„Wir brennen fürs Coden“

Jeden Morgen fährt Wolfgang Hackenberg am Wolfsburger VW-Werk vorbei. Mehr als 60.000 Menschen verrichten hier im Schichtbetrieb Schwerstarbeit. Das Werk in Wolfsburg ist das größte in Europa. Hackenberg will mit seinem Team die Arbeit am Band revolutionieren.

Im Norden des Werks, in der IT-City von VW, hat er für sich und sein Team von 36 IT-Experten ein Test- und Forschungslabor aufgebaut, das Smart Production Lab. „Wir treiben gemeinsam mit unseren Kollegen aus den Fachbereichen die Digitalisierung der Produktion und Logistik voran“, sagt Hackenberg.

Im Kern geht es um die IT-Entwicklung für die Produktion. Vorgegangen wird mit sogenannten agilen Methoden. „Früher haben wir intensiv mit IT-Dienstleistern zusammengearbeitet und fertige Software-Lösungen zugekauft“, sagt Hackenberg. „Aber die Produktion in den Werken wird sich so grundlegend ändern, dass wir diese Kompetenz nicht mehr externen Dienstleistern überlassen wollen.“

Hackenberg und sein Team wollen eigene Software und Systeme entwickeln, die optimal auf die speziellen Erfordernisse von Volks­wagen ausgerichtet sind. „Wir als Unternehmen wissen selbst sehr genau, welche Technologien wir künftig brauchen und einsetzen können“, sagt Hackenberg. „Außerdem haben wir im Lab große Lust darauf, selbst zu programmieren und die richtige Software für unsere Belange auszutüfteln.“

Das Team im Smart Production Lab ist bunt gemischt. Hier arbeiten Programmierer, Robotik-Experten, Ingenieure und Software-Designer, die zum Beispiel von der ETH Zürich, der TU München oder dem Robotics Innovation Center des Deutschen Forschungszen­trums für Künstliche Intelligenz (DFKI) nach Wolfsburg gekommen sind. Unterstützung bekommt das Lab durch Forschungsprogramme vom Bund und der EU, ­zudem arbeitet Hackenbergs Team eng mit Forschungseinrichtungen wie dem Fraunhofer-Institut oder dem DFKI zusammen. „In der heutigen Fabrik arbeiten Mensch und Roboter nicht zusammen. Entweder sind Mensch und Roboter durch Schutzzäune oder andere Barrieren voneinander getrennt, oder ihre Arbeitsschritte sind so ­organisiert, dass sie nacheinander erfolgen. Wir wollen echte Zusammenarbeit“, sagt Hackenberg.

Schwierig ist der Übergabe­prozess des Kupplungsrings von einem Greifarm zum anderen. ­Beide Arme müssen für den Bruchteil einer Sekunde gleichzeitig den Kupplungsring halten und das ­Gewicht ausgleichen, bevor der erste loslässt und der zweite ­übernimmt. Dann wird der Ring auf die Getriebewelle gesetzt. Auch hier gilt: Der Arm darf keine übermäßige Kraft anwenden, sondern muss behutsam arbeiten, sonst würde er das Material beschädigen.

Die Sensoren und Kameras des ­Roboters ­behalten die Umgebung im Blick und registrieren, obsich ­jemand den Greifarmen ­nähert oder nur am ­Roboter vorbeigeht. Der Roboter erkennt, oberdie Montage ­anhalten und ­womöglich vor dem sich nähernden Menschen zurückweichen muss, oder ob er weiterarbeiten kann, weil keine Kollisionsgefahr besteht. „Klar ist: Der Mensch hat ­gegenüber dem Roboter absoluten Vorrang. Die Greif­arme sind vernetzt, der Roboter ­registriert kleinste Bewegungen inihrer ­Umgebung, lässt sie ausweichen oder stoppen, falls nötig“, sagt ­Hackenberg. Diese Techno­logie wird schon in ersten Teilen in ­produktionsnaher Umgebung ­getestet.

Im Lab wird parallel aber schon an der nächsten Stufe gearbeitet: Die Greifarme bekommen künftig einen mobilen Unterbau. „Hierbei stehen wir noch am Anfang“, sagt Hackenberg. Sein Team testet derzeit, ob die Greifer des Roboters drei oder fünf Finger bekommen, denn die Roboter sollen mit den gleichen Werkzeugen arbeiten können wie der Mensch. Beispielsweise sollen sie einen Akkuschrauber greifen können und mit dem anderen Arm den Gegenstand ­halten, um ihn etwa über Kopf zu montieren. „Werker und Roboter sollen künftig im Team arbeiten können. Der Roboter wird dabei auf Befehl des Menschen ergonomisch belastende Arbeit übernehmen“, sagt Hackenberg.

Mit einer kleineren Version arbeitet ein anderes Team daran, den ­Robotern Orientierung zu geben. In einem kleinen Raum neben den Büros der Entwickler haben sie ­einen Greifarm auf eine Platte mit Rollen geschraubt und an den Ecken des fahrbaren Untersatzes Sensoren befestigt. Bekommt der Roboter nun das Signal, zur Palette in der linken Ecke des Raums zu fahren, tastet er sich durch einen Parcours von gelben Styropor-­Blöcken. Stellt sich ihm einer der Entwickler in den Weg, weicht er zurück und versucht, an ihm vorbeizufahren.

„Wir wollen Robotern Verhaltensweisen beibringen“, sagt ­Hackenberg. Denn sie sollen auf Befehl Werkzeug und Bauteile ­anreichen können, sich dabei autonom bewegen und zum Beispiel bei ­einem Rettungseinsatz selbstständig ausweichen. „Ein Mensch versteht das sofort, aber Roboter müssen von Grund auf programmiert werden, um zu erkennen: ‚Ich muss hier dringend aus dem Weg‘“, sagt Hackenberg.

Dazu gehört auch, dass Hackenberg und sein Team Produktionsschritte analysieren und Lücken in der Fertigung mit dynamischen ­Algorithmen ausgleichen. „Wir ­unterstützen hier unsere Kollegen aus der Produktion und Logistik, ihre Produktionsstrategie der Zukunft umzusetzen“, sagt Hackenberg. In Zukunft wird man sich dort, wo essinnvoll ist, von der heutigen ­liniengebundenen Produktion ­lösen und die Fertigung durch ­mobile Robotik und einzelne Fertigungsinseln noch flexibler ge­stalten.

Da die Produktionsschritte dann nicht mehr stringent aufeinander folgen, kann es vorkommen, dass dem Fabrikarbeiter an einer Insel Teile für den nächsten Arbeitsschritt fehlen. „Damit keine Lücke im Ablauf entsteht, könnte die Software dem Werker vorschlagen: ‚Baue erst mal ein anderes Teil ein, denn der Roboter bringt das fehlende Teil aus dem Lager an eine andere Fertigungsinsel‘“, sagt der IT-Experte und fügt hinzu: „Bis es so weit ist, werden wir noch so manchen Code schreiben, verwerfen, neu schreiben – und so manches Kickerturnier im Smart Production Lab austragen. Wir brennen fürs Coden. Und hier können wir unsere Leidenschaft perfekt einsetzen.“

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