Zwei völlig unterschiedliche Ursachen enden im selben, kostspieligen Debakel: Produktionsausfall, Schäden in Millionenhöhe. "Die Details der Einzelfälle sind im Grunde irrelevant, kritisch ist dagegen der mögliche Dominoeffekt", sagt Stefan Kemény von der Münchener Managementberatung Kemény Boehme & Company, die sich auf Lieferkettenmanagement zwischen Automobilherstellern und -zulieferern spezialisiert hat.
Liefer- und Wertschöpfungsketten in der Automobilindustrie seien heutzutage so eng verzahnt, ja geradezu verworren, dass das Management kontinuierlich schwieriger, teilweise unmöglich wird und deswegen extra Sicherungsmechanismen implementiert werden müssen. "In so einem Ökosystem können einzelne Unstimmigkeiten fatale Auswirkungen haben", sagt Kemény. Und das Risiko eines solchen Dominoeffekts steige, so Kemény.
Das hat eine Reihe von Gründen:
1. Vergangene Skandale (z. B. Prevent) könnten dazu führen, dass sich die Zulieferer ihrer teils existenziellen Bedeutung für die Automobilhersteller bewusster werden und sich diese in Zukunft häufiger in ähnlichen Konfliktsituationen wiederfinden. Sprich: Andere könnten ebenfalls auf die Idee kommen, einen Konflikt eskalieren zu lassen.
2. Die Lieferketten werden immer komplexer: Selbst ein vermeintliches Dual- oder sogar Multi-Sourcing kann sich bei näherer Betrachtung als Single-Sourcing entpuppen. Toyota hatte 2011 das Problem, dass eine ganze Reihe von Lieferanten aus der Region des havarierten Kernkraftwerks bei Fukushima angesiedelt waren. So war es zwar kein betriebliches, doch ein geographisches "Single-Sourcing", das Toyota traf. Oft sind sich die Konzerne solcher "Klumpenrisiken" gar nicht bewusst, weil sie mit dem Auslagern von Wertschöpfungsschritten auch die Transparenz über die Lieferbeziehungen einbüßen.
3. Die Produktkomplexität nimmt zu: Leichtbau, E-Mobilität und autonomes Fahren sind einige der Gründe. Immer öfter spielen neue, oft sehr junge digitale Dienstleister eine wichtige Rolle in der Lieferkette. Sie sind sich ihrer großen Verantwortung, die sie tragen, nicht bewusst. Kemény: "In neu eingebunden Branchen muss zunächst das Bewusstsein dafür wachsen, Teil eines zusammenhängenden Ökosystems zu sein."
Was hilft, um nicht Opfer des Dominoeffekts zu werden? Eine exakte Analyse. Das "Entwirren" der Lieferketten, das Entwerfen von Notfall-Szenarien. Im Zweifelsfalls sind die Kosten dafür nämlich weitaus geringer als für den Produktionsausfall.
Stefan Bratzel, Leiter des Center of Automotive Management (CAM) an der Fachhochschule Bergisch Gladbach, ist sich sicher, dass es trotz solch spektakulärer Fälle wie jüngst bei Bosch beim Singlesourcing der Fahrzeughersteller bleiben wird. "Denn am Ende bezahlt das der Endverbraucher nicht." Auch seiner Einschätzung nach sind die Lieferantenketten jedoch immer schwerer zu handhaben, weil die Zulieferer-Netzwerke hoch verschachtelt sind. "Die Unterlieferanten der Systemzulieferer ebenfalls im Griff zu haben, wird für die Fahrzeughersteller immer herausfordernder", so Bratzel. Der Leiter des CAM ist jedenfalls davon überzeugt, "dass das Risikomanagement absolut an Bedeutung gewinnen wird".
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