Die CES in Las Vegas ist noch gar nicht richtig eröffnet und hat schon ihren ersten Star. Denn zwei Tage vor dem Beginn der Messe hat das mit chinesischem Geld gegründete Start-Up Faraday Future jetzt vor über 1 000 Gästen in der Glücksspiel-Metropole sein erstes Serienauto präsentiert: Nicht weniger als "smarteste Auto der Welt", der "beste Computer auf Rädern" und natürlich das "leistungsstärkste Elektrofahrzeug aller Zeiten", soll der 5,25 Meter lange Silberfisch mit einem Design zwischen Mercedes F-015 und BMW i8 unter dem Produktcode FF91 sein und nicht nur direkten Konkurrenten wie Modell S und Modell X von Tesla die Schau stehlen, sondern etablierte Luxusliner von der Mercedes S-Klasse über den Bentley Bentayga bis zum Ferrari 488 gar vollends in die automobile Steinzeit verbannen.
Mit dem FF91 will Faraday Future die Autowelt auf den Kopf stellen
"Denn der FF91 ist nicht einfach eine weitere Luxuslimousine, kein neues Crossover, kein Sportwagen oder das nächste Elektroauto", sagt Entwicklungschef Nick Sampson, der an diesem Abend den Conférencier gibt. "Sondern wir bauen das erste Auto einer ganz neuen Art und machen alle anderen Fahrzeuge überflüssig." Wer einen Faraday kauft, hat endlich wieder Platz in der Garage, freut sich deshalb der chinesische Digital-Milliardär Jia Yueting, mit dessen Geld Faraday binnen nicht einmal fünf Jahren von einem Start-Up mit drei Dutzend Mitarbeitern zu einer 1400-Mann-Firma gewachsen ist, die vor den Toren von Las Vegas gerade eine riesige Fabrik aus dem Boden stampft.
Aber eigentlich ist Simpson selbst der Begriff Auto noch zu eng gefasst. Schließlich hat seine Firma eine Mission, die nach größerem verlangt. "Die Welt ist zu wertvoll, um sie den alten Autoherstellern und ihren Verbrennern zu überlassen", gibt er den Revoluzzer, der die PS-Branche gleichermaßen elektrifizieren wie digitalisieren will: "Wir stellen die Autowelt auf den Kopf und wagen den überfälligen Neuanfang."
So neu der FF91 mit seiner ultimativen Vernetzung, seinem eigenen Öko-System und seiner künstlichen Intelligenz auch sein will, verwenden seine Macher bei der Präsentation die meiste Zeit dann überraschender Weise doch auf alte Werte. Zwar sprechen sie lang und breit auch über die beste Internetverbindung auf Rädern, über die maximale Personalisierung, die perfekte Vernetzung mit allem und jedem und über das autonome Fahren, für das sie das mit zehn Kameras, zwölf Ultraschall-Sensoren, 13 Radar-Augen und dem wie einem Pilz aus der Motorhaube wachsenden Lidar-Sensor angeblich leistungsstärkste Sensor-Seit eingebaut haben.
Doch am Ende geht es vor allem um Leistung und Tempo und das mehrere hundert Meter lange Zelt wird plötzlich zum Drag-Strip. Denn um zu beweisen, wie schnell der FF91 tatsächlich ist, lassen sie ihn im Sprint gegen Bentley Bentayga, Ferrari 488 und Tesla Model X und S antreten – um in den Dunst von verbranntem Gummi eine Zahl zu rufen, die selbst gusseisernen Vollgas-Fetischisten das Benzin im Blut gefrieren lässt: 2,39 Sekunden – mehr braucht der Silberfisch nicht von 0 auf 100. Selbst der Formel-E-Rennwagen, mit dem sich Faraday auf seine Zukunft vorbereitet hat, ist ein paar Zehntel langsamer.
Erreicht wird das mit Motoren, die zusammen auf 1050 PS und ein Drehmoment kommen, das selbst Antriebschef Peter Savagian als "irrwitzig" bezeichnet. Denn 1500 Nm kennt man sonst nur von Lastwagen und Spitzensportlern vom Schlage eines Bugatti.
Damit dem FF91 dabei nicht der Saft ausgeht, fährt er mit einer Batterie, die - natürlich - die beste ist, den es bislang je gegeben hat, prahlt Savagian. Keine Zelle hat eine größere Energiedichte, in keinen Akku passen mehr Zellen und kein Auto hat eine größere Kapazität: Volle 130 kWh installiert Faraday Future mit Hilfe von LG Chem im Boden der erschreckend konventionellen Skateboard-Architektur. Das reicht laut den Entwicklern im Normzyklus für mehr als 700 Kilometer und nimmt auch dem letzten Zweifler die so genannte "range anxiety". "Sie werden nie wieder über die Reichweite nachdenken müssen." Und so, wie dem Infotainmentsystem die Betriebssysteme und Architekturen von Smartphones oder Tablets egal sind, mit denen es sich vernetzt, so lässt sich die Batterie an jeder Ladesäule füllen, versprechen die Ingenieure. "Im besten Fall mit einem Tempo von 500 Meilen pro Stunde", sagt Savagian und wirft einen weiteren Superlativ in den Saal. Denn mit 200 kW hat FF natürlich auch den schnellsten Lader aller Zeiten.
Zum spektakulären Antrieb, dem intelligenten Autopiloten mit führerlosem Valetparking, der maximalen Personalisierung für alle vier Insassen und dem allumfassenden Öko-System mit einer persönlichen ID wie in Apples iTunes-Store gibt es an dem Auto noch ein paar andere Gimmicks, die man so noch nicht oft gesehen hat: Die Felgen zum Beispiel öffnen und schließen sich je nach Fahrbetrieb, um wahlweise mehr Kühlluft herein zu lassen oder den cw-Wert zu drücken, die Rücklehnen lassen sich dank des großzügigen Innenraums weiter zurück fahren als etwa im Maybach, das Panorama-Dach sowie die Seiten- und Rückscheiben haben einen "Eclipse"-Modus und zaubern auf Knopfdruck die Dunkelheit einer Sonnenfinsternis, und weil der FF91 seine Insassen am Gesicht erkennt, ist er das erste Auto, das man tatsächlich ohne Schlüssel öffnen und starten kann.
Zwar hat das FF-Team an diesem Abend lange gesprochen und schon deutlich mehr verraten als beim skurrilen Debüt vor einem Jahr. Doch die vielleicht wichtigste Frage bleibt bislang unbeantwortet. Wie viel der ganze Zauber kosten soll und wie viele Autos in der neuen Fabrik gebaut werden sollen. Bislang ist deshalb nur von 5000 Dollar Anzahlung die Rede, die man ab März leisten kann, wenn man 2018 zu den Auserwählten gehören will, denen Faraday Future ab 2018 die auf 300 Fahrzeuge limitierte Erstauflage zuteilen möchte. Doch wenn man sich das Paket so anschaut und mit der Konkurrenz vergleicht, dürften die anderen Autos auf der Bühne den Rahmen abstecken und der FF91 für kaum weniger als 150.000 oder 200.000 Euro zu haben sein.
Bei der Premiere vor über 1000 Gästen im längsten Zelt der Welt strotzt die Farady-Mannschaft nur so vor Zuversicht und lebt den fast schon religiösen Optimismus der allermeisten Start-Ups. Und selbst die Panne beim autonomen Valet-Parken zum großen Finale, als der Prototyp ausgerechnet Geldgeber Jia Jueting mitten auf der Bühne den Dienst versagt, kann weder dem Management noch den Zuschauern die Laune verderben.
Mit keinem Wort geht die Führungsmannschaft auf die Probleme ein, die zuletzt wie Stolperfallen den Weg in die vermeintliche Zukunft des Autos erschwert haben. Dass viele teuer von den etablierten Herstellern abgeworbene Experten abgesprungen sind? Dass angeblich das Geld zwischenzeitlich zu knapp war, um die Arbeiter auf der Fabrik-Baustelle zu zahlen, dass vor ein paar Tagen der CEO von Bord gegangen ist.... all das ist an diesem Abend kein Thema.
Nur ganz zum Schuss platzt es aus Gastgeber Sampson dann doch noch heraus, als er stolz noch einmal auf seinen riesigen Silberling blickt: "Das hier ist nur der Anfang", ruft er und es klingt fast wie eine Drohung: "Wir haben es zwar nicht leicht gehabt und es uns auch nicht leicht gemacht. Aber wir werden es noch allen zeigen."
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