Herr Roselieb, was macht generell gutes Krisenmarketing aus?
Marketing und Krise sind zwei Begriffe, die nur schwer zusammenpassen. Wir würden eher von Krisennachbereitung oder vom Wiedergewinnen des Vertrauens sprechen. Notwendig sind im Kern drei Dinge: Erstens ein klares Mea Culpa. Das oft zu beobachtende Hin-und-Her-Schieben von Verantwortung hält das Thema nur unnötig lange in der Öffentlichkeit. Die Menschen möchten wissen, wie es weitergeht und nicht ewig im Gestern verharren. Zweitens eine nachhaltige Aufarbeitung. Hier kommt es darauf an, nicht nur die Krisensymptome zu kurieren - also im Fall von Volkswagen die Software auszutauschen, sondern die tatsächlichen Krisenursachen zu ermitteln. Erfolgte die mutmaßliche Manipulation, weil die nötige Technologie fehlte oder wollte man einfach nur Geld sparen? Und drittens ein erkennbarer Wandel. Werden glaubwürdige Dritte als konsequente "Aufarbeiter" und "Gesichter des Neuanfangs" präsentiert? Manchmal wird auch ein leicht modifiziertes neues Firmenlogo oder ein neuer Claim präsentiert, um den Neustart auch visuell deutlich zu machen.Wie beurteilen Sie die bisherige Krisen-Kommunikation des VW-Konzerns?Der Anfang war recht holperig. Insbesondere wirkte die Videobotschaft vom damaligen Vorstandschef Martin Winterkorn ziemlich amateurhaft. Die Szene war schlecht ausgeleuchtet, die Botschaft wirkte abgelesen, wenig emotional und nicht wirklich glaubwürdig. Wenige Tage später trat er zudem ab, so dass das eben noch präsentierte Gesicht des Krisenmanagements plötzlich verschwunden war. Auch die wenige Tage später, am Tag der Deutschen Einheit, bundesweit geschalteten Anzeigen wirkten etwas unbeholfen. Hier hat man vermutlich für die lange im Voraus gebuchten Anzeigenplätze noch schnell einen neuen Inhalt gesucht. Mittlerweile hat Volkswagen aber die richtigen Hebel gestellt. Beispielsweise wurde eine ehemalige Richterin als Compliance-Vorstand eingestellt und der branchenerfahrene ehemalige Porsche-Chef als neuer Konzernchef eingesetzt. Auch die interne Krisenkommunikation wurde nicht vergessen. So hat der Konzern eine innerbetriebliche Kronzeugenregelung realisiert, um gemeinsam mit den Mitarbeitern die Weichen für eine nachhaltige Trendwende zu stellen.Krisenmanager rät VW zu mehr Emotionen
"Mercedes und der Elchtest als Vorbild"
Frank Roselieb ist Direktor des Krisennavigator-Instituts für Krisenforschung, ein Spin-Off der Universität Kiel und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Krisenmanagement e.V. (DGfKM). Automobilwoche sprach mit ihm im Zusammenhang mit dem VW-Abgasskandal über Krisenbewältigung von Unternehmen.
Verspottete A-Klasse-Kunden gingen als Sieger vom Platz
Sie sagen, ein Unternehmen in der Krise müsse neben Fakten auch Emotionen in die Öffentlichkeit tragen können. Wie könnte das bei VW aussehen?
Ein Vorbild aus der gleichen Branche könnte beispielsweise Mercedes-Benz sein. Nachdem sich kurz vor der Markteinführung der neuen A-Klasse ein Fahrzeug bei einem Sicherheitstest in Schweden auf das Dach gelegt hat, ist der Konzern in der eigentlichen Aufarbeitung zweigleisig gefahren und hat geschickt Fakten und Emotionen kombiniert. Zum einen wurde in ganzseitigen, textlastigen Anzeigen ausführlich erklärt, warum die A-Klasse nun wieder sicher ist. Parallel hat man auch in Fernsehwerbespots stolz das Bestehen des Elchtests präsentiert - und damit den Kopf der Kunden erreicht. Zum anderen wurde - für das gute Gefühl im Bauch - Boris Becker angeheuert. Mit einem Augenzwinkern hat dieser in Anzeigen erklärt: "Aus meinen Rückschlägen habe ich oft mehr gelernt als aus meinen Erfolgen." Und schließlich hat der Konzern als besonderen Bonbon den A-Klasse-Kunden noch kurzerhand das Elektronische Stabilitätsprogramm (ESP) spendiert, das bis dahin nur der wesentlich teureren S-Klasse vorbehalten war. So konnten die zunächst verspotteten A-Klasse-Kunden schließlich doch noch als Sieger vom Platz gehen. Auch Eitelkeiten wurden also gekonnt befriedigt.Welche Rolle spielt Social Media bei der Krisenbewältigung?Autos sind so genannte "High Involvement"-Produkte. Da der Autokauf in relativ großen Abständen erfolgt und die Kunden vergleichsweise viel Geld ausgeben, informieren sie sich vor dem Kauf recht intensiv über die verschiedenen Modelle. Hierbei fragen sie Freunde, recherchieren Erfahrungsberichte im Internet und prüfen dort verschiedene Angebote. Aus dieser Perspektive ist ein positives Grundrauschen für die Produkte bei Facebook, Twitter & Co. natürlich durchaus förderlich. Gleichwohl sollte man die Bedeutung von Social Media in Krisenzeiten nicht überschätzen. Zum einen sind Autos weiterhin Erfahrungsprodukte der realen Welt, die man anfassen und Probe fahren möchte. Anders als bei virtuellen Produkten - wie Bankkonten oder Handyverträge - zählt das persönliche Erleben deutlich mehr als das Gerücht im Netz. Zum anderen habe ich in meinen rund zwanzig Berufsjahren existenzvernichtende "Shitstorms" noch nicht über meinen Schreibtisch fegen sehen. Diese entpuppten sich im Nachhinein oft eher als Erfindung findiger PR-Berater. Auch die betriebswirtschaftlichen Konsequenzen bleiben so gut wie immer aus: Die gefühlte Aufregung im Netz war meist schnell verflogen und ein erkennbarer Einfluss auf das tatsächliche Kaufverhalten nicht nachweisbar. Als Begleitmusik haben Soziale Medien in der Krisenbewältigung der Automobilwirtschaft also durchaus ihren Sinn. Für die Vertrauensbildung sind aber der wohlwollende Bericht in der Tagesschau oder die persönliche Empfehlung eines guten Freundes kaum zu toppen.Mea-Culpa-Anzeige kam zu früh
VW versuchte unter anderem mit der Anzeigenkampagne „Eigentlich sollte hier unser Glückwunsch zum 25. Jahrestag der Wiedervereinigung stehen“ das Vertrauen der Kunden zurückzugewinnen. Eine gelungene Aktion?
Eher nicht. Natürlich sollte man hier die Rahmenbedingungen im Blick behalten: Die Anzeigenplätze waren vermutlich wegen des Jahrestags der Wiedervereinigung frühzeitig gebucht. Aus dieser Perspektive war es natürlich richtig, nicht irgendeine Anzeige zu schalten, sondern den Abgasskandal zu thematisieren. Gleichwohl weiß man zu diesem frühen Zeitpunkt noch nicht wirklich viel über die Hintergründe des aktuellen Krisenfalls und kann auch noch keine konkreten Lösungsvorschläge anbieten. Im Ergebnis wäre es für VW also besser gewesen, man hätte die Anzeige nicht zu diesem frühen Zeitpunkt geschaltet. Solche Mea-Culpa-Anzeigen erscheinen für gewöhnlich erst zwei bis drei Monate nach dem Vorfall. Auch war die Anzeige sehr unpersönlich gehalten. Weder der Vorstand noch der Aufsichtsrat haben unterschrieben. Dem Kunden wird also kein Gesicht gezeigt oder Name genannt, das bzw. der für die Krisenbewältigung verantwortlich ist. Im Kern hätte man damit bis zur Berufung des ehemaligen Porsche-Chefs warten sollen. Und schließlich ist der letzte Satz der Anzeige problematisch: "Wir werden alles tun, um euer Vertrauen zurückzugewinnen." Duzen kennt man eigentlich nur von IKEA. Außerdem kann man Vertrauen nicht einfordern. Man kann es nur durch einen guten Umgang und durch eine gute Kommunikation langfristig erreichen. Vertrauen ist nicht das Ziel, sondern der Weg. Es geht nicht um ein vertrauensvolles Auto, sondern um eine vertrauensvolle Zusammenarbeit.Später kam dann die Kampagne „Transparenter. Offener. Sorgfältiger“ hinzu. Ihre Meinung dazu?Das war leider ein weiterer Tiefpunkt in der Krisenkommunikation. Optisch wirkte das Ganze wie der eilig geschriebene Sprechzettel eines Konzernvorstands für ein Ad-hoc-Statement im Rahmen einer Pressekonferenz unmittelbar nach der Krisenentdeckung. Keine Bilder, kein Name, keine Fakten. Selbst nach dem Aufruf der dort genannten Internetseite "volkswagen.de/info", hat man eher das Gefühl im Pressebereich des Unternehmens gelandet zu sein als bei einem hart arbeitenden Krisenstab, der auf Transparenz setzt. Das haben andere Unternehmen deutlich besser gemacht. Als beispielsweise in der Hochphase der BSE-MKS-Krise der fleischverarbeitenden Industrie "Intransparenz" und "dunkle Machenschaften" vorgeworfen wurden, hat ein bayerischer Fleischereibetrieb kurzerhand seine Produktion symbolisch mit Webcams ausgerüstet und das Ganze unter wurst.tv ins Internet gestellt. Das war ganz großes Kino, ein genialer Werbe-Coup und hat dem Unternehmen unglaublich viel Sympathie gebracht. Wenn man nicht wirklich etwas sagen kann, aber trotzdem kommunizieren will, muss man eben Bilder sprechen lassen. Ähnlich hätte Volkswagen beispielsweise in der Anzeige ein Foto aus Wolfsburg präsentieren können, auf dem spät nachts noch in der Konzernzentrale alle Lichter in den Büros leuchten - mit der Botschaft: "Der Käfer des Wirtschaftswunders hat uns auch viele Überstunden gekostet. Jetzt arbeiten wir an einem ganz neuen Volkswagen".Toyota könnte Paradebeispiel sein
Können Sie Automobilunternehmen nennen, die mit ihren Krisen geschickter umgegangen sind als VW?
Ein Paradebeispiel - ebenfalls mit anfänglichen Startschwierigkeiten - ist Toyota. Jahrzehntelang war das Unternehmen für besonders zuverlässige und innovative Fahrzeuge bekannt. Doch 2009 und 2010 bekam der japanische Konzern verschiedene Probleme u.a. mit dem Gaspedal erst nach mehreren Anläufen und diversen Rückrufen in den Griff. In der Öffentlichkeit entstand der Eindruck von technisch unzuverlässigen Produkten und wenig kompetenten Mitarbeitern. In seiner Krisennachbereitung hat das Unternehmen dann die Kampagne "MyToyota" ins Leben gerufen - und einen viralen Coup gelandet. Echte Toyota-Mitarbeiter haben in kurzen Web-TV-Spots an ihrem Arbeitsplatz erklärt, warum sie weiter zu dem Unternehmen stehen und stets das Beste für die Kunden erreichen wollen. Da die Spots in der jeweiligen Mundart der Protagonisten aufgenommen wurden - also beispielsweise in schwäbisch oder sächsisch, haben sich diese rasend schnell im Netz verbreitet und vermutlich weitaus mehr Sympathien für das Unternehmen zurückgeholt als eine ganze Batterie von Mea-Culpa-Anzeigen.Wie lange dauert es für gewöhnlich, bis ein Unternehmen vom Krisenmarketing wieder zum normalen Marketing wechseln kann?In vergleichbaren Fällen haben die Unternehmen meistens nach sechs bis zehn Monaten wieder ruhigeres Fahrwasser erreicht. Ob das bei Volkwagen auch in dieser Zeitspanne klappt, hängt entscheidend von der Geschwindigkeit der operativen Krisenbewältigung ab. Viel wichtiger als jede Krisen-"Kommunikation" ist nämlich ein zügiges Krisen-"management". Mit anderen Worten: Wer das Problem löst, braucht nicht länger über die Krise zu reden. Auch bei Volkswagen sind im Endeffekt die Ingenieure wesentlich wichtiger als die PR-Berater oder Marketing-Fachleute. Leidvoll erfahren musste dies BP nach der Havarie der Bohrplattform "Deepwater Horizon" im Golf von Mexiko. Dort hat man zügig eine sehr umfangreiche Krisenkommunikation auf allen Kanälen gestartet. Doch als nach vielen Wochen eine technische Lösung zum Schließen des Bohrlochs immer noch nicht in Sicht war, hat auch die Krisenkommunikation ihre Glaubwürdigkeit verloren. Ein wirkliches "Business as usual" oder "Back to normal" stellt sich in einem Krisenunternehmen allerdings nur sehr selten ein. Meist bleibt irgendetwas zurück. Beim "Elchtest" denkt man sofort an Mercedes-Benz und bei "Brent Spar" an die Shell. Das ist auch gut so, denn überspitzt formuliert sind durchlebte Krisenfälle immer auch eine Mahnung an nachfolgende Führungskräfte, die gleichen Fehler nicht noch einmal zu machen.Vor weiteren Werbemaßnahmen müssen die Probleme behoben werden
VW will laut Medienberichten seinen Marketing-Etat kürzen. Hielten Sie das für eine gute Entscheidung?
Im Kern ja. Solange die technischen Probleme nicht behoben sind, macht eine weitere Werbung für die Produkte ebenso wenig Sinn wie allgemeine Imagewerbung für das Unternehmen. Zudem haben Krisenfälle auch immer den Nebeneffekt, dass die Unternehmen und ihre betroffenen Produkte unfreiwillig stark im Fokus der Öffentlichkeit stehen - auch ganz ohne eigene Werbung. Diese durchaus positive Erfahrung hat auch Mercedes Benz bei der späteren Markteinführung der nachgebesserten A-Klasse gemacht. Hier fiel der Etat für den Relaunch vergleichsweise niedrig aus und Elch-Stofftiere begleiteten den Marktstart mit dem nötigen Augenzwinkern.Welche konkreten Ratschläge würden Sie VW in Sachen weiterer Krisenkommunikation mit auf den Weg geben?Wenn die technischen Probleme überwunden sind, ist eine zügige Themenverlagerung zu empfehlen. Lange die alten Wunden lecken und noch in vielen Monaten über das Ablegen der alten Unternehmenskultur zu philosophieren, bringt nichts. Auch die Kunden möchten wissen, wie es weiter geht und nicht ewig an die schlechten Tage erinnert werden. Volkswagen müsste sich also zügig neue Themen suchen. Beispielsweise könnte sich das Unternehmen an die Spitze der bisher eher stiefmütterlich behandelten Elektromobilität setzen und den Dieselgate damit schrittweise aus der Wahrnehmung drängen.Welche Lehren können Unternehmen, ob Großkonzern oder Kleinbetrieb, aus dem VW-Skandal ziehen?Wichtig ist vor allem ein solides Reputationspolster, welches tunlichst vor der Krise erworben werden sollte. Hier hat Volkswagen in der Vergangenheit gute Arbeit geleistet. Seit Jahrzehnten ist das Unternehmen für solide, zuverlässige Autos bekannt und war immer wieder prägend für ganze Generationen - vom Käfer der Großeltern in der Zeit des Wirtschaftswunders über den VW-Bus der Hippie-Eltern in den späten 1960er-Jahren bis zur Generation "Golf" der Kinder. Ein Familienmitglied setzt man nicht einfach vor die Tür, nur weil es einmal im fernen Amerika beim Tricksen erwischt wurde. Eine solche Erfolgsgeschichte hilft in einer akuten Krisenphase mehr als jeder Krisen-PR-Berater. Außerdem sorgen Krisen oft auch für ein reinigendes Gewitter im Unternehmen. In der Rückschau geben sie wichtige Impulse für die Optimierung der Betriebsabläufe und stellen das Unternehmen damit insgesamt zukunftsfester auf. Diesen Ball muss VW nun aufnehmen und seine aktuelle Unternehmensstruktur kritisch hinterfragen. Dann dürfte das Unternehmen den Skandal - von den finanziellen Folgen abgesehen - im Kern weitgehend unbeschadet überstehen.