In Hardware-Unternehmen kursiert die Befürchtung, dass die Produkt-Marke ab sofort unwichtig ist. In der digitalen Zukunft, so die Annahme, werde sich alles auf virtuelle Plattformen und Apps von anonymen Programmierern reduzieren. Das ist ein fataler Trugschluss: Denn schon heute reden wir statt von „Suchmaschine“ von „Google“, statt von „Smartphone“ von „iPhone“, statt von „digitalem Marktplatz“ von „Amazon“. Keine andere Consumer-Umgebung ist so stark von einzelnen Markennamen geprägt wie die digitale Welt.
Dass sich dort hauptsächlich Namen tummeln, die in den letzten 10 Jahren überhaupt erst erfunden worden sind, regt viele klassische Unternehmen dazu an, für ihre neuen, „digitalen“ Aktivitäten abstrakte Kunstnamen zu erfinden, um sich selbst etwas Startup-Feeling zu gönnen. Damit machen die Unternehmen allerdings einen doppelten Fehler: Einerseits werfen sie ihre eigenen Aktivitäten auf die Bekanntheit eines beliebigen Startups zurück, andererseits schwächen sie die Dynamik der Kernmarke. Warum heißt es „moovel“ und nicht „Mercedes-to-go“? Warum gibt es „Autolivery“, „CarrE“ und „TriCiti“ statt „Ford for all“?
Sicherlich glauben viele Automobilhersteller den Prognosen, dass die Bedeutung ihrer Produktmarke hinter die der neuen Mobilitätsportale zurückfallen wird. Als Beispiel wird der Prozess der Fahrzeugmiete angeführt. Aber gibt es nicht kaum eine Branche, in der mehr auf Markentreue gesetzt wird, als in der der Vermieter? Sind wir nicht jedes Mal enttäuscht, wenn uns der Vermieter statt des abgebildeten, ein Fahrzeug „derselben Kategorie“ anbietet?
Und ein Wort zu Amazon: Der Konzern hat mit Produkten unter der eigenen Marke wie e-Reader, Smartphones und Routern Milliarden an Verlusten eingefahren und unternimmt mit der häuslichen künstlichen Intelligenz „Alexa“ gerade einen zaghaften neuen Versuch, der seinerseits wieder von der Integration mit den nach Markenaspekten zusammengestellten Hausgeräten und -funktionen abhängig ist.
Plattformen und Marktplätze leben also in kompletter Abhängigkeit von der Qualität der von ihnen angebotenen Produkte. Sie können sich selbst nur über die Einfachheit des Zugangs differenzieren. Der Wettbewerb der „namenlosen“ Marktplätze muss die Marken-Hersteller daher nicht bange machen.
Erst in einer direkten Kundenbeziehung werden moderne Instrumente der Kundenbindung und Erlössteuerung wirksam – wie „Zielumsatz pro Transaktion“ oder „Customer Lifetime Value“. Die Informationen aus Apps und Website erlauben maßgeschneiderte Angebote für den individuellen Kunden.
Und auch die „hippen“ Startups sollten die Traditionskonzerne nicht überbewerten. Denn Startups fehlen zwei entscheidende Trümpfe: Bekanntheit und Kunden. Fahrzeughersteller haben beides und sollten das als strategischen Vorteil im Rennen um die Geschäftsmodelle der Zukunft in die Waagschale werfen.
Der archimedische Punkt der automobilen Transformation ist die Marke – sie geschickt einzusetzen wird der Schlüssel des Zugangs zum Kunden und damit zu den zukünftigen Wertströmen sein. Autohersteller haben aufgrund ihrer Markenstärke und riesigen Nutzerpools die beste Ausgangsbasis, um eigene Plattformen und Communities aufzubauen – ohne Scheu vor neuen Formaten, und ohne unnötigen Respekt vor den „Großen“ der digitalen Branche.
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