Was ist passiert?
Die Staatsanwaltschaft München II hat den Vorstandsvorsitzenden der Audi AG, Rupert Stadler, am morgen des 18. Juni 2018 vorläufig festnehmen lassen. „Der Beschuldigte wurde der Ermittlungsrichterin vorgeführt, die den Vollzug der Untersuchungshaft angeordnet hat“, teilte die Staatsanwaltschaft mit.
Warum ging das jetzt alles so plötzlich?
"Die Ermittler hatten offenbar Hinweise darauf, dass Stadler auf andere Verfahrensbeteiligte einwirken würde", schreibt das Handelsblatt und zitiert eine Sprecherin der Behörde mit den Worten: "Wir hatten die Sorge, dass dies unmittelbar bevorstand und mussten deshalb schnell handeln.“ Im Behörden-Deutsch wird dies als "Verdunkelungsgefahr" bezeichnet.
Ähnliches befürchteten die Behörden auch beim ehemaligen Porsche-Entwicklungsvorstand Wolfgang Hatz (siehe unten). Die Behörden gehen davon aus, dass Stadler Kontakt zu Zeugen sowie möglicherweise auch Mitschuldige aufnehmen wollte. Das galt es aus Behördensicht zu verhindern.
Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, hatte die Staatsanwaltschaft München II Stadlers Telefonate abgehört. "Das geschah vor und nach einer Razzia bei Stadler am vergangenen Montag, wie aus Kreisen von Verfahrensbeteiligten zu erfahren war", schreibt das Blatt. Aus diesen Telefonaten und/oder anderen sichergestellten Unterlagen hätte sich für die Ermittler der Verdacht der Vertuschung abgeleitet, so die SZ.
Wo verbringt Stadler die Untersuchungshaft?
Wo Stadler einsitzt, sagte der Staatsanwalt nicht. Eigentlich wäre bei Haftsachen der Münchner Justiz das Gefängnis in München-Stadelheim die erste Adresse. Aber in Stadelheim sitzt seit September bereits ein anderer Beschuldigter im Audi-Dieselskandal ein, der ehemalige Porsche-Vorstand Wolfgang Hatz. Und Beschuldigte im selben Verfahren sollen keinen Kontakt haben.
Wer führt Audi nun operativ weiter?
Wie aus Aufsichtsratskreisen verlautete, soll Audi-Vertriebsvorstand Bram Schot vorerst die operative Leitung des Konzerns übernehmen. (Lesen Sie dazu: Wer ist Bram Schot? Der Interimschef im Porträt)
Ob es sich dabei um eine langfristige Lösung handelt, ist noch unklar (siehe unten).
Was wirft die Staatsanwaltschaft dem Audi-Chef vor?
Stadler soll nach der Aufdeckung der Manipulationen in den USA von den falschen Abgaswerten auch in Europa gewusst haben, aber anders als in den USA keinen Vertriebsstopp angeordnet haben. Die Behörde legt Stadler "Betrug sowie mittelbare Falschbeurkundung zur Last".
Die Ermittler stützten sich auf die Auswertung von Korrespondenz, verlautete aus Ermittlerkreisen. Im März 2017 und im Februar 2018 hatte es in der Audi-Zentrale in Ingolstadt und im Werk Neckarsulm Razzien gegeben.
Was sagt Stadler selbst dazu?
Stadler hat am Montagvormittag vor der Ermittlungsrichterin noch keine Angaben zur Sache gemacht. Er will sich aber wohl äußern, nachdem er mit seinem Verteidiger gesprochen hat, sagte der Staatsanwalt. Der Verteidiger nehme jetzt Akteneinsicht und wolle am Dienstag mit Stadler darüber sprechen, so dass die Vernehmungen frühestens ab Mittwoch beginnen sollten.
Kurz nach Aufdeckung manipulierter Abgaswerte bei VW-Vierzylinder-Motoren im Herbst 2015 in den USA hatte er Manipulationen auch bei Sechszylinder-Dieselmotoren von Audi zugeben müssen. Eine persönliche Mitwisserschaft oder gar Beteiligung hat Stadler bis heute bestritten.
Ist Rupert Stadler als Audi-Chef noch zu halten?
VW-Konzern und Sprecher der Marke Audi betonen weiter: "Es gilt die Unschuldsvermutung". Dass die Staatsanwaltschaft die vorläufige Festnahme just an dem Tag angeordnet hat, an dem im Mutterhaus in Wolfsburg der Aufsichtsrat zusammenkommt, setzt das Kontrollgremium nun mächtig unter Druck. Aus dem Kontrollgremium heißt es aktuell nur: "Der Aufsichtsrat der Volkswagen AG wird sich in der heutigen Sitzung (...) mit den aktuellen Vorgängen befassen."
Ursprünglich war wohl geplant gewesen, dass Stadler am Nachmittag über die aktuellen Entwicklungen im Abgasskandal spricht. Das KBA hat einen Rückruf für die Modelle A6 und A7 mit Euro-6d-temp-Zertifizierung angeordnet. Beim A8 laufen die Untersuchungen noch. Besonders pikant: Hier geht es teils um die aktuellen Modelle, die erstvor wenigen Monaten auf den Markt gekommen sind.
Diess hatte erst kürzlich betont, er wolle, dass der Skandal bei Audi nun endlich restlos aufgeklärt werde. Diess steht auch dem Audi-Kontrollgremium vor.
Erst kürzlich hatte Diess seinem Kollegen Stadler im Zuge der Neuorganisation des Konzerns eine wichtige Aufgabe übertragen. Stadler leitet die so genannte Premiumgruppe mit der Marke Audi an der Spitze. Zudem ist Stadler konzernweit und markenübergreifend für das Thema Vertrieb zuständig.
Bisher hat Stadler stets die Rückendeckung der Familien Porsche und Piech genossen. "Es gilt aber auch, dass diese Zusage überprüft werden muss, wenn sich neue Fakten ergeben", sagte ein Insider der Automobilwoche.
In den kommenden Wochen soll die Nachfolge dann endgültig geregelt werden, zitiert das Handelsblatt aus dem Umfeld des Aufsichtsrates. Von Volkswagen gibt es noch keine offizielle Stellungnahme.
Welche VW-Manager sitzen noch in Haft?
Der ehemalige Porsche-Entwicklungsvorstands und Audi-Motoren-Chef Wolfgang Hatz sitzt seit September 2017 in Untersuchungshaft. Ebenfalls wegen Verdunkelungsgefahr. Seine Beschwerden gegen die U-Haft wurden abgelehnt.
In den USA verbüßt der ehemalige VW-Manager Oliver Schmidt seit Dezember 2017 eine siebenjährige Haftstrafe. Schmidt wurde wegen Verschwörung zum Betrug und Verstoßes gegen Umweltgesetze verurteilt. Er war zwischen Februar 2012 bis März 2015 in leitender Funktion für Umweltfragen in den USA zuständig. Ebenfalls in den USA ist auch der ehemalige Ingenieur James Liang inhaftiert. Er hat kürzlich einen Antrag auf Überführung nach Deutschland gestellt.
Gegen wen wird außerdem im Diesel-Skandal ermittelt?
Die Staatsanwaltschaft München II führt 20 Beschuldigte. Auch die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt. Allerdings handelt es sich um unterschiedliche Verfahren. So stehen unter anderem auch VW-Aufsichtsratschef und Ex-VW-Finanzvorstand Hans-Dieter Pötsch und der amtierende Konzernvorstandsvorsitzende Herbert Diess im Fokus. Sie müssen sich mit dem Verdacht der Marktmanipulation auseinandersetzen. Es geht darum, ob Volkswagen seinen Anleger zu spät über den Skandal informiert hat. Auch gegen Ex-VW-Chef Martin Winterkorn wird strafrechtlich von der Braunschweiger Behörde ermittelt. In Deutschland ermittelt die Staatsanwaltschaft Braunschweig gegen 49 mutmaßlich Beteiligte am VW-Abgasskandal.
Neben Stadler steht ein weiteres, amtierendes Vorstandsmitglied ebenfalls auf der Liste der Beschuldigten der Staatsanwaltschaft München II, denen Betrug und mittelbare Falschbeurkundung vorgeworfen wird. Dabei soll es sich verschiedenen Medienberichten zufolge um Beschaffungsvorstand Bernd Martens handeln. Diesen Schluss legt auch nahe, da im September 2017 nahezu der komplette Vorstand (Ressorts Personal, Vertrieb, Produktion, Finanzen und IT) ausgewechselt wurde und daher außer Martens kein anderer "amtierender" Vorstand in Frage kommt.
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