Herr Rosenfeld, Ihre Berufung zum Vorstandschef von Schaeffler kam nach der Absage seitens der Eigentümer an Klaus Deller für viele überraschend. Auch für Sie?
Im Oktober 2013 hatte sich die Familie Schaeffler entschieden, einen Führungswechsel einzuleiten und mich gebeten, übergangsweise die Aufgabe als Vorstandsvorsitzender zu übernehmen. Da zu diesem Zeitpunkt nicht klar war, wie lange die Übergangszeit dauern würde, haben wir damals gemeinsam vereinbart, die Initiative zu ergreifen und bestimmte Themen aktiv anzugehen. Wir wollten und mussten im Interesse des Unternehmens Stillstand vermeiden. Aus dieser Situation ist dann das Programm One Schaeffler, die Strategie Mobilität für morgen und die neue Organisations- und Führungsstruktur entstanden.
Worauf ist es Ihnen dabei besonders angekommen?
Rosenfeld: Mir waren drei Dinge wichtig. Die Schaeffler-Gruppe verfolgt seit vielen Jahren erfolgreich eine Wachstumsstrategie. Daran galt es festzuhalten. Zugleich war klar, dass wir nach außen und nach innen besser erklären müssen, was wir tun und wofür wir stehen. Daraus ist das Strategiekonzept Mobilität für morgen entstanden. Dazu hat insbesondere Professor Gutzmer einen entscheidenden Beitrag geleistet. Zweitens haben wir uns bewusst dazu entschieden, kein streng divisionales, sondern ein integriertes Modell zu verfolgen. Das heißt: intern stärker zusammenrücken, Prozesse und Strukturen optimieren und Effizienzen heben. Dazu haben wir das Programm One Schaeffler entwickelt. Und drittens mussten wir unsere Führungsmannschaft mitnehmen. Wir haben daher unmittelbar damit begonnen, unsere Organisations- und Führungsstruktur neu auszurichten, Zuständigkeiten zu ordnen und das Kommunikations- und Führungsverhalten im Hause zu verändern. Alle drei Punkte waren Teil der Absprache im Oktober 2013.
Aber wie kam es dann zu der Situation im Sommer ...
Rosenfeld: Als sich herausstellte, dass die eingeleiteten Maßnahmen gut angenommen wurden, haben sich unsere Gesellschafter dazu entschieden, auf Kontinuität zu setzen. Das war sicherlich keine leichte Entscheidung, die es zu respektieren gilt. Ich lege Wert darauf, dass wir uns in der damaligen Situation absolut fair verhalten haben. Die bereits genannten Maßnahmen waren bekannt. Für das, was wir vorgeleistet hatten, gab es im Hause großen Zuspruch. Und das hat sicherlich bei der Entscheidung, die im Aufsichtsrat getroffen wurde, eine Rolle gespielt.
Gutzmer: Wir haben nach dem Wechsel eine extrem positive Resonanz bekommen, mit der wir so auch nicht gerechnet hatten. Auch auf Kundenseite ist die Entwicklung sehr positiv aufgenommen worden.
Es kursiert nach wie vor das Gerücht, von Conti-Seite würde ein Reverse-Takeover favorisiert, um beide Unternehmen zu vereinen und an die Börse zu bringen.
Rosenfeld: Dieses Gerücht entbehrt jeder Grundlage. Die Familie Schaeffler hat sich dazu klar positioniert und gesagt, dass sie einen solchen Schritt ablehnt. Beide Unternehmen operieren richtigerweise getrennt und kooperieren, wo es sich anbietet. Das ist auch die Logik, an der wir unsere Strategie und die strukturellen Überlegungen ausgerichtet haben.
Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit Continental?
Rosenfeld: Wir haben in den vergangenen Jahren hart daran gearbeitet, die Auswirkungen aus der Übernahme der Continental-Beteiligung zu bewältigen, eine stabile Struktur aufzubauen und zugleich unseren Wachstumskurs fortzusetzen. Der Fokus lag dabei primär auf der Neuausrichtung der Kapitalstruktur. Das eigentliche Potenzial, das die Kooperation mit Continental bietet, ist sicherlich noch nicht vollständig realisiert. Hier ist mir die Zusammenarbeit mit Professor Gutzmer besonders wichtig.
An welcher Stelle arbeiten Sie mit Continental zusammen?
Gutzmer: Wir haben erstens laufende Serienprojekte, in denen wir uns ergänzen. Beispielsweise bei Turboladern, Doppelkupplungsgetrieben oder elektrischen Parkbremsen.Aus dem Bereich Mechatronik haben wir daneben Themen in der Serienvorbereitung wie beispielsweise den elektrischen Wankstabilisator oder den elektrischen Nockenwellenversteller. Dort haben wir die Möglichkeit, mechanische, mechatronische und auch Wertschöpfungskompetenzen von Schaeffler mit der Elektronikkompetenz von Conti zu verbinden. Als dritte Ebene gibt es noch Zukunftsprojekte.
Können Sie uns dafür ein Beispiel nennen?
Gutzmer: Das sind Studien wie das Gasoline Technology Car, in denen wir für die Märkte umfassende Lösungen zeigen. Bei diesem Projekt haben die beiden Unternehmen intensiv zusammengearbeitet. Und in Kürze werden wir in China einen Plug-in-Hybriden vorstellen. Wir wollen zeigen, dass beide Unternehmen in der Lage sind, Lösungen, die wir 2020 und danach beim Thema CO2-Reduktion benötigen, auch heute schon gemeinsam zu entwickeln. Auf Forschungsebene arbeiten wir beim Radnabenantrieb zusammen.
Rosenfeld: Das Grundprinzip in der Zusammenarbeit heißt: Wie unter fremden Dritten. Dass wir bei bestimmten Projekten mit der Continental AG zusammenarbeiten, bedeutet nicht, dass wir nicht auch mit anderen Unternehmen kooperieren und zusammenarbeiten können.
Das Thema Kooperationen wird also zunehmen?
Gutzmer: Wir werden mehr Kooperationen brauchen, allein schon, um die Einmalaufwände für die immer komplexeren Entwicklungen zu reduzieren. Durch die Themen Elektromobilität, autonomes Fahren sowie die Vernetzung der Fahrzeuge untereinander und mit der Infrastruktur kommen Schnittstellen zu anderen Industrien auf uns zu. Die Komplexität sowohl in den Produkten als auch in den Wertschöpfungsstrukturen steigt weiter.
Rosenfeld: Und Größe ist nicht die Antwort auf Komplexität. Was zählt sind Innovation, Technologie und Qualität. Das macht die Schaeffler Gruppe aus. Wenn sie Komplexität bewältigen wollen, brauchen sie die Fähigkeit, an unterschiedlichen Stellen mit unterschiedlichen Partnern zusammenzuarbeiten. Das ist letztlich auch eine Frage des gegenseitigen Vertrauens.
Bauen Sie auch Kompetenz beim Thema autonomes Fahren auf?
Rosenfeld: Unsere Antwort auf das Thema Autonomes Fahren ist relativ einfach. Egal wie das Auto der Zukunft vernetzt wird, egal wie es gesteuert wird und welche Rolle Computer oder Roboter dabei spielen, es wird immer real gefahren und bewegt werden. Dafür werden mechanische Komponenten und Systeme benötigt, und das sind die Produkte, die wir beherrschen. Für uns ist es dabei wichtig zu verstehen, wie sich die Anforderungen an unsere Produkte durch die neuen Entwicklungen verändern und wie wir uns am besten darauf einstellen.
Ein Beispiel?
Gutzmer: Aus einer rein mechanischen Kupplung sind die Schlüsselmodule für das Doppelkupplungsgetriebe entstanden. Wir sind heute in der Lage, Doppelkupplungsgetriebe komplett zu entwickeln.Damit können wir unseren Lieferumfang bis zur Mechatronisierung im Gesamtsystem deutlich steigern. Und wir haben so mehr Umsatz pro Fahrzeug, weil wir künftig zwei Kupplungen und Ausrückmodule ausliefern plus Software und Steuergerät, also nicht mehr nur die einfache Kupplung. Wir können unseren Wertschöpfungsanteil dabei deutlich erhöhen. Ganz wichtig ist, dass wir uns dabei nicht in komplett neue Felder mit neuen Risiken begeben müssen, sondern auf den Kompetenzen und Komponenten aufbauen, die wir bereits haben und funktional sinnvoll ergänzen werden.
Schaeffler hat ein Profitabilitätsniveau erreicht, um das Sie von vielen Zulieferern beneidet werden. Können Sie das halten oder gar ausbauen?
Rosenfeld: Für dieses Jahr peilen wir eine EBIT-Marge von 12 bis 13 Prozent an. Das ist aus meiner Sicht eine Größenordnung, an der wir uns langfristig orientieren sollten.
Gibt es einen Grund für die hohe Ergebnisqualität?
Rosenfeld: Es gibt verschiedene Gründe für die hohe Ergebnisqualität. Ein entscheidender Faktor ist sicherlich die außergewöhnlich hohe Kompetenz der Schaeffler Gruppe im Bereich der Produktionstechnologie. Dort gelingt es uns immer wieder, den Preisdruck, den es im Automobilzuliefergeschäft nun mal gibt, über laufende Effizienzverbesserungen im Bereich der Fertigung auszugleichen.
Welche konjunkturellen Risiken sehen Sie?
Rosenfeld: Als Schaeffler Gruppe hatten wir ein starkes erstes Halbjahr. Dieser Trend hat sich auch im 3. Quartal fortgesetzt. Natürlich gibt es hier und da Anzeichen, dass sich die konjunkturelle Entwicklung eintrüben könnte. Dazu kommen geopolitische Unsicherheiten und Marktrisiken, die schwer einzuschätzen sind. An der grundsätzlich positiven konjunkturelle Grundausrichtung insbesondere in den großen Schlüsselmärkten hat sich aber aus meiner Sicht nichts geändert. Als global tätiges Unternehmen bleiben wir daher auch für das nächste Jahr verhalten optimistisch.
Schaeffler hatte wegen unerlaubter Preisabsprachen eine Strafe von 370,5 Millionen Euro zahlen müssen. Kommen da weitere Forderungen auf Sie zu?
Rosenfeld: Ich bedauere, dass es zu diesen Vorgängen gekommen ist. Das war das erste Mal, dass wir mit solchen Themen konfrontiert worden sind. Hier sind in der Vergangenheit Fehler gemacht worden, die nicht wieder vorkommen dürfen. Wir haben uns daher gegenüber unseren Gesellschaftern verpflichtet, das Thema Compliance weltweit nachhaltig auszubauen. Im September haben wir einen neuen Compliance-Officer eingestellt und zudem die Compliance-Organisationen in China und Asien-Pazifik verstärkt. Der Prozess in der EU ist abgeschlossen. Natürlich kann ich nicht ausschließen, dass wir nochmals mit Problemen aus der Vergangenheit konfrontiert werden. Entscheidend ist, dass wir uns in Zukunft korrekt verhalten und keine weiteren Verstöße vorkommen. Daran arbeiten wir. Und deshalb hat das Thema Compliance auch besondere Priorität im Rahmen unseres Programms One Schaeffler.
Teil von One Schaeffler ist das Thema Business Portfolio. Erwarten Sie Zukäufe oder wollen Sie sich von Unternehmensteilen trennen?
Rosenfeld: Wir werden mit Sicherheit nicht übermorgen etwas dazukaufen. Stattdessen konzentrieren wir uns wie bisher auf unser organisches Wachstumspotenzial. Gleichzeitig ist in einem innovativ und modern geführten Unternehmen die regelmäßige Überprüfung und die ständige Weiterentwicklung des Geschäftsportfolios eine Selbstverständlichkeit. Hier gibt es sicherlich Nachholbedarf.
Wie stellt sich Schaeffler künftig auf?
Rosenfeld: Wir verfolgen bewusst ein integriertes Modell. Mit zwei Sparten, Automotive und Industrial, weltweit aufgestellten Funktionen und starken Regionen. Das zeigt sich auch in der Vorstandsbesetzung. Bei uns gibt es Divisions- und Funktionsvorstände. Außerdem sitzen unsere vier regionalen CEOs mit am Tisch. Nehmen Sie die Position des Technologievorstands. Dieser kümmert sich nicht nur um den Bereich Automotive, sondern auch um den Industriesektor. Wir wollen ganz bewusst Zusammenarbeit über Spartengrenzen hinweg, auch wenn das naturgemäß nicht immer reibungsfrei ist. Entscheidend ist, dass wir uns gut vernetzen und nach außen geschlossen agieren.
Gutzmer: Wir waren in der Vergangenheit eher Komponenten-orientiert aufgestellt. Jetzt verfolgen wir sehr viel stärker ein Baukastenprinzip, wie man es auch von den Automobilherstellern kennt. Und aus diesen Baukästen bedienen sich auch die einzelnen Branchen für Ihre kundenspezifischen Lösungen. Zudem haben wir unsere Gesamtsystem- und Simulationskompetenz deutlich ausgebaut, auch in den Regionen. Wir optimieren und ergänzen unser Produktportfolio aus einer gestärkten Gesamtfahrzeugsicht.
Wie soll es mit dem Schuldenabbau bei Schaeffler weitergehen?
Rosenfeld: Die Schaeffler Gruppe ist solide finanziert. Ein wichtiger Schritt dafür war unser Kapitalmarktdebüt im Jahr 2012, mit dem wir uns eine zweite wichtige Refinanzierungsquelle erschlossen haben. Anschließend haben wir durch eine Reihe von Transaktionen Schritt für Schritt die Zinsbelastung gesenkt, unsere Laufzeiten verlängert und mehr Flexibilität geschaffen. Dies gilt sowohl für die operative Verschuldung als auch für die Verschuldung der Holdinggesellschaften. Das war letztlich nur möglich aufgrund des starken operativen Geschäftes und des Vertrauens, das wir seit 2012 am Kapitalmarkt aufgebaut haben.
Aber die Verschuldung ist immer noch hoch. Kann das Unternehmen damit leben?
Rosenfeld: Die Struktur, die wir geschaffen haben, ist tragfähig. Wir generieren ausreichend Cash-flows, um unsere Wachstumsinvestitionen aus eigener Kraft zu finanzieren. Die Zinslast haben wir nahezu halbiert. Es verbleiben nachhaltig positive Free Cash-flows. Wenn man vergleicht, wo wir 2009 und 2010 standen, hat sich die Situation signifikant verbessert.
Aber Sie müssen aus dem operativen Geschäft auch noch die Schulden der Holding bedienen...
Rosenfeld: Auch in dieser Hinsicht können wir heute deutlich ruhiger schlafen als noch vor ein paar Jahren.
Sie verfolgen beim Schuldenabbau also weiter die Politik der kleinen Schritte?
Rosenfeld: Die Politik der kleinen Schritte hat sich bewährt. Dort, wo wir unsere Kapitalstruktur kontinuierlich weiter verbessern können, werden wir dies auch in Zukunft tun. Die Grundstruktur steht. Wir sind heute deutlich flexibler. Zudem beobachten wir laufend die Entwicklung der Kapitalmärkte. Handlungsbedarf sehe ich aktuell nicht. Im neuen Jahr wollen wir uns insbesondere auf unser Kundengeschäft und unsere Wachstumspläne konzentrieren.
Vermissen Sie in Deutschland eine Förderung der Elektromobilität?
Gutzmer: Am Ende des Tages entstehen Leitmärkte durch Förderung. China ist ein gutes Vorbild dafür, wie man nicht nur durch Incentives, sondern auch durch Industriepolitik ganz gezielt Schwerpunkte setzt. Wir sind der Überzeugung, dass China um das Jahr 2020 und danach in der Elektromobilität eine Rolle als Leitmarkt einnehmen wird.
Und das wird Deutschland nicht schaffen?
Gutzmer: Deutschland wird das aus der Substanz und Kompetenz der Industrieunternehmen erreichen, aber nicht in vergleichbarem Maße durch die Anstrengungen der Politik.
Wo wird Schaeffler in zehn Jahren stehen?
Rosenfeld: Unser Ziel ist es, die Schaeffler-Gruppe zu einem innovativen, agilen, in seinen Kompetenzen und Produkten gut ausbalancierten, global tätigen Technologieunternehmen weiterzuentwickeln. Wir wollen ein Unternehmen sein, dass seinen Kunden als verlässlicher Partner beständig Mehrwert liefert, ein Unternehmen, für das Menschen gerne arbeiten. Wenn die Schaeffler-Gruppe dann auch noch nachhaltig profitabel wächst, dann haben wir unser Ziel erreicht.