Herr Osterloh, dem schwachen Geschäft auf vielen Märkten, etwa in Südeuropa, kann sich auch VW nicht entziehen. Wächst die Unruhe in der Belegschaft?
Nein, warum? Es gibt bei uns doch gar keinen Grund dafür. Volkswagen ist nach wie vor erfolgreich. Außerdem wissen die Menschen, dass Vorstand und Betriebsrat zum Grundsatz stehen, dass Wirtschaftlichkeit und Beschäftigungssicherung gleichrangige Unternehmensziele sind. Nach neuesten Zahlen hat VW weltweit 570.000 Beschäftigte, an 105 Produktionsstandorten und in mehr als 150 Vertriebsgesellschaften. Unsere Verantwortung nimmt damit zu.Welche Entwicklungen in der Gesamtwirtschaft bereiten Ihnen persönlich die größten Sorgen?Klare Antwort: Die wachsende Industriefeindlichkeit in Europa. Deutschland ist nur deswegen so stark, weil wir Industrie haben. Einige Dinge aber laufen falsch. Denken Sie nur an die steigenden Energiepreise. Wenn ich mir die Gießerei von MAN in Augsburg ansehe, die inzwischen aus Kostengründen nur noch nachts gießen kann, wird klar, dass es so nicht weitergeht. Ich glaube fest, dieses Land kann ohne Industrie nicht existieren. Sie ist die Basis für unseren Wohlstand.Der VW-Aufsichtsrat beschließt bald die Planungsrunde 62. Was steht oben auf der Agenda?Wir schauen uns vor allem an, welche Produkte in den kommenden fünf Jahren an welche Standorte gehen. Wir stellen Fragen wie: Was heißt das für die Beschäftigung, und haben wir die richtigen Modelle für die wichtigen Regionen? Ein Beispiel: Wenn es wirtschaftlicher wäre, einen Porsche Panamera komplett in Leipzig zu bauen, dann könnte man darüber nachdenken – aber nur, wenn unser Standort Hannover ausgelastet bleibt. Alles andere würden wir nicht akzeptieren.Eine drängende Frage ist auch, ob das VW-Werk Chattanooga nach dem US-Passat ein weiteres Modell bekommt?Ein größeres SUV könnte durchaus in Chattanooga gebaut werden. Da sind wir im Sinne unser Kollegen in den USA offen. Das entscheidende Kriterium ist aber immer, welchen Ergebnisbeitrag ein neues Modell erwirtschaftet.VW-Betriebsrat Bernd Osterloh im Interview
"Es gibt hellwache Konkurrenten"
Der oberste Arbeitnehmervertreter des Autokonzerns sorgt sich um Fehlentwicklungen am Standort Deutschland. Und um die Belastbarkeit des Hörsinns von Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Demnach könnte auch VW in Mexiko auf den Zuschlag hoffen?
Ja. Und dort errichten wir gerade außerdem eine Audi-Fabrik. Auch dort wäre eine Produktion eines solchen Modells denkbar. Fakt ist: Mehrere Standorte konkurrieren um den Bau des Modells. Und am Ende entscheidet sich die Vergabe nach den Prämissen, die bei uns für jede Standortentscheidung gelten: Wirtschaftlichkeit und Beschäftigungssicherung. Aus den USA hat VW zuletzt kaum Verkaufserfolge gemeldet.Es ist ja immer die Frage, wo man herkommt bei einer Aufholjagd. Ich denke, dass wir in den USA schon recht erfolgreich unterwegs sind. Was wir vielleicht ein wenig unterschätzt haben, ist, dass es hellwache Konkurrenten gibt. Die haben mit Blick auf unseren US-Passat sofort ihre Preise angepasst. Und zwar nach unten.Wie soll es weitergehen im Streit um einen neuen Betriebsrat bei VW am Standort Chattanooga?Der Streit betrifft eher die Frage UAW ja oder nein. Und diese Frage liegt in den Händen der Belegschaft in Chattanooga. Was wir wollen, ist eine betriebliche Arbeitnehmervertretung. Als VW-Welt-Konzernbetriebsrat haben wir mit dem Konzernvorstand eine Charta der Mitbestimmung unterzeichnet, die betriebliche Gremien regelt. Nach der amerikanischen Gesetzgebung brauchen wir dafür aber eine Gewerkschaft. Dafür hat sich die UAW offen gezeigt.Ein strategisch besonders wichtiger Markt für VW ist China. Fürchten Sie die zunehmende Abhängigkeit vom Reich der Mitte?Nein. Zum einen glaube ich, dass sich der westeuropäische Markt innerhalb der nächsten Jahre erholen wird. Damit hätte China keinen überproportionalen Einfluss auf das Ergebnis des Konzerns. Zum anderen bin ich davon überzeugt, dass wir unsere internationale Expansion weitertreiben müssen, um global die Nummer eins der Branche zu werden.Wo ist VW derzeit noch deutlich unterrepräsentiert?
In Nordafrika ist Volkswagen fast nicht vorhanden. Im arabischen Raum sind wir nicht ausreichend bekannt. Und in den ASEAN-Staaten sind wir nur in homöopathischen Dosen vertreten.Wie kommt VW mit dem Projekt Low-Budget-Car voran?Mit dem Produktionsstart rechne ich für 2016. Die zentrale Frage ist: Machen wir dieses Auto so wie die Konkurrenz mit bewährten Teilen? Oder stellen wir es auf eine unserer neueren Plattformen? Wichtig ist, dass wir auch mit diesem Fahrzeug Geld verdienen.Der Europäische Gerichtshof hat das VW-Gesetz bestätigt. Ein Sieg auf ganzer Linie für den Konzern?Ich sehe hier keinen Sieg, hoffe aber, dass endlich Ruhe einkehren wird. Unsere Rechtsauffassung hat sich bestätigt. Die bewährte Zusammenarbeit von Betriebsrat und Management geht unverändert weiter. Andernorts gibt es oft eine Sprachlosigkeit zwischen Arbeitgebern und den Vertretern der Arbeitnehmer. Das ist nicht gut.Bei seiner jüngsten Prognose hat der VW-Vorstand eine strengere Investitions- und Kostendisziplin angemahnt. Wo wird gekürzt?Ganz sicher nicht bei künftigen Modellen und Kerntechnologien der Zukunft. Aber vielleicht bei bestimmten Bauprojekten. Muss ein Gebäude wirklich gleich neu errichtet werden oder lässt sich das Projekt zeitlich schieben? Es geht schlicht um normale Kostendisziplin, um Augenmaß. Beim Leasing von Fahrzeugen für Werksangehörige hatten wir die Haltedauer beispielsweise von sechs auf neun Monate verlängert. Schon kurz danach hagelte es Anrufe aus dem Vertrieb: Wir brauchen dringend Nachschub, unser Gebrauchtwagenlager ist leer. Da sieht man, wie beliebt Volkswagen bei den Kunden ist.Wie ernst nimmt VW mit Blick auf die NSA-Affäre das Risiko von Industriespionage?
Ich glaube nicht, dass Barack Obama daran interessiert ist, wie VW-Chef Martin Winterkorn mit Audi-Lenker Rupert Stadler über die neuen LED-Leuchten am A8 redet. Wir haben uns aber bereits in den vergangenen zwei, drei Jahren sehr stark mit der Verbesserung unserer Netze beschäftigt. Da sind wir hellwach und gut aufgestellt.Welche Erwartungen haben Sie an die neue Bundesregierung? Wir brauchen Regulierung bei der Leiharbeit. Ich halte die Stärkung der Mitbestimmung bei Werkverträgen für ein ganz wichtiges Anliegen. Und bei der Rente mit 67 wünsche ich mir eine deutliche Differenzierung. Nicht jeder Arbeitnehmer kann die Belastungen bis 67 durchhalten. Da müssen wir auf die Politik weiterhin massiv einwirken.Laden Sie Kanzlerin Angela Merkel doch mal wieder zu einer VW-Betriebsversammlung ein.Das ist eine gute Idee. Ich frage mich nur, ob Frau Merkel so viel Jubel vertragen kann. Die erfolgreiche Neuauflage des VW-Gesetzes haben zwei starke Frauen auf den Weg gebracht: Brigitte Zypries, damals Bundesjustizministerin. Und Bundeskanzlerin Angela Merkel. Beide sind uns immer willkommen.