In einem zweiseitigen Schreiben kritisiert der ehemalige Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP), Dieter Köhler, die Studien, auf denen die aktuellen Grenzwerte für die Luftschadstoffe Feinstaub und NOx basieren und auf deren Basis eine hohe Zahl an zusätzlichen oder frühzeitigen Sterbefällen errechnet wird. In der Folge sieht er "derzeit keine wissenschaftliche Begründung für die aktuellen Grenzwerte für Feinstaub und NOx", und fordert, sie auszusetzen. Das würde die aktuell umgesetzten und anstehenden Fahrverbote infrage stellen.
"Es ist sehr wahrscheinlich, dass die wissenschaftlichen Daten, die zu diesen scheinbar hohen Todeszahlen führen, einen systematischen Fehler enthalten", schreibt Köhler. "Eine genauere Analyse der Daten zeigt, dass diese extrem einseitig interpretiert wurden, immer mit der Zielvorstellung, dass Feinstaub und NOx schädlich sein müssen. Andere Interpretationen der Daten sind aber möglich, wenn nicht viel wahrscheinlicher." Die Stellungnahme wurde inzwischen von 112 Lungenärzten oder mit dem Thema befassten Forschern unterzeichnet und nun von der DGP, dem Verband der pneumologischen Kliniken (VPK) und der Deutsche Lungenstiftung veröffentlicht.
Die Verbände machen sich die Kritik damit nicht zu eigen, betrachten die Veröffentlichung der Stellungnahme aber "als Anstoß für notwendige Forschungsaktivitäten und eine kritische Überprüfung der Auswirkungen von Stickoxiden und Feinstaub". Zudem konstatieren sie, dass die "Gruppe der Forscher und Lungenärzte, die der aktuell vorherrschenden Position widersprechen, deutlich größer ist als angenommen".
Eine eigene Stellungnahme zur Debatte hatte die DGP bereits im Dezember veröffentlicht. Darin heißt es: "Studien zeigen, dass die Feinstaub-Belastung durch Landwirtschaft, Industrie und Verkehr gesundheitsschädlich ist." Zudem fordert die DGP darin unter anderem "eine weitere deutliche Reduktion der Luftschadstoffbelastung" und eine Absenkung der gesetzlichen Grenzwerte. Dazu müsse in Deutschland eine "Kultur zur Schadstoffvermeidung" auf allen Ebenen entwickelt werden. Allerdings fordert die DGP darin auch weitere Forschungsaktivitäten zur Schließung von Wissenslücken.
Experten haben berechnet, dass Tausende Menschen vorzeitig an Folgen von Luftverschmutzung sterben - laut Umweltbundesamt im Jahr 2014 etwa 6000 an Herz-Kreislauf-Krankheiten, die auf die Langzeitbelastung mit Stickstoffdioxid zurückzuführen seien. Nach Angaben der Europäischen Umweltagentur EEA aus dem Jahr 2017 gibt es in Deutschland zudem rund 66 000 vorzeitige Todesfälle pro Jahr durch die Folgen von Feinstaub in der Luft. Solche Ergebnisse beruhen in der Regel aber auf statistischen Analysen - sie sagen wenig aus über gesundheitliche Ursache-Wirkungs-Beziehungen für einzelne Menschen. (Mit Material von dpa)
Die zweiseitige Stellungnahme der Kritiker finden sie hier, das 51-seitige Positionspapier der DGP hier.
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