Wie die Kleinen die Großen ärgern

Daimler-Chef Dieter Zetsche hob beim vergangenen Automobilwoche Kongress in Berlin angesichts der dramatischen Veränderungen der Automobilindustrie mahnend den Zeigefinger: "Bei großen Transformationen in der Industrie sind die Platzhirsche der alten Welt nicht typischerweise auch die der neuen." Noch deutet nichts darauf hin, dass Daimler, VW und Co. in Zeiten von Elektromobilität, Digitalisierung und automatisiertem Fahren ihren Platz unter den großen Autobauern verlieren könnten.

Doch mit den neuen Technologien drängen neue, selbstbewusste Spieler auf den Markt. Die Kleinen können dabei viele Vorteile ausspielen. Produktion und Vertrieb lassen sich auf dem Papier völlig neu denken. Die Start-ups schleppen keine Altlasten in Form von ineffizienten Fabriken oder überdimensionierten Händlernetzen mit. Und Komponenten für Stromer lassen sich heute einfach zukaufen.

Die Automobilwoche hat die spannendsten Herausforderer zusammengestellt und bewertet ihre jeweiligen Marktchancen.

Die Marke Micro ist bisher vor allem Fahrern von kleinen Tretrollern und Kickboards ein Begriff. Mit den Lifestyle-Produkten löste der Schweizer Wim Ouboter einen Hype aus. "Nicht mehr als nötig", lautet sein Erfolgsrezept. Das will er nun auf ein neuartiges Elektroauto übertragen.

Der Microlino ist die moderne Wiederkehr des Kultautos Isetta. Ohne Schnickschnack, dafür mit Fronteinstieg und bis zu 215 Kilometer Reichweite. Gebaut wird das Auto von 2018 an vom italienischen Elektro-Spezialisten Tazzari. Der Microlino soll bei 12.000 Euro starten. Angeblich liegen Ouboter schon mehr als 2500 Vorbestellungen vor.

Marktchancen: Mit seinem knuffigen Aussehen und den knalligen Farben fliegen dem Microlino die Herzen zu. Doch reicht das? Wie der Twizy von Renault fällt er in die Kategorie der Leichtfahrzeuge, hat weniger Insassenschutz und kaum Komfort. Wer etwas mehr anlegt, bekommt mit dem e.GoLife oder dem E-Smart bereits ein nahezu vollwertiges Auto. Für mehr als die Nische dürfte der Microlino daher kaum taugen.

Bei schweren Lkw für die Langstrecke ist der Diesel bisher konkurrenzlos. Das will Nikola Motor ändern. Gründer Trevor Milton sieht sich ähnlich wie Elon Musk als Disruptor einer ganzen Industrie. Vom legendären Elektroingenieur Nikola Tesla hat sich Milton den Vornamen für sein Unternehmen gesichert.

Aufsehen entfachte vor wenigen Wochen das Engagement von Bosch bei Nikola Motor. So will der Zulieferer das komplette elektrische Antriebssystem mitsamt der Brennstoffzelle für die Batterieversorgung liefern. Der Truck mit futuristischem Design soll über 1000 PS haben und mit einer Wasserstoff-Ladung fast 2000 Kilometer weit kommen. Der Produktionsstart ist für das Jahr 2021 geplant.

Marktchancen: Bisher ist Trevor Milton vor allem durch aggressive Ankündigungen im Stile eines Elon Musk aufgefallen. Durch das Engagement von Bosch aber hat das Projekt an Ernsthaftigkeit gewonnen. Der schwäbische Zulieferer verspricht sich davon ein gutes Geschäft. Der Erfolg wird vor allem davon abhängen, wie niedrig die Betriebskosten am Ende im Vergleich zu einem Diesel-Lkw tatsächlich sind und ob es eine Infrastruktur für H2 gibt.

Das Projekt "aCar mobility – Ländliche Mobilität in Entwicklungsländern" der TU München klingt sehr akademisch. Doch das soll es nicht bleiben. Die Forscher haben ein Elektro-Nutzfahrzeug entwickelt, das auf die Bedürfnisse des afrikanischen Kontinents zugeschnitten ist. Es ist robust, geländegängig und schafft mit einer Batterieladung immerhin 80 Kilometer. Auf der Pritsche kann bis zu einer Tonne Last transportiert werden. Hinzu kommen Aufbauten wie etwa für den medizinischen Einsatz. Der Preis für das Basis-Fahrzeug in Afrika soll langfristig unter 10.000 Euro liegen.

Aus dem Projekt heraus wurde die Evum Motors GmbH gegründet. In einer Modellfabrik sollen nun die ersten Fahrzeuge in Europa gefertigt und afrikanisches Personal geschult werden, um eine Produktion vor Ort aufzubauen.

Marktchancen: Die Idee ist bestechend und folgt dem Trend, dass Elektroautos stärker als bisher konventionelle Autos auf den jeweiligen Anwendungsfall zugeschnitten sind. Auch wenn der Bedarf für einen elektrischen Mini-Unimog sicherlich vorhanden ist, so sind die Hürden hoch. Es fehlt an einer Vertriebsstruktur, die in Afrika noch schwerer zu etablieren ist als in Europa. Wenn nicht ein kapitalkräftiges Unternehmen aufspringt, dürfte das aCar schnell als gut gemeinte Idee des Hochschulbetriebs versanden.

Er ist neben Tesla-Chef Elon Musk wohl die schillerndste Persönlichkeit im Reigen der automobilen Newcomer. Der britische Staubsauger-König Sir James Dyson will 2020 ein eigenes batterieelektrisches Auto auf die Straße bringen. Der 70 Jahre alte Erfinder hat nach eigenem Bekunden 2,3 Milliarden Euro in die Fahrzeugentwicklung und in die Erforschung einer alltagstauglichen Festkörperbatterie gesteckt. Angeblich sind bereits mehr als 400 Mitarbeiter an dem Projekt beteiligt. Dyson meint es also ernst.

Marktchancen: Man sollte Dyson nicht als Spinner abtun. Dyson hat mit dem Aufbau seines Staubsauger- und Haartrockner-Imperiums bewiesen, dass er mit innovativer Technik in einem gesättigten Markt Fuß fassen kann. Er hat Ahnung vom Vertriebsgeschäft und hat sich mit kompetenten Leuten umgeben – vor wenigen Tagen erst heuerte er den bisherigen Chief Operating Officer des Blackberry-Herstellers Research in Motion als neuen Chief Executive seiner Autosparte an. Zudem steht die britische Regierung begeistert hinter Dysons Vorhaben.

Die Crowd schwärmt von diesem schwedischen E-Auto-Konzept, das 2015 auf Basis eines Projektes der Universität Lund entwickelt worden ist. Das Start-up Uniti hatte nach wenigen Stunden 70 Prozent der angepeilten Start-Finanzierung von 500.000 Euro beisammen.

Der Betrag soll den Bau eines ersten Prototypen ermöglichen. Das Konzept ähnelt der Ur-Idee des Smart: Nur 400 Kilogramm schwer soll der Stadtflitzer sein und sich mit zwei Sitzen – hintereinander – begnügen. Dafür reicht dann ein Motörchen mit nur 15 Kilowatt, die kleine Batterie soll dennoch für 150 Kilometer Reichweite gut sein.

Marktchancen: Gut gemeint. Aber 15 motivierte Uni-Mitarbeiter reichen bei weitem nicht aus, um ein sicheres Auto zu entwickeln und bis zur Serienreife zu treiben. Es fehlt ein industrieller Partner und zig Millionen für den entscheidenden Schritt vom CAD-Modell zum Prototypen.

Die RWTH Aachen spuckt Start-ups am laufenden Band aus. Rasant entwickelt hat sich die Ausgründung e.GO Mobile AG. Professor Günter Schuh, der auch schon den StreetScooter erfunden hat, gründete das Unternehmen 2015 mit dem Ziel, ein kleines und günstiges E-Auto zu bauen.

Vor wenigen Tagen kündigte e.GO nun an, das zweisitzige Stadtauto e.Go Life, den autonom fahrenden Elektro-Kleinbus e.GO Mober und den Viertürer e.GO Booster von 2018 an beziehungsweise von 2019 an in Aachen zu produzieren. Bereits 2022 will der kleine Autobauer mit 2000 Mitarbeitern drei Milliarden Euro Umsatz machen.

Marktchancen: Hier sind Profis am Werk, die das Autogeschäft in- und auswendig kennen. Doch e.GO hat bislang, anders als bei Streetscooter, noch keinen finanzstarken Partner.

Der in Aachen gebaute Streetscooter ist der fahrende Beweis dafür, dass Autobauer häufig nicht genug Fantasie und Mut haben, echtes Neuland zu betreten. Eigentümer des elektrischen Lieferwagen-Herstellers ist die Deutsche Post.

Im Juni 2018 soll in Düren bereits ein zweites Werk mit einer Kapazität von 10.000 Fahrzeugen die Produktion aufnehmen. Die Gesamtkapazität soll dann bei 20.000 Einheiten liegen. 3000 Streetscooter sind für die Post aktuell im Einsatz.

Marktchancen: Streetscooter steht erst am Anfang. Kunden in ganz Europa stehen Schlange. Die Post ist mit Streetscooter in eine Riesenlücke gestoßen, die die meisten Autobauer nicht gesehen haben.

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