Stuttgart. Im Wettlauf um das autonome Fahren hat Mercedes mit einem aufgerüsteten Serienfahrzeug eine erstaunliche Langstreckensteckenfahrt geschafft und beansprucht nun die Führungsposition. "Wir wollen die ersten sein, die autonome Funktionen in Serienfahrzeugen auf den Markt bringen. Das wollen wir innerhalb dieser Dekade schaffen", so Daimler-Forschungs- und Entwicklungsvorstand Thomas Weber. Mercedes fuhr mit einer weiterentwickelten S-Klasse mehrfach 104 Kilometer von Mannheim nach Pforzheim auf exakt der Strecke, die Bertha Benz vor 125 Jahren bei der ersten automobilen Fernfahrt mit dem Benz-Patent-Motorwagen bewältigte - und das ohne den Eingriff eines Fahrers. Im Überland- und Stadtverkehr meisterte das Fahrzeug mit seriennaher Technik schwierigste Situationen wie Kreisverkehre, Engstellen in Ortsdurchfahrten, Abbiegemanöver, in zweiter Reihe parkende Fahrzeuge und Straßenbahnen. Selbst der US-IT-Konzern Google - einer der Pioniere beim autonomen Fahren - hat solche Hürden bislang noch nicht genommen.
Das Forschungsfahrzeug Mercedes-Benz S 500 Intelligent Drive wurde für das Projekt mit seriennaher Sensorik ausgestattet: Die Stereokamera des Serienmodells erhielt einen größeren "Augenabstand". Außerdem wurden drei zusätzliche Fernbereichsradare eingebaut, die nach links, rechts und nach hinten blicken. Dazu kommen vier Nahbereichsradare. Zur Beobachtung der Ampeln dient eine Farbkamera. Weiterhin ist eine Kamera nach hinten durch die Heckscheibe gerichtet. Sie identifiziert bestimmte Merkmale der Umgebung und kann das Fahrzeug so lokalisieren. Voraussetzung dafür ist, dass diese Umgebungsmerkmale zuvor in einer digitalen Karte erfasst wurden. Dafür hat Mercedes zusammen mit dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und dem Nokia-Kartendienst Here eine dreidimensionale digitale Karte der Strecke erstellt.Außerdem mussten die Mercedes-Ingenieure dem Fahrzeug anerziehen, wie es in bestimmten Situationen zu reagieren hat. Daraus entstand ein Strecken-Pilot, der dem Fahrzeug den Weg durch Stadt- und Überlandverkehr bahnt. Der Strecken-Pilot funktioniert auf jeder beliebigen Route, für die eine digitale Karte vorliegt. "Wir waren fast selbst erstaunt, wie weit wir mit unserer heutigen Sensortechnik schon kommen, aber wir wissen jetzt auch, wie viel Zeit und Mühe es kostet, dem Fahrzeug das richtige Verhalten in einer Vielzahl von Verkehrssituationen beizubringen – denn jede Fahrt auf der Strecke war anders", so Weber weiter. Diese Erfahrungen finden jetzt Eingang in die Planung künftiger Fahrzeuggenerationen, die mit diesen innovativen, weiterentwickelten Funktionen ausgestattet werden sollen."Selbständiges Fahren
Mercedes fährt autonom über Land
Mercedes hat mit einem aufgerüsteten Serienfahrzeug ohne Eingriff des Fahrers die historische Strecke von Mannheim nach Pforzheim bewältigt. Nun wollen die Stuttgarter die ersten sein, die das autonome Fahren in Serie bringen.
Rechtliche Hürden
Überwacht wurde die autonom fahrende S-Klasse im Rahmen der Erprobung dabei von speziell geschulten Sicherheitsfahrern, die im Fall einer Fehlentscheidung des Systems sofort eingreifen und die Fahrzeugführung übernehmen konnten.
Bis das Ziel des hoch- und vollautonomen Fahrens erreicht ist, müssen nicht nur technische Entwicklungshürden genommen werden. Voraussetzung ist auch eine Gesetzesänderung: So gestattet die internationale UN/ECE-Regelung R 79 (Lenkanlagen) nur korrigierende Lenkeingriffe, aber kein automatisches Lenken bei Geschwindigkeiten über 10 km/h. Die für das EU-Recht relevante Wiener Straßenverkehrskonvention schreibt vor, dass der Fahrer sein Fahrzeug dauerhaft kontrollieren muss und jederzeit eingreifen kann. In einigen US-Bundesstaaten wie Nevada ist eine gesetzliche Präzisierung zum autonomen Fahren zumindest für den Testbetrieb bereits erfolgt."Mit den erfolgreichen Versuchsfahrten auf den Spuren von Bertha Benz haben wir den Beweis erbracht, dass hochautomatisiertes Fahren auch jenseits von abgesperrten Strecken oder vergleichsweise übersichtlichen Situationen möglich ist, so Weber. "Wir haben – und das war für uns das Ziel des Projekts – wesentliche Erkenntnisse gewonnen, in welche Richtung wir unsere heutigen Systeme weiterentwickeln müssen, um auch abseits der Autobahn autonom fahren zu können."
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