Die Autoindustrie ist eine Ausnahmebranche – nicht nur wegen ihrer volkswirtschaftlichen Bedeutung, sondern auch wegen ihrer eindrucksvollen Innovationsstärke in den vergangenen 125 Jahren. Ein Auto von heute hat mit seinen Vorgängern aus den vergangenen Jahrzehnten fast nur noch den Gattungsbegriff gemein – das Level an Sicherheit, Komfort und Zuverlässigkeit ist kaum vergleichbar. Bemerkenswert ist, dass die Innovationsfreude nicht in erster Linie durch neue Wettbewerber in die Branche getragen wurde. Im Gegenteil: Es waren die großen Automobilhersteller und Zulieferer, die Innovation als Teil ihrer DNA begriffen, sich kontinuierlich neu erfanden und den Kunden damit ständig bessere Produkte anbieten konnten. Die Autoindustrie glich dabei lange einem feinen Club mit überschaubarer Mitgliederstärke.
Dies ändert sich grundlegend. Quasi durch die Hintertür – vom Türsteher unbemerkt – bekommt der Club täglich neue Mitglieder: Software-Unternehmen, die ein Auge auf die Daten aus dem Auto geworfen haben oder gleich den Fahrer durch Software ersetzen wollen; Hardwarehersteller, die mit ihrer Technik wie zum Beispiel Lidar Autos besser sehen lassen; oder Mobilitätsdienstleister, die uns eine komfortablere und günstigere Art der Fortbewegung versprechen.
Diese neuen Wettbewerber – vom sprichwörtlichen Garagen-Start-up bis hin zum Internetgiganten – tragen kluge Ideen in die Autoindustrie. Sie sind eine Bereicherung.
Mittlerweile nimmt jeder Platzhirsch diese neue Konkurrenz ernst, hat sich doch die Erkenntnis durchgesetzt, dass kein OEM oder Zulieferer – sei er noch so groß – alle notwendigen Kompetenzen für Connectivity und autonomes Fahren, für Elektrifizierung und Shared Mobility alleine vorhalten kann.
Neue Zahlen belegen diese Offenheit: Seit dem Jahr 2010 wurden 111 Milliarden Dollar in Start-ups aus den oben genannten Bereichen investiert. Allein 2017 waren es fast 30 Milliarden Dollar. Autonomes Fahren regt die Fantasie der Investoren dabei besonders an: Fast ein Drittel derInvestitionen ging in dieses Feld, gefolgt von User-Interface-Lösungen und Sensoren/Chiptechnologie.
Es wächst nun also zusammen, was für die Mobilität des 21.Jahrhunderts zusammengehört. Ein Wort der Warnung in Richtung Autoindustrie ist dennoch angebracht: 95 Prozent der Investitionen in diese Start-ups stammten aus der Tasche von Risikokapitalgebern und Tech-Unternehmen, nur fünf Prozent hat die Autoindustrie aufgebracht. Zwar sind Hersteller und Zulieferer in ihren eigenen Entwicklungsabteilungen auch bei Zukunftstechnologien sehr innovativ – das belegt die Anzahl der Patente beim autonomen Fahren. Doch das wachsende Interesse neuer Spieler ist ein klares Signal an die Branche, sich über die eigenen Stärken und Schwächen bewusst zu werden – und sich durch kluge Zukäufe eine gute Wettbewerbsposition zu erarbeiten.
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