Analyse: Trumps Zölle können der deutschen Autoindustrie guttun

Die neuen US-Zölle treffen die deutsche Automobilindustrie ins Mark. Sie sind ein weiterer Rückschlag für eine ohnehin angeschlagene Branche. Zugleich könnten sich auch als dringend nötiger Weckruf entpuppen. 

"Die Zölle sind Wasser auf die Mühlen der deutschen Autoindustrie", sagt Andreas Hoberg, Mitglied des Vorstands bei der auf Produktion spezialisierten Unternehmensberatung Ingenics. Und nein – das ist kein zynischer Kommentar, sondern ein ernst gemeinter Appell an eine Branche, die sich zu lange in Komfortzonen eingerichtet hat.

Sie fordern die Autohersteller heraus, ihre hohen Kosten zu hinterfragen, ihre Prozesse zu verändern und die Verlagerung der Produktion als strategische Option zu verstehen – nicht als Schreckgespenst. Denn die wahren Probleme liegen nicht in Washington, sondern in Stuttgart, Wolfsburg und München.

Noch mehr als unter den Zöllen leiden die deutschen Hersteller unter sich selbst. Ihre Produktionskosten sind im internationalen Vergleich deutlich zu hoch, Innovationen werden zu zaghaft umgesetzt, und Veränderungsprozesse verlaufen schleppend.

Die deutschen Premiumanbieter glänzen zwar mit Technologie – doch sie verlangen dafür einen Preis, den der Markt nicht mehr zu zahlen bereit ist.

Was jetzt nötig ist, sind mutige Schnitte und konsequente Strategien – das fordert der kürzlich vorgestellte "Masterplan Automotive" der Strategieberatung Berylls by AlixPartners. Die Experten zeichnen darin ein schonungsloses Bild: Evolutionäre Schritte reichen nicht mehr. Die Industrie muss in den Revolutionsmodus schalten.

Die von Berylls skizzierte Lösung: radikaler Wandel. Besonders im Fokus stehen die Entwicklungsabteilungen. Sie müssen digitaler, softwarezentrierter und effizienter werden; bis zu 40 Prozent Effizienzpotenzial müssten bis 2028 laut den Beratern gehoben werden.

Und: Mit den bestehenden Mannschaften sei diese Transformation kaum machbar, externe Spitzenkräfte und umfangreiche Weiterbildungsmaßnehmen seien essenziell, behaupten die Experten.

Außerdem raten die Fachleute von Berylls dazu, sich auf die Weiterentwicklung eines Pkw-Antriebs zu konzentrieren und nicht "Entwicklungsressourcen mit der Gießkanne auf eine Vielzahl von Antrieben zu verteilen". Laut den Experten sei "All-in in der E-Mobilität" das Mittel der Wahl.

Oberstes Ziel der Entwicklung müsse es laut Berylls sein, Produkte zu schaffen, die einen Kaufreflex auslösten. "Zukunftstechnologien wie KI, ausgefeilte Antriebssysteme, unterstützende Assistenzsysteme der nächsten Generation und hochwertige Hardware müssen immer mit an Bord sein, damit die Kunden kaufen. Auch wenn sich ihre Entwicklungskosten nicht vollständig über den Verkaufspreis amortisieren lassen", erklärt Berylls-Partner Dennis Röhr.

Auch Kooperationen zwischen Herstellern, Zulieferern und neuen Playern müssten neu gedacht werden, erläutert Ingenics-Experte Hoberg. Was heute zählt, sind Partnerschaften, räumliche Nähe, gemeinsame Tech-Hubs – ein Konzept, das Japan beispielsweise erfolgreich vormacht.

Dass diese Nähe nicht immer vor Schließungen schützt, zeigt Ford in Saarlouis – aber ohne sie sind Innovation und Kostensenkung schlicht nicht möglich.

Berylls mahnt in seinem Masterplan zudem eine stärkere Lokalisierung der Lieferketten an, die Versorgungssicherheit brächte. Insbesondere in kritischen Bereichen wie Leistungselektronik, Chips und Hochvoltzellen sei eine Regionalisierung der Supply Chain notwendig.

Die Zölle bringen aber auch ein heikles Thema wieder auf die Agenda: Produktionsverlagerung. "Die Frage, wo ein Hersteller am billigsten produzieren kann, wird immer wichtiger", betont Hoberg. Osteuropa und Mexiko waren bislang die Favoriten der deutschen Autobauer; das nordamerikanische Land hat jedoch in puncto Elektromobilität Nachholbedarf. 

Zunehmend in den Fokus rückt unter anderem Südafrika. Mercedes hat bereits öffentlich überlegt, die dortige Produktion hochzufahren, auch VW und BMW betreiben Werke an der Südspitze des Kontinents.

Für den Standort sprechen mehrere Faktoren, allen voran die laut Hoberg "sehr niedrigen labour costs". Doch auch das Ausbildungsniveau sei top, die Motivation und die Verfügbarkeit von Arbeitskräften sehr hoch.

Dazu kommt die gute logistische Anbindung per Schiff; Durban, Port Elizabeth und East London verfügen über Tiefseehäfen und der Weg nach Ost und West ist in etwa gleich weit. Dazu sind kritische Passagen durch den Panama- und Suezkanal sowie den Golf von Aden nicht nötig.

Mehr noch: Südafrika hat mit fast allen Ländern Freihandelsabkommen, eine gute Basis an Zulieferern und auch die gleiche Zeitzone wie in Mitteleuropa ist für viele Firmen ein Vorteil.

Eigentlich könnte das Land ein Paradies für die Autoindustrie sein. Wäre da nicht die Infrastruktur, vor allem die Energieversorgung: "Südafrika hat kein Problem mit der Infrastrukturverfügbarkeit, sondern mit der Stabilität", so Hoberg.

Heißt konkret: Jedes Werk muss damit rechnen, dass zeitweise der Strom ausfällt und auch kein Rohstoff-Nachschub für das eigene Kraftwerk verfügbar ist. Damit, so Hoberg, stünde sich das Land selbst im Weg.

"Südafrika hat in Sachen Infrastruktur leider nie den Push bekommen wie beispielsweise Angola oder Sambia", erklärt der Experte. Der historische Bezug Südafrikas zu Indien habe verhindert, dass das Land Investments chinesischer Firmen im großen Stil zugelassen hat. Diese hätten in anderen afrikanischen Ländern stark in die Infrastruktur investiert.

Trotzdem, so Hoberg, werde Südafrika eine zunehmend wichtige Rolle spielen. Nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung – denn Deutschland bleibt für komplexe Fertigungen nach wie vor relevant. Voraussetzung: Die Hersteller müssen ihre Prozesse auch hierzulande radikal umbauen.

Radikal ändern muss sich auch die Haltung der Industrie. Ein zentraler Punkt des Masterplans von Berylls: Die Hersteller dürfen nicht länger Beobachter politischer Entscheidungen bleiben, sondern müssen aktiv werden.

Heiko Weber, Partner und Managing Director bei Berylls by AlixPartners erklärt, dass stabile Rahmenbedingungen das A & O für den Erfolg der Branche seien.

Die Automobilindustrie dürfe auf dem Weg dorthin "nicht weiter nur Passagier" bleiben, sondern müsse eine "konstruktive, idealerweise sogar eine führende Rolle spielen". So sei es beispielsweise wichtig, neben der nachvollziehbaren Forderungen an die Politik, die Energiekosten zu senken, auch selbst für mehr Unabhängigkeit von hohen Energiepreisen zu sorgen. 

Genau hier liege die Chance der aktuellen Krise: Die Zölle zwingen die Industrie, sich neu zu erfinden – technologisch, strukturell, strategisch. Wenn die Branche diesen Impuls richtig nutzt, dann könnten die Zölle – bei aller Härte – das Beste sein, was der deutschen Autoindustrie in den letzten Jahren passiert ist.