Zeitenwende im Engineering

Die deutschen Fahrzeughersteller Volkswagen und Daimler entwickeln ihre Betriebssysteme fürs Auto in Eigenregie. Ein Großteil der IT-Wertschöpfung findet nun bei den Autobauern selbst statt. Mit einem großen finanziellen Aufwand entstehen Programmierabteilungen mit Tausenden von Softwarespezialisten.

Von diesem Wandel will auch die Branche der Entwicklungsdienstleister profitieren. Matthias Kratzsch, Chef von IAV, ist jedenfalls davon überzeugt, die Hersteller bei der Entwicklung von Betriebssystemen unterstützen zu können. Die Herausforderung liegt für ihn unter anderem darin, die von den Zulieferern unabhängig entwickelten Komponenten in das Betriebssystem der Fahrzeughersteller zu integrieren.

Peter Fintl, Direktor Technologie und Innovation bei Capgemini Engineering, spricht sogar von "einer gewissen Zeitenwende in der Industrie". Software ist eine neue Kernkompetenz der Autohersteller. Der Branchenexperte sieht die Autokonzerne auf dem Weg zum softwaredefinierten Fahrzeug, um sich in der Mobilität der Zukunft einen dominierenden Platz zu sichern beziehungsweise zu erkämpfen.

Die traditionelle Rangfolge in der Wertschöpfungskette wird dadurch gehörig durcheinandergewirbelt. Das bedeutet einerseits, dass bestimmte Fähigkeiten und Entwicklungsumfänge von den Fahrzeugherstellern ins Haus geholt werden und daher bei etablierten Partnern entfallen. Andererseits stehen die Hersteller nun vor der Aufgabe, rasch neue Fähigkeiten in der eigenen Organisation aufzubauen. Fintl: "Neben reiner Softwareentwicklungskompetenz gehört dazu auch Wissen in Bereichen wie Halbleiterdesign und -fertigung." Bei diesem Knowhow-Aufbau und auch bei der Skalierung der Entwicklung böten sich für digital orientierte Entwicklungspartner große Chancen. Davon ist Fintl überzeugt.

Cosimo De Carlo, CEO der Edag-Gruppe, bringt einen weiteren Aspekt ins Spiel: "Auf einer Seite übernehmen wir viele der Aktivitäten unserer Kunden, die nicht mehr als Kerngeschäft und Differenzierungsmerkmale gesehen werden. Durch diese Entlastung können sich unseren Kunden stärker auf die USP ihrer Brands fokussieren."

Auf der anderen Seite agiere Edag als Katalysator und "Enabler" für die Kunden bei der Umsetzung ihrer neuen Kernkompetenzen. Dazu zählen für ihn unter anderem die Themen Software und Betriebssysteme.

Laut Capgemini-Manager Fintl muss dabei die Kernkompetenz der Entwicklungsdienstleister, Innovationen effizient umzusetzen, erhalten bleiben. "Letztlich sind Innovationsgeschwindigkeit und Skalierung die Wettbewerbsfaktoren unserer Zeit."

Insgesamt eröffnen sich für die Engineering-Branche mehr Chancen als Risiken. Da sind sich die Experten einig. Denn mit der Entwicklung hin zum softwaredefinierten Fahrzeug oder zu neuen Mobilitätssystemen ist ein gigantischer Engineering-Aufwand verbunden. Damit einher gehen neu geschnürte Aufgabenpakete, die es in der Vergangenheit nicht gab.

Ein Thema dabei ist das Customizing in der Elektronik. Das Maßschneidern in der Chipentwicklung beherrschen viele Autohersteller nicht, überlegen aber, in dieses Feld einzusteigen. Das bietet auch den Engineering-Firmen, die nicht nur über Erfahrung im Automobilbereich verfügen, sondern beispielsweise auch über Expertise bei Halbleitern, neue Möglichkeiten. "Weil sie dem Fahrzeughersteller echte Innovationen anbieten können", sagt Fintl.

Das Umschwenken der Engineering-Unternehmen ist auch nötig, da die Wachstumschancen im klassischen Mechanikbereich begrenzt sind und der Wettbewerb groß. Zwar wird es immer kleine Spezialisten mit ihren Nischen geben, doch die großen Spieler müssen sich auf den Transformationsprozess einstellen – daran führt kein Weg vorbei.

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