Daimler-Betriebsratschef Michael Brecht war jüngst mit seinen Amtskollegen von Volkswagen, BMW & Co. bei Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) in Berlin zu Gast. Draußen flirrte die Sommerhitze, drinnen versuchten die Arbeitnehmervertreter auszuloten, was sie noch retten können bei der Frau, die aus ihrer Sicht zu einer Bedrohung für die Jobs in der Autoindustrie zu werden droht. „Immerhin sind unsere Argumente gehört worden, das war ein gutes Zeichen“, sagt Brecht zum Verlauf des Gesprächs.
Die geplante Verschärfung der CO2-Grenzwerte in der Europäischen Union sorgt die Arbeitnehmer zutiefst. Die EU-Kommission hat ihren Vorschlag bereits auf den Tisch gelegt. Sie fordert bis 2030 eine Reduzierung des Flottenausstoßes bei Neuwagen um 30 Prozent gegenüber dem Referenzwert von 2021. Dieser liegt im Schnitt bei 95 Gramm je Kilometer, hängt aber vom Gewichtsmix ab.
Schon der Vorschlag der Kommission gilt als äußert ambitioniert. Doch die Umweltministerin und mit ihr Teile der sozialdemokratischen Parteien im Europaparlament packen noch eins drauf: Sie wollen eine härtere Gangart gegenüber der Autoindustrie, die aus Sicht vieler Politiker im Dieselskandal ihre Glaubwürdigkeit verspielt hat. Schulze fordert 50 Prozent weniger klimaschädliche Abgase durch Neuwagen bis 2030, bis 2025 sollen bereits 25 Prozent erreicht werden.
Noch weiter gehen einflussreiche Umweltverbände wie das International Council on Clean Transportation (ICCT) oder die Deutsche Umwelthilfe, die teils eine Reduzierung bis 2030 von 60 bis zu 75 Prozent verlangen. Dies würde einem Verbrauch von weniger als 1,5 Liter pro 100 Kilometer entsprechen (siehe Interview mit ICCT-Manager Peter Mock).
Das ist nicht nur technisch kaum zu bewältigen, die Extremforderungen treffen die Autoindustrie auch noch mitten in ihrem größten Wandel. Digitalisierung und automatisiertes Fahren fressen die Entwicklungsbudgets auf und belasten die Profitabilität. Die Umstellung auf den neuen Prüfzyklus WLTP kostet Geld und bindet Kapazitäten, der Antriebsmix muss verbreitert werden. Und am besten alles zeitgleich.
Allein der Volkswagen-Konzern will bis zum Jahr 2022 mehr als 34Milliarden in Elektromobilität und Digitalisierung investieren. „Alles in allem macht diese Transformationssituation die Hersteller verletzlich, wenn in ihr Bestandsgeschäft durch Regulierung zusätzlich stark eingegriffen wird“, sagt Thomas Puls vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in einem Report zur europäischen CO2-Regulierung.
Dabei geht es um mehr als eine schrumpfende Rendite beim E-Auto, wie sie VW-Chef Herbert Diess jüngst prognostiziert hat. Es geht um den Industriestandort Deutschland und den deutschen Arbeitsmarkt.