Stuttgart. Lange hatte man den Eindruck, der Daimler-Konzern habe den Wandel zur Elektromobilität ein wenig verbummelt. In den vergangenen Monaten musste sich das Unternehmen hauptsächlich für auffallend hohe Stickoxid-Werte bei manchen Dieselmodellen oder den ausverkauften E-Smart der alten Generation rechtfertigen, während sich der VW-Konzern nach dem Abgas-Skandal bereits als geläuterter Vorreiter sauberer Antriebe inszenierte und ein E-Auto-Konzept nach dem anderen präsentierte. Doch nun kommen die Stuttgarter aus der Deckung. Bei einer Veranstaltung mit Journalisten präsentierte Entwicklungschef Thomas Weber die breit angelegte Strategie für saubere Antriebe. Sie setzt auf Elektro- und Brennstoffzellenfahrzeuge, aber auch auf effiziente und saubere Verbrennungsmotoren. "Wir können Fakten sprechen lassen", sagte Weber selbstbewusst.
Wie Mercedes saubere Autos bauen will
Trotz Abgas-Diskussion setzt Mercedes auch weiterhin auf Diesel und Benziner. Die Debatte um den Selbstzünder sei in den vergangenen Monaten oft von "Falschbehauptungen und Halbwahrheiten" geprägt gewesen, monierte Weber. Er verweist stattdessen auf eine neue Generation von sauberen und effizienten Aggregaten, die in den nächsten Jahren auf den Markt kommen soll. So hat Mercedes bereits in der neuen E-Klasse einen Diesel-Motor eingebaut, der im Schnitt nur rund vier Liter braucht und kaum mehr als 100 Gramm CO2 pro Kilometer ausstößt. Auch der Ausstoß an Stickoxiden wurde drastisch reduziert.
Der Trick dabei ist, dass durch einen muldenförmigen Kolben schon bei der Verbrennung weniger Abgase entstehen. Zudem findet die Nachbehandlung erstmals direkt am Motor statt, es müssen keine langen Wege überbrückt werden. Von der Prüforganisation Dekra ließ sich Daimler jüngst bestätigen, dass der OM 654 auch unter realen Bedingungen auf der Straße den Grenzwert von derzeit 80 mg/km um mehr als die Hälfte unterbieten kann. Von den 50.000 bereits produzierten neuen E-Klasse werde ein hoher Anteil mit diesem sauberen Motor auf die Straße kommen, sagte Weber. Basierend auf dem OM 654 entsteht so eine ganz neue Diesel-Motoren-Familie, die in vielen Modellen bis hin zur V-Klasse eingesetzt werden kann.
2017 folgt eine neue Generation von Benzinern, die ebenfalls Maßstäbe setzen soll und erstmals über einen Partikelfilter verfügt. Damit will man einer erwarteten schärferen Gesetzgebung bereits jetzt Rechnung tragen. Beim M 256 handelt sich um einen Reihensechszylinder mit einem integrierten Starter-Generator (ISG). Dieser ersetzt Lichtmaschine und Anlasser und versieht seinen Dienst etwa auch bei einem Kaltstart. Damit lässt sich zusätzlich Kraftstoff einsparen. Er soll zuerst in der dann modellgepflegten S-Klasse zum Einsatz kommen. In der neuen Familie von Benzinmotoren ist auch ein Vierzylinder mit riemengetriebenem Starter-Generator (RSG) vorgesehen.
Um die Effizienz weiter zu steigern, sollen die Autos in den kommenden Jahren allesamt mit einem 48-Volt-Bordnetz ausgerüstet werden. Damit sind Funktionen der Hybridtechnologie wie Bremsenergierückgewinnung oder das elektrische Anfahren möglich, für die bisher ein Hochvoltnetz mit eigener Sicherheitsarchitektur benötigt wurde. "Damit elektrifizieren wir praktisch die gesamte Flotte und machen aus unseren Verbrennungsmotoren High-Tech-Power-Packs", so Weber. In die Entwicklung der neuen Motoren-Generationen fließen mehrere Milliarden Euro.
Eine weitere Säule für die nachhaltige Mobilität bei Mercedes sind Elektroantriebe. Als Brückentechnologie setzt Mercedes dabei auf die Kombination von Verbrennungsmotor und an der Steckdose aufladbarer Batterie. Bis zum nächsten Jahr soll die Zahl der verfügbaren Plug-In-Modelle von derzeit acht auf zehn wachsen. Die Reichweite für das rein elektrische Fahren soll sich dabei bis 2018 von 30 auf 50 Kilometer erhöhen. Der Vorteil vom Plug-In-Hybrid ist die Kombination aus großer Reichweite des Verbrenners mit phasenweisem abgasfreiem Fahren. Auf langen Strecken relativiert sich der Verbrauchsvorteil gegenüber einem sparsamen Diesel allerdings.
Aber auch bei den reinen Elektroautos tut sich was. So soll auf dem Autosalon in Paris Anfang Oktober das Konzept eines neuen E-Modells auf Basis eines Geländewagens vorgestellt werden, das eine völlig neue Batterie-Architektur enthält. "Damit können wir die jeweils besten auf dem Markt verfügbaren Zellen integrieren", sagte Harald Kröger Entwicklungsleiter des Elektroprogramms. Die Batterien werden bei der Tochter Accumotive im sächsischen Kamenz gebaut. Für eine Erweiterung der Produktionsflächen hatte Daimler jüngst Investitionen in Höhe von 500 Millionen Euro angekündigt.
Das neue Elektro-Auto soll bis Ende des Jahrzehnts auf den Markt kommen und eine Reichweite von rund 500 Kilometern haben. Im Moment hat Mercedes bei den Pkw nur die elektrische B-Klasse im Angebot, die sich allerdings nicht gerade als Verkaufsschlager erweist. Der E-Smart der alten Generation ist bereits ausgelaufen und deshalb nicht mehr erhältlich. Er war seit 2010 mit weltweit rund 10.000 verkauften Exemplaren eines der erfolgreichsten E-Autos. Von der neuen Generation des Fortwo und Forfour, die von Ende des Jahres an zunächst in den USA erhältlich ist und im Oktober auf dem Autosalon in Paris gezeigt wird, erhoffen sich die Daimler-Manager einen deutlichen Absatz-Schub. In den USA wurde zuletzt jeder vierte Smart mit Batterie geordert. Die Reichweite bleibt bei rund 100 Kilometern, was für ein Stadtauto ausreichend sein dürfte.
"Wir wollen bis 2020 eine sechsstellige Zahl an Elektrofahrzeugen von Smart und Mercedes auf der Straße haben", kündigte Weber an. Dies wäre ein Zehntel der von der Bundesregierung angepeilten eine Million E-Autos. Dazu zählen allerdings auch Plug-In-Hybride. Weber rechnet mit großen Fortschritten sowohl bei Ladetechnik und Ladeinfrastruktur. So soll das Laden bei der S-Klasse mit Plug-In-Hybrid von 2017 an über ein Induktionsfeld unter dem Auto möglich sein. Zum Ausbau der Elektromobilität gehört auch das Geschäft mit stationären Batteriespeichern. Dafür hatte Daimler kürzlich die Mercedes-Benz Energy GmbH gegründet.
Ein wichtiger Teil der Strategie für saubere Autos ist das Brennstoffzellenfahrzeug, das 2017 auf der IAA offiziell Premiere hat und erstmals ausgewählten Journalisten präsentiert wurde. Nachdem der Wasserstoff-Antrieb bisher hauptsächlich in der B-Klasse erprobt wurde, basiert das erste Serienfahrzeug auf dem weltweit erfolgreichen Geländewagen Mercedes GLC. Äußerlich wurde das Auto kaum modifiziert. Den Entwicklern ist es gelungen, die Brennstoffzelle erstmals so zu konzipieren, dass sie bequem in den normalen Motorraum passt. Was bisher nicht bekannt war: Das Auto erhält zusätzlich eine Batterie, die an der Steckdose aufgeladen werden kann. "Mit der spontanen Leistungsfähigkeit der Batterie und der großen Reichweite der Brennstoffzelle haben wir eine ideale Kombination", sagte Harald Kröger. Der Plug-In-Hybrid soll 500 Kilometer weit kommen, davon 50 Kilometer nur mit Batterie. Der Preis steht noch nicht fest. Für das erste volle Jahr rechnet man bei Mercedes mit einem vierstelligen Absatz.
Obwohl es um die Brennstoffzelle zuletzt ruhig geworden ist, glaubt man bei Daimler nach wie vor, dass sich die Technologie gegenüber dem reinen Elektroantrieb behaupten kann. "Wir waren sehr lange allein, aber jetzt springen alle auf den Zug auf, das stimmt uns zuversichtlich", sagte Kröger. Neben den deutschen arbeiten auch amerikanische, südkoreanische und japanische Hersteller an dem Thema. Mit dem Mirai hat Toyota bereits ein Brennstoffzellenauto auf dem Markt, Honda folgt noch in diesem Jahr mit dem Clarity. Die Verkaufszahlen des Mirai für Deutschland sind jedoch überschaubar.
Der große Vorteil der Brennstoffzelle, so Kröger, sei neben der guten Reichweite die kurze Betankungszeit von nur drei Minuten, die Stromladesäulen nicht erreichen könnten. Damit müsse auch das Netz an Wasserstofftankstellen nicht so dicht geknüpft werden, weil viel mehr Autos bedient werden könnten. Außerdem sei die Brennstoffzelle auch für schwere Fahrzeuge wie Busse oder Lkw geeignet. Bis Ende 2016 soll es laut der Initiative Clean Energy Partnership, zu der neben Daimler auch die Unternehmen Total und Linde gehören, rund 50 Wasserstofftankstellen in Deutschland geben. Die meisten davon stehen in den großen Ballungsräumen oder an Autobahnen. Bis zum Jahr 2023 soll die Zahl auf 400 steigen.