Die Argumentation der Hersteller und ihrer "Vernetzungs"-Strategen erfolgt mit vorhersehbarer Gleichtönigkeit: Google, Apple, Uber, Lyft und die anderen schnell wachsenden Internetfirmen prägen die Kundenerwartungen, lösen bisherige Geschäftsmodelle ab und drohen somit, in das Automobilgeschäft einzudringen. Also muss man schnell handeln und die Erfolgsprinzipien von Google & Co. übernehmen.
Oft habe ich den Eindruck, dem Topmanagement der Automobilindustrie geht es gar nicht schnell genug, das Auto als „Mobile Device“ scheinbar neu zu erfinden. Abgesehen von der Hoffnungslosigkeit, das Smartphone in seiner Rolle als das mobile Device ablösen zu wollen, begleitet diese strategische Schwerpunktsetzung eine fatale Ignoranz der Erfolgsfaktoren, die das Auto so begehrlich gemacht haben und immer noch machen.
Ich möchte mich nicht mit den „Marketinggurus“ der Hersteller und ihren Markeninterpretationen anlegen - nur eine Anekdote: Es war geradezu erquicklich, auf dem Automotive News Europe Kongress in Barcelona von Gerry McGovern, Chefdesigner Land Rover, den neuen Velar mit der Erklärung vorgestellt zu bekommen, dass das Design immer noch der Hauptkaufgrund ist. Natürlich hat auch dieses Auto die üblichen Infotainment- und Assistenzfunktionen, aber der „new level of simplicity“ und die „reduction of visual noise“ im Ex- und Interieur zeigen hochinteressante Weiterentwicklungen.
Die Entwicklung der klassischen Erfolgsfaktoren ist also, entgegen vieler Beschwörungen, nicht zu Ende, es gibt noch Fortschritte und die in der Branche völlig unerwartete positive Entwicklung von Jaguar Land Rover basiert garantiert nicht auf Software, sondern auf Autos, die insgesamt überzeugen.
Es geht also darum, die klassischen Erfolgsfaktoren mit den neuen technischen Funktionen zu verbinden, um den im Wettbewerb erforderlichen Innovationsgrad und gleichzeitig die vom Kunden geforderte Usability zu erreichen.
Dazu zwei Ratschläge:
1. Liebe Autohersteller, hört auf, erfolgreiche Smartphone-Funktionen durch schlechte Kopien im Auto zu ersetzen zu wollen: Kein Auto wird wegen eines guten Navigationssystems gekauft, es wird höchstens wegen eines schlechten Navigationssystems nicht gekauft.
Das gilt erst recht für Wetter- und Musikapps und andere „Innovationen“, die der Kunde schon lange und in besserer Qualität auf seinem Smartphone hat. Und gerade die heranwachsenden Generationen, die über Usability von Autohersteller-Software - auch in den aktuellen Modellen - nur schmunzeln können, erwarten echtes Plug & Play.
Fingerabdrücke auf Touchscreens sind denen egal, wie nach Jahren jetzt auch die Premiumhersteller gelernt haben. Statt halbherzige Apple CarPlay und Android Auto Lösungen sollte man die räumlichen und funktionalen Möglichkeiten des Cockpits nutzen, ein erweitertes Smartphone-Display hinsichtlich Größe, Sichtbarkeit während der Fahrt etc. richtig nutzerfreundlich und optisch ansprechend zu integrieren und dabei autospezifische Funktionen nicht zu beeinträchtigen oder gar abzuschalten.
2. Kopiert nicht, sondern vertraut dem Wert proprietärer Autodaten und baut damit eigene Geschäftsmodelle auf: Mit Sensoren gespickte Autos produzieren eigene Daten, die nicht vom Smartphone generiert werden können und somit nicht von Google & Co. beherrscht werden.
Außentemperatur, Feuchtigkeit, Sichtverhältnisse, Radschlupf, Reibwerte, freie Parkplätze u.v.m. sind Daten, die vorbehaltlich der Genehmigung durch den Fahrer für besseren und sichereren Verkehr genutzt werden können. Diese Daten sind proprietär und somit im Unterschied z.B. zum Verkehrsfluss nicht von Google & Co. mit Milliarden von Handys reproduzierbar. Und sie müssen nicht in ein herstellereigenes Navigationssystem eingespielt werden, sie können ohne Nachteil und Risiko für das OEM-Geschäftsmodell an Google & Co. verkauft werden und z.B. in vom Kunden bevorzugte Apps wie Google Maps einfließen.
Somit entstehen im Auto der Zukunft zwei Software-Welten, die sich für den Kunden ergänzen ohne sich zu stören:
1. Die vom Kunden gewollte und akzeptierte Smartphone-Welt, mobil in der Tasche und vollintegriert mit Bedienungsvorteilen im Autocockpit.
2. Die vom Auto generierte und vom Hersteller kontrollierte und kommerzialisierte Datenwelt, die z.B. für Assistenzfunktionen direkt im Fahrzeug verwertet und angezeigt werden oder – mit Genehmigung des Fahrers – anderen Verkehrsteilnehmern über Hersteller-Standards oder Smartphone-Apps zur Verfügung gestellt werden.
Und die Autohersteller können sich wieder auf das konzentrieren, was sie im Unterschied zu Google & Co. wirklich können, nämlich begehrliche Autos bauen.
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