Experten warnen vor "doppelter" digitaler Kluft

Industrie 4.0 bietet viele Chancen. Doch damit möglichst viele Berufstätige und Unternehmen davon profitieren könnten, sei eine „nationale Bildungsoffensive Industrie 4.0“ erforderlich, mahnt die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (acatech). Andernfalls drohten sich Gräben zu vertiefen: Während hoch qualifizierte Arbeitskräfte begehrt sind, seien ungelernte und niedrig qualifizierte Tätigkeiten gefährdet.

Zugleich blieben viele kleinere und mittlere Unternehmen hinter den großen zurück. In einem Gemeinschaftsprojekt haben acatech, das Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik und die Firma equeo einen Weiterbildungsleitfaden für Unternehmen, Politik und Bildungsanbieter entwickelt.

„Wir wollen kleine und mittelständische Unternehmen sensibilisieren. Sie sollten sich nicht nur auf die Industrie 4.0 einstellen, sondern ihre Belegschaften auf allen Unternehmensebenen weiterbilden. Dafür geben wir ihnen eine Checkliste und eine Umsetzungs-Roadmap an die Hand“, sagt Projektleiter Michael ten Hompel vom Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik.

Dabei können die Unternehmen davon profitieren, dass der digitale Wandel die Weiterbildung erleichtert. „Eine erfolgreiche Qualifizierung lässt sich nicht allein über traditionelle Aus- und Weiterbildungsformate wie beispielsweise Präsenzveranstaltungen erreichen, sondern sollte durch neue, digitale Formate ergänzt werden“, sagte Reiner Anderl von der TU Darmstadt, der den Wissenschaftlichen Beirat der Plattform Industrie 4.0 leitet.

Die Möglichkeiten für die Kompetenzentwicklung demonstriert die Projektgruppe anhand eines exemplarischen Konzept und einer eigens entwickelten Praxislösung. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter rufen beispielsweise zu ganz konkreten Fragen kurze Lerneinheiten (Wissensnuggets) ab. So erhalten sie die benötigten Informationen, ohne ihre Tätigkeit unterbrechen zu müssen. Die Studie mit den Handlungsempfehlungen ist auf der acatech-Website zu finden.

Wie eine Umfrage von acatech ergab, bieten derzeit lediglich 23,1 Prozent der Unternehmen spezifische Aus- und Weiterbildungsprogramme für Industrie 4.0 an, wie acatech in einer Umfrage ermittelte. Dabei seien große Unternehmen mit 30,6 Prozent wesentlich besser aufgestellt als kleine und mittlere, von denen nur 17,8 Prozent solche Programme anbieten. „Die Weiterbildung für die Industrie 4.0 ist eine vordringliche Führungsaufgabe – und sie erfordert vorwettbewerbliche Kooperation. Nur gemeinsam etablieren große und kleinere Unternehmen innovative Ökosysteme“, betont acatech-Präsident Henning Kagermann.

Die Akademie empfiehlt deshalb den Aufbau einer neutralen Bildungsplattform, die Qualifizierungsangebote unternehmensübergreifend bündelt. Generell sollten Träger und Anbieter der beruflichen Bildung ihre Aus- und Weiterbildungsangebote aufeinander abstimmen und inhaltlich in Richtung Industrie 4.0 modernisieren. Zugleich sollten Unternehmen die Kompetenzentwicklung im Arbeitsalltag ermöglichen. Digital gestützt können Inhalte passgenau zugeschnitten und individuell vermittelt werden. Digitale Assistenten unterstützen Belegschaften direkt ‚on the job‘.

In der Umfrage zeigte sich auch die Kluft zwischen großen und kleinen Unternehmen. Während acatech zufolge 78,1 Prozent der großen Betriebe ihre Unternehmensbereiche in Richtung Industrie 4.0 ausrichten wollen, äußern nur 57,4 Prozent kleiner und mittelständischer Unternehmen (KMU) diese Absicht. „Wir wollen kleine und mittelständische Unternehmen sensibilisieren. Sie sollten sich nicht nur auf die Industrie 4.0 einstellen, sondern ihre Belegschaften auf allen Unternehmensebenen weiterbilden. Dafür geben wir ihnen eine Checkliste und eine Umsetzungs-Roadmap an die Hand“, sagt ten Hompel.