Die fünf "Game Changer" des Carlos Tavares

Paris. Neuer Konzernname, neues Logo, neue Wachstumsziele, neue Geschäftsfelder, neue Produkte, neue Märkte und neue Kundenbeziehungen - Carlos Tavares lässt beim Umbau des mehr als 200 Jahre alten, familiengeführten Autobauers PSA - jetzt PSA Group - fast keinen Stein auf dem anderen. Das Programm "Push to Pass" ist weit mehr als ein neues Wachstumsziel. Es geht um die Neuerfindung eines nachhaltig profitablen Automobilgeschäfts.

Wir stellen im Folgenden kurz die fünf "game changer" vor, die Tavares bei einer eineinhalbstündigen Präsentation seines Plans in Paris skizziert hat - begleitet von nicht weniger als 137 Charts. Das Unternehmen hat zu dem Umbauprogramm auch eine eigene Webseite entwickelt und versucht dort mit Erklär-Videos die Dimension des Wandels zu verdeutlichen (Push-to-Pass-Präsentation).

Seitdem Carlos Tavares Renault verlassen hat und als CEO bei PSA arbeitet, spricht er häufig von den zahlreichen "Disruptionen", die das Geschäft mit dem Automobil weltweit durchziehen. Gekennzeichnet ist die Entwicklung durch zunehmende Verstädterung, Umweltprobleme und -anforderungen, Bedeutungsgewinn der jungen Wachstumsländer und ihrer Mittelschichten sowie durch eine Abkehr vom Besitzdenken hin zur Nutzenoptimierung bei allen Themen rund um die Mobilität.

Im Vorfeld der Entwicklung des "Push-to-Pass"-Programms ließ Tavares nach eigenen Angaben "die begabtesten und die jüngsten Experten in unserem Unternehmen" zusammenkommen. Aus diesem Pool schuf er 15 Arbeitsgruppen, die monatelang an den Themen arbeiteten.

"Während unser Restrukturierungsprogramm "Back to the race" noch top-down war, ist "Push to Pass" ein bottom-up-gesteuertes Programm", erklärt der PSA-Chef. Nur mit hochmotivierten Mitarbeitern sei es möglich, einen solch tiefgreifenden Wandel in einem Unternehmen umzusetzen, ist Tavares überzeugt.

Die Kundenzentriertheit durchzieht das Programm des PSA-Chefs wie kein anderer Gedanke. Gerade die Autobranche ist schon immer mächtig stolz auf ihre aufwändig entwickelten neuen Produkte gewesen - dieses Denken muss Tavares zufolge zu den Akten gelegt werden.

"Wir wollen nicht nur großartige Autos verkaufen, sondern auch ein umfassendes Angebot an Dienstleistungen rund ums Auto anbieten", so Tavares bei der Vorstellung seines Umbau-Szenarios.

Denn mit diesen Diensten sei es möglich, ein ganzes Autoleben lang mit dem Kunden Geld zu verdienen - und nicht nur einmal am Beginn des Kundenkontakts, wenn das Fahrzeug gekauft wird.

"Jedes Jahr verkauft PSA drei Millionen Fahrzeuge, aber im gleichen Zeitraum hat die Gruppe mit 15 Millionen Menschen zu tun, 15 Millionen Verbrauchern." Diesen Schatz will er weit stärker monetarisieren als bisher.

Konkret nennt Tavares die Bereiche Mehrmarken-Aftersales-Geschäft, Multichannel-Gebrauchtwagengeschäft, Leasing und Finanzierung sowie neue Mobilitätsdienste als Bereiche, die zum Kern eines modernen, kundenorientierten Automobilgeschäfts gehören.

Vieles davon ist nicht neu, aber die Integration dieser Elemente in eine konsistente, auf digitalen Diensten beruhende Strategie könnte der schon immer geforderten Kundenfokussierung zum Durchbruch verhelfen. Mittel- und langfristig dürfte diese Enwicklung zu einem noch größeren Einfluss der Marketingverantwortlichen führen auf Kosten der reinen Techniker.

Ein zweites Kernthema in Tavares "Push to Pass"-Programm ist die Überzeugung von Tavares und seinem Team, dass an die Stelle des Besitzdenkens das Erlebnis Auto tritt. Dieser Prozess hat weit reichende Konsequenzen - nicht zuletzt bei der Frage, an welche Kundengruppen ein Autobauer künftig seine Fahrzeuge überhaupt verkaufen kann. Es werden weniger Individuen sein und mehr Flottenbetreiber, dies ist sicher.

Ein positives Erlebnis ist nur möglich, wenn die gefühlte Qualität hervorragend ist. Deshalb kommt in der künftigen Autowelt, in der Kunden weit häufiger ad hoc über die Nutzung eines bestimmten Modells entscheiden, der auf den ersten Blick wahrgenommenen Qualität eine noch größere Bedeutung zu.

Tavares hat deshalb jeder der drei PSA-Marken eigene Programme verordnet, um das Kundenerlebnis zu steigern. "Wir wollen herausragende Dienstleistungen für jeden einzelnen Kunden liefern, formuliert er diesen Anspruch.

Keine Frage, ein eigenes Fahrzeug sorgt in einer überfüllten Großstadt nicht für mehr Mobiliät, sondern für weniger Freude an der individuellen Fortbewegung. Deshalb prosperieren Carsharing-Modelle der unterschiedlichsten Ausprägung weltweit. PSA-Chef Tavares hält diese Entwicklung nicht für eine vorübergehende Mode, sondern für einen klaren Trend bei der Autonutzung.

Deshalb will er PSA zu einem führenden Anbieter neuer Mobilitätskonzepte machen, die über das Schema Kaufen oder Leasen hinausgehen. "Mobilitätsdienste ermöglichen eine lebenslange Kundenbeziehung, was ein einzelnes Auto nicht leisten kann", begründet er diese Investition.

Der Kunde suche mühelose, jederzeit abrufbare Mobilität - um Reparaturen, Wartung oder Versicherung will er sich möglichst gar nicht kümmern.

In den vergangenen 100 Jahren konnten Autobauer darauf vertrauen, dass sie ein erträgliches Geschäft machen konnten, wenn ihre Produkte begehrlich, bezahlbar und qualitätsvoll waren. Künftig wird das nicht mehr ausreichen, um profitabel Autos zu bauen.

Vor allem Autobauer wie PSA, die mit einer Jahresproduktion von rund drei Millionen Einheiten keine wirklichen Massenhersteller sind und durch eine Gleichteile-Strategie nicht wirklich hohe Synergien erzielen können, müssen zusätzliche Ertragsfelder erschließen.

Tavares sieht hier ein weites Feld kaum genutzter Ertragschancen. Voraussetzung ist aber vielfach zunächst eine Investition. Um frische Ideen zu generieren, will Tavares stärker als bisher auf die Innovationskraft von Start-ups setzen. Für die kommenden fünf Jahre hat er deshalb ein Budget von immerhin 100 Millionen Euro freigegeben, um Kooperationen mit den Erfindern der Zukunft einzugehen. "Unsere Industrie erlebt derzeit eine Welle von Disruptionen. Wir wollen dabei lieber antreiben als getrieben zu werden", begründet er den Einsatz dieses Risikokapitals.

All die vorgenannten Baustellen würden wenig bewirken, wenn am Ende die Produkte made by PSA weiterhin nur auf lokalen Märkten angeboten werden könnten. Tavares will das gründlich ändern. "Wir wollen PSA zu einem wirklich globalen Automobilhersteller machen.

Weiße Flecken gibt es für die Franzosen derzeit noch wahrlich genug: Nicht vertreten ist PSA vor allem auf dem weiterhin größten Automarkt der Welt, in Nordamerika. Unsichtbar ist PSA aber auch in Südostasien mit bevölkerungsreichen Ländern wie Indonesien, Malaysia oder Thailand.

In den USA und in Kanada sind die Markteintrittskosten allerdings horrend hoch und das Risiko zu scheitern ebenfalls. Deshalb hat sich Tavares dort für eine risikoarme Penetrationsstrategie entschieden: Zunächst wird es kein umfangreiches Händlernetz für Peugeot, Citroen oder DS geben, sondern lokale Mobilitätsanbieter.

Übernehmen soll diese Aufgabe der langjährige PSA-Partner Bolloré, einem französischen Mischkonzern, der unter anderem auch die Kleinwagen für das Pariser Elektroauto-Projekt Autolib herstellt.

Schon Ende 2017 sollen die ersten Projekte starten. Damit folgt PSA dem Beispiel von BMW und Daimler, die in den USA mit ihren Mobilitätsdiensten vor allem in Unistädten inzwischen eine feste Größe sind.

Als zweiten Schritt kann sich Tavares dann in Nordamerika "die Entwicklung von Mobilitätslösungen mit unseren eigenen Fahrzeugen" vorstellen. Ein schneller Markteintritt wird dies also nicht werden.

Wichtiger für die Internationalisierung von PSA wird dagegen eine Offensive in Lateinamerika sein. Dort soll der Absatz in den kommenden fünf Jahren verdoppelt und der Gewinn verdreifacht werden.

Im Nahen Osten will PSA seine Marktstärke weiter ausbauen. Ab 2020 sollen in der Region mindestens 700.000 Neufahrzeuge verkauft werden. Derzeit prüfe man eine mögliche Fertigung in Algerien, gab Tavares bekannt.

Hinzu kommt die zu Jahresbeginn eingeleitete Rückkehr in den Iran und eine für 2018 geplante Vertriebspräsenz in Indien. "Wir wollen nicht ewig der Tyrannei des (europäischen) Zyklus unterliegen", sagt Tavares dazu.

Mit seinem Umbauprogramm "Push to Pass" unternimmt Carlos Tavares nicht weniger als die Neuerfindung des Automobilgeschäfts. Dabei muss er ganze Geschäftsfelder neu definieren und erfinden und zugleich mit dem bestehenden Portfolio genügend Cash verdienen, um die schwierige und ungewisse Periode des Übergangs zu finanzieren.

Viele Gewohnheiten und etablierte Managementmuster müssen dafür noch weichen, der Ausgang des Mega-Projekts ist ungewiss. In einem Punkt zumindest hat Tavares schon erreicht, was es bedeutet, in der neuen "PSA Group" zu arbeiten: Bei der Präsentation von "Push to Pass" am vergangenen Dienstag trug keiner der vortragenden Vorstände eine Krawatte - bei einigen wurden sogar Dreitage-Bärte gesichtet. Eine gelebte Start-up-Kultur wird eben auch an Details sichtbar.