehicle wirklich Realität mit allen Vorteilen und Funktionen?
Das wird in Wellen passieren. In der Fahrerassistenz rechnen wir etwa zur Mitte der Dekade damit, dass Fahrer die Hände vom Steuer werden nehmen können. Mit break-by-wire oder steer-by-wire können Teile vom Bremsen und Lenken zur Software-Funktion werden, was neue Möglichkeiten für die Steuerung der Fahrdynamik eröffnet. Wir sind der Meinung, dass wir als software-orientierter Tier-1-Zulieferer über unsere Kompetenzen in System und Komponenten, maßgeschneiderte Software-Lösungen auf allen Ebenen des software-defined vehicle anbieten. Damit können unsere Kunden schneller und effizienter moderne und attraktive Fahrzeuge entwickeln.
Sie erbringen hohe Vorleistungen, wann verdienen Sie Geld damit?
Mit vielen Software-Lösungen verdienen wir heute schon Geld. Am Ende muss sich dieses gesamte Geschäft für uns rechnen. Und wir sind optimistisch, dass dies so sein wird. Ich bin überzeugt, dass sich im Fahrzeug wie bei den PCs oder Smartphones am Ende nur wenige Betriebssysteme durchsetzen. Wir wollen dabei große Beiträge leisten und auch mit Partnern eine wichtige Rolle spielen.
Aus dem Datencenter:
Kennzahlen des Bosch-Konzerns 2022