"Herr Zetsche hat seine Lektion bereits gelernt"

In der Autoindustrie startet gerade eine kleine Revolution – und kaum jemand scheint das zu bemerken. Zumindest wurde wenig darüber berichtet. Der Anlass: Allianz, Deutsche Bank, Postbank, Axel Springer, Daimler, Here und andere Unternehmen kündigten eine gemeinsame Plattform für „digitale Identitäten“ an.

Digitale Identitäten? Was etwas technokratisch daher kommt, ist tatsächlich ein großangelegter Angriff auf die Internetkonzerne des Sillicon Valley. Und einer, der die Spielregeln verändern kann. Die Automobilindustrie ist davon viel direkter betroffen, als es das Teilnehmerfeld vermuten lässt.

Daimler hat als einziger Autobauer verstanden, dass er als Teil dieser Allianz seine Zukunftsfähigkeit gegen Angriffe von außen absichert – und das ganz offenkundig entlang einer klaren Strategie, die zudem beeindruckend schnell umgesetzt wird. Dabei schreckt er auch nicht davor zurück, den Schulterschluss mit heimischen Wettbewerbern oder Partnern außerhalb der eigenen Industrie zu suchen. Das Revolutionäre dabei: im Internetzeitalter sind klassische Branchen- und Wettbewerbsgrenzen aufgehoben – diese Lektion hat Daimler-Chef Dieter Zetsche bereits gelernt.

Zunächst die Prämisse: Im vernetzten, selbstfahrenden Auto der Zukunft fahren die Benutzer nicht nur, sondern nutzen außerdem noch digitale Dienste und bezahlen diese auch. Damit sie dies überhaupt tun können, brauchen sie eine digitale Identität – und zwar eine, die sie möglichst bequem und sicher anlegen, verwalten und immer wieder einsetzen können.

Das ist der Schlüssel zur digitalen Welt. Wer diesen bereitstellt, kann Nutzerströme steuern, Daten über Kunden und Nutzerpräferenzen erheben, Buchungen einsehen und Abrechnungs- sowie Bezahlverläufe übernehmen – und an jedem dieser Vorgänge Geld verdienen. Wichtiger noch: Der „Identitätsgeber“ besetzt auch die Kundenschnittstelle.

Bei Daimler ist man offenkundig fest entschlossen, sich nicht vom direkten Kundenzugang verdrängen zu lassen. Doch das kann nur gelingen, wenn das Unternehmen die Plattform-Betreiber entmachtet, die das Geschäft mit digitalen Identitäten heute dominieren.

Tatsächlich ist das sich rasant entwickelnde Geschäft mit digitalen Zugangsdaten fest in der Hand der Social-Media-Konzerne aus dem Silicon Valley. Mit deren „Social Login“ genannten Diensten können Nutzer sich per Social-Network-Konto bei Dritt-Websites, -Diensten und sogar Apps identifizieren.

Der Mehrwert davon ist offenkundig: Nutzer sparen sich lästige Registrierungs-Abläufe. Betreiber digitaler Dienste erleichtern den Zutritt für Milliarden potentieller Kunden. Und sie erhalten zusätzliche Daten über sie, was hilft, das Angebot besser auf die Bedürfnisse der Nutzer zuzuschneiden. Die Social-Media-Riesen können ihre Kunden auch weit außerhalb der eigenen Sites und Dienste durchs Netz verfolgen – und die dabei gewonnenen Daten und Erkenntnisse verwerten.

Die Bedeutung der Social Logins nimmt daher stetig zu: Facebooks Dienst, mit rund 64 Prozent der klare Marktführer im „Social Login“ vor Google und Twitter, bedient beispielsweise weltweit bereits 14,4 Millionen Webseiten. Und einem Sprung ins Geschäft mit Mobilitäts- und Auto-nahen Diensten stand zumindest bisher nichts im Wege – schließlich hatte die Autoindustrie keine vergleichbaren Verwaltungslösungen anzubieten. Doch genau das ändert das deutsche Vorhaben, an dem auch Daimler beteiligt ist.

Die Identitätsplattform passt perfekt in die Strategie der Stuttgarter. Daimlers Einstieg ins Geschäft mit digitalen Identitäten ist nämlich nur einer von mehreren Schachzügen zur Sicherung der eigenen Einflusssphäre. Zuvor hatte das Unternehmen sich schon im Geschäft mit Ortsinformationen in Stellung gebracht und gemeinsam mit Audi und BMW den Kartendienst Here übernommen.

Wenig später kam dann die Übernahme des europäischen Bezahldienst PayCash Europe – mit dem könnten die Stuttgarter digitale Bezahldienste aufbauen, ohne von Kreditkartenunternehmen abhängig zu sein. Mit einer eigenen Identitätsverwaltung wird die ganze Sache schließlich rund: Daimler hat für fast alle Abschnitte des Digitalen-Dienste-Lebenszyklus eigene Technologien zur Verfügung und verfolgt den stringenten Weg: Was immer dem Kundenzugang hilft, wird gemacht.