Allrad fast ohne Kohlendioxid-Nachteile

Arjeplog. Immer mehr Kunden ordern die Fahrzeuge mit Allradantrieb – und das treibt Spritverbrauch und CO2-Ausstoß meist um sechs bis 14 Prozent in die Höhe. Magna Powertrain setzt auf neue Technologien, um den Mehrverbrauch drastisch zu reduzieren.

Die Zahlen sprechen für sich: Während der Pkw-Absatz weltweit um drei bis vier Prozent pro Jahr zulegen dürfte, beträgt das Wachstum bei Allradfahrzeugen laut Magna Powertrain fünf Prozent pro Jahr. Aktuell entfallen 14 Prozent aller Neuzulassungen auf Allradfahrzeuge. In absoluten Zahlen erwartet Magna eine Zunahme des Allradabsatzes von elf Millionen im vergangenen Jahr auf 15 Millionen im Jahr 2020. Besonders stark ist das Allradwachstum bei kleineren Fahrzeugen: Im B-Segment registriert Magna ein Plus von 17 Prozent, im C-Segment seien es acht Prozent. Hier erwartet der Zulieferer weiteren Schub durch neue Mini-SUVs. Magna Powertrain profitiert doppelt, denn nach eigenen Angaben konnte der Marktanteil in den vergangenen fünf Jahren von 20 auf 30 Prozent gesteigert werden.

Um das Allrad-Wachstum nicht zu gefährden, entwickelt der Zulieferer Technologien, die den Mehrverbrauch senken. Für einen nicht genannten Kunden soll etwa Ende 2015 das „Flex4“-System in Serie gehen, mit dem der Mehrverbrauch auf ein bis zwei Prozent sinke, wie Walter Sackl betont. Weitere Aufträge dafür seien bereits unter Dach und Fach, sagt der Produktmanager des Zulieferers. Bei Wintertests und -präsentationen im nordschwedischen Arjeplog bemühten sich Sackl und eine Kollegen jüngst, weitere Automobilhersteller von der Technologie zu überzeugen.

Der Verbrauchsvorteil von „Flex4“ gegenüber klassischen Vierradantrieben resultiert vor allem aus zwei Effekten: Der Allradantrieb wird vollautomatisch nur zugeschaltet, wenn er wirklich benötigt wird – was selbst im Winter nur auf zehn bis 20 Prozent aller Fahrstrecken erforderlich ist. Zum anderen werden im Zweiradbetrieb fast alle Allradkomponenten stillgelegt. Üblicherweise sind heute auch bei abgeschalteten Allradantrieben die Allradkupplung und die Kardanwelle immer noch mit den nicht angetriebenen Rädern gekoppelt. Sie werden „mitgezogen“ und verbrauchen so Antriebsenergie. Bei Flex4 werden sie im Zweiradbetrieb stillgelegt.

Auch einen weiteren Energiesparansatz präsentierte Magna Powertrain den Kunden in Arjeplog: Beim „Green Transfer Case“ handelt es sich um ein trockenes Allradverteilergetriebe mit Zahnriemen. Mit dieser Technik die in Öl laufenden Zahnräder oder Ketten zu ersetzen, verspreche mehrere Vorteile, erläutert Johannes Quehenberger, der bei Magna Powertrain für die Entwicklung neuer Konzepte zuständig ist. Zum einen müssen Zahnräder oder Kette bei ihrer Bewegung den Widerstand des Öls überwinden, was Energie kostet. Zum anderen dürften sich Gewichtsvorteile von insgesamt drei Kilogramm ergeben. Schon durch Zahnriemen statt Kette spare man etwa ein Kilogramm, hinzu komme unter anderem der Wegfall des Öls.

Als Herausforderungen in der weiteren Entwicklung des GTC sieht Quehenberger vor allem den Zahnriemen und die richtige Beschichtung der Kupplungselemente. Trotz der enormen Belastungen müsse der Zahnriemen ein Fahrzeugleben lang halten. Dafür teste man einen Aufbau aus mehreren Schichten. Eventuell könnte ein robuster Kohlefaserkern zum Einsatz kommen. Bei den Gleitbeschichtungen gelte es, jene zu finden, die am besten die schmierende Wirkung des Öls ersetzen könnten. Auch für die üblicherweise durch das Öl gewährleistete Wärmeabfuhr entwickle man Alternativen.

Magna Powertrain zeigt sich zuversichtlich, dieses Innovationsprojekt in etwa zwei Jahren zur Marktreife bringen zu können, sodass ein Serieneinsatz – nicht nur in Allradgetrieben – ab 2021 oder 2022 möglich wäre.

Auch bei den Funktionalitäten der Allradantriebe zeigte der Zulieferer seinen Kunden in Schweden neue Perspektiven. Die Vertreter der Hersteller konnten auf Schnee und Eis erfahren, wie sich vier angetriebene Räder auch zur dynamischen Fahrdynamikregelung nutzen lassen. Feste Verteilungen der Drehmomente zwischen Vorder- und Hinterachse führen in Kurven oft entweder zum Untersteuern oder Übersteuern. Magna will dieses Verhalten durch eine Giersteuerung optimieren. Je nachdem, ob das Fahrzeug aus der Kurve hinausschiebt oder durch ein ausbrechendes Heck hineindreht, wird die Kraft dynamisch so auf Vorder- und Hinterachse verteilt, dass sich ein möglichst neutrales Fahrverhalten ergibt. Bei Fahrzeugen, die als Basis einen Heckantrieb besitzen, kann das System bis zu 100 Prozent des Moments auf die Heckachse geben.

Dank des Allradbooms steht bei Magna Powertrain eine Ausweitung der Produktionskapazitäten an. Schon mit den vorhandenen Allradaufträgen seien die Werke in Europa, Korea und den USA bis 2022oder 2023 ausgelastet, erläutert Walter Sackl. Wegen des Wachstums will Magna Powertrain die Werke im österreichischen Lannach und Ilz, das deutsche Werk in Roitzsch und das koreanische Joint Venture in Asan ausbauen. In Mexiko werde die bestehende Fertigung um Achsgetriebe erweitert. In China hat Magna Powertrain die Kapazitäten erst 2013 mit dem neuen Werk in Tianjin erweitert.