Nach der spektakulären Flucht von Carlos Ghosn aus Japan in den Libanon lebt der frühere Automanager nun seit einigen Wochen zusammen mit seiner Ehefrau Carole in Beirut.
Gegen beide liegt in Japan ein Haftbefehl vor. Carole Ghosn wird Meineid vorgeworfen: Sie soll japanische Ermittler belogen haben. Bei Carlos Ghosn, der bis zuletzt unter Hausarrest gestanden hatte, geht es neben seiner Flucht um Untreue und finanzielles Fehlverhalten in seiner früheren Rolle als Chef von Renault und Nissan. Ghosn bestreitet sämtliche Vorwürfe.
In einem Interview der Nachrichtenagentur Reuters mit dem Ehepaar greifen beide die japanische Justiz an – mit ausgesprochen scharfen Vorwürfen.
Sie sei fertig mit Japan, wird Carole Ghosn zitiert: "Was sie mir vorwerfen ist ein Witz." Es gehe den involvierten Personen auf Seiten der japanischen Justiz nur noch um Rache – "das hat mit dem Gesetz nichts zu tun."
Carlos Ghosn sagt, er habe 18 Jahre seines Lebens in Japan verbracht, das Vorgehen der Ermittler habe ihn also umso mehr überrascht: "Ich hätte niemals mit dieser Brutalität gerechnet, mit diesem Fehlen von Fairness, diesem Fehlen von Mitgefühl."
Der Plan, aus dem Land zu fliehen, sei unter strenger Geheimhaltung in einer kleinen Gruppe entwickelt worden – ohne das Wissen der Familie. Die Rede ist von einem "vertretbaren Preis". Details, wie er entkommen konnte, nennt er nicht.
Carole Ghosn gibt an, sie hätte ihrem Mann von der Flucht abgeraten, hätte sie von dem Plan gewusst. Stattdessen hätte sie ihn dazu ermutigt, zu kämpfen und seine Unschuld zu beweisen. Dann aber schränkt sie ein: "Ich bin froh, dass er es getan hat." In Japan hätte ihr Mann niemals einen fairen Prozess bekommen. "Ich war verzweifelt."
Weiter sagt Carlos Ghosn, er sei in Japan nach seiner Verhaftunggezielt von der Außenwelt isoliert worden. Er habe sehr selten mit seinen Anwälten und mit seiner Frau sprechen dürfen. Mit Carole habe er innerhalb von neun Monaten nur für zwei Stunden reden können.
"Sie wollten mich brechen", klagt der frühere Topmanager: "Sie wollten mich in eine Situation bringen, in der mein Leben miserabel ist."
Japans Justizminister Masako Mori nannte ähnliche Anschuldigungen, die Ghosn schon zuvor erhoben hatte, "absolut nicht hinnehmbar". Im Libanon droht den Ghosns keine Auslieferung nach Japan.
Bis auf Weiteres – vielleicht auch für immer – plant das Ehepaar, in Beirut zu bleiben. Eine Rückkehr nach Japan schließt Carole Ghosn in dem Interview dagegen kategorisch aus: "Niemals." (mer)
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