Wenn Daimler-Chef Dieter Zetsche wieder einmal mit Turnschuhen und Jeans auftritt, runzelt heute niemand mehr die Stirn. Womöglich liegt in diesem Kulturwandel das größte Verdienst von Tesla-Gründer und Technik-Guru Elon Musk.
Der Kalifornier hat den VWs und Toyotas dieser Welt gezeigt, dass nur demjenigen Autobauer die Zukunft gehört, der neben technologischer Spitzenleistung auch zu einem kulturellen Wandel fähig ist,der das ganze Unternehmen erfasst. Es geht um Agilität, Mut zur Innovation und vernetztem Denken.Zetsches Vorbild sind hierbei die allgemein für schwerfällig gehaltenen Nashörner. Als er 2016 seine Elektro-Offensive vorstellte, nahm er sich die klassischen Vorbehalte gegen Schwergewichte wie Daimler vor: „Nashörner sind trotz ihrer Größe erstaunlich schnell.“ Es komme eben wie bei den Nashörnern auf eine kluge Aufgabenteilung an: „Die Jungen suchen neue Wege. Die Alten sichern nach hinten ab.“Wehe, wenn das Nashorn losrennt
Mit den Produktionsproblemen bei dem seit Juli gebauten ersten Tesla-Volumenmodell Model 3 muss sich Musk erstmals mit den Niederungen der Fertigung herumschlagen. Zur Erinnerung: 2016 lieferte das Unternehmen 76.230 Einheiten des Model S und des Model X aus – angepeilt waren 80.000.
„Es ist nicht unrealistisch, wenn man von null auf 5000 oder 10.000 Einheiten kommen will“, sagt Brett Smith vom US-Beratungsinstitut Center for Automotive Research. „Die wahre Herausforderung liegt aber darin, wo unsere Freunde von Tesla derzeit stehen. Denn mit wachsendem Volumen steigen die Komplexität und die Werkzeugkosten erheblich.“
Auch vielen Musk-Enthusiasten ist inzwischen klar: Wenn das E-Auto wirklich im Massenmarkt ankommt, werden für die meisten Autokunden wieder Zuverlässigkeit, Service und der Preis im Vordergrund stehen. Die bisherigen Tesla-Fahrer haben darüber meist kein Wort verloren, sie sind eher Jünger als Kunden. Das wird nicht so bleiben.Tesla steht somit zwar nicht vor seiner ersten Krise, aber vor seiner ersten Krise als Volumenhersteller – und die wird teuer: Finanzchef Deepak Ahuja räumte bei der Vorlage der Kennzahlen zum zweiten Geschäftsquartal ein, dass Teslaallein im zweiten Quartal 1,16Milliarden Dollar Cash verbrannt hat. Pro Woche verfeuern die Kalifornier derzeit 100 Millionen Dollar.
Der für seine unverblümte Sprache bekannte Porsche-Gesamtbetriebsratschef Uwe Hück jedenfalls hat sein Urteil längst gefällt: „Tesla ist für mich alles andere als ein Vorbild. Das Finanzierungsmodell ist auf Schulden aufgebaut. Tesla kündigt Dinge an, die das Unternehmen gar nicht einhalten kann.“
Lange Zeit schien es so, als ob die Autobauer in Wolfsburg, Toyota City oder Detroit auf Elon Musk blicken würden wie das Kaninchen auf die Schlange. Doch weit gefehlt. Die in zig Krisen gestählten Autobauer haben Erfahrung mit Umwälzungen, sie verfügen über enorme Kapitalreserven und ein beeindruckendes Entwicklungspotenzial. Zudem sind die Technologien, auf die ein Tesla oder ein BYD in China zurückgreift, auch für Einkäufer in Wolfsburg oder Detroit verfügbar.
Volkswagen hat nach langem Schweigen jüngst einen Einblick gewährt. Markenchef Herbert Diess kündigte in der Automobilwoche an, dass VW am Tesla-Fighter arbeitet.„Tesla wird sich mit seinem innovativen Geschäftsmodell nicht nur auf das Premiumsegment beschränken, sondern seine Fähigkeiten auch aufdas Volumensegment auszurollen versuchen“, analysierte Diess mit Blick auf das Model 3. „Daher fokussieren wir uns im zukünftigen Wettbewerb sehr stark auf Tesla und weniger auf Toyota und Hyundai.“
In den USA will VW nun früher als geplant seine neue elektrische I.D.-Modellpalette ausrollen. Konkret arbeitet man in Wolfsburg unter anderem an einem „I.D. Lounge“ und an einem „I.D. AEROe“.
Keine Frage: Die kommenden Fahrzeuge im Volumensegment werden auch im boomenden chinesischen Elektromarkt helfen. Mit etablierten Prozessen, Lieferketten und funktionierenden Werken sollte es möglich sein, dem Frühstarter Musk wieder zu zeigen, was eine geölte Maschine zu leisten vermag. Volkswagen hat in der Vergangenheit schon oft einen Rückstand aufgeholt und es in diversen Segmenten zu einer führenden Position gebracht. Auch im E-Bereich will VW 2025 Weltmarktführer sein.
Selbstverständlich ruht sich auch Elon Musk nicht auf dem Erfolg seines Model S aus. Ende 2019 oder Anfang 2020 will er nach eigenen Angaben das Model Y starten, ein noch kleineres elektrisches Crossover im immer beliebteren B-Segment. Wie weit die Entwicklung daran gediehen ist, ist allerdings nicht bekannt. Im Mai 2017 hatte Musk noch erklärt, das Model Y werde auf einer eigenen Plattform stehen, im August ruderte er zurück und sagte, das neue Auto werde die gleiche Plattform wie das Model 3 haben.
Ungewiss ist auch, ob es sich beiAnkündigungen des gern per Twitter kommunizierenden Tesla-Chefs um bloße Ideen handelt oder ob es schon bald eine große Modellpalette geben wird. Das deutete er zumindest im Frühjahr an. Musk sprach unter anderem von einem elektrischen Roadster und von einem Pick-up. Branchenexperten erwarten allerdings, dass ein solcher Tesla-Pick-up frühestens 2019 vorgestellt und 2021 ausgeliefert werden könnte.
Doch Musk wäre nicht Musk, wenn er nicht immer für neue Überraschungen sorgte. Gerade hat der Tesla-Chef den E-Truck Semi vorgestellt - die Produktion des Lastwagen in zwei Größen soll im Jahr 2019 beginnen - und zusätzlich einen neuen Roadster präsentiert, der 2020 verfügbar sein soll. Musk verspricht das schnellste Serie-E-Auto der Welt mit einer Beschleunigung von null auf 60 Meilen pro Stunde (96 km/h) in 1,9 Sekunden. Auch bei Autobahn-Tempo soll die Reichweite 1000 Kilometer betragen. Die Höchstgeschwindigkeit gibt Tesla mit mehr als 250 Meilen pro Stunde an (402 km/h).
Bei aller Fokussierung auf den kalifornischen Elektropionier sollte man die übrigen Newcomer nicht außer Acht lassen. Interessante Konzepte wurden bereits im Bereich Luxuslimousine (Faraday Future, Lucid Motors, Byton), im Bereich Lastwagen (Bollinger) und im Bereich City-Kleinwagen (Elio Motors, e.Go) gezeigt.
Für den Erfolg im Massenmarkt wird auch im Elektroautomarkt letzten Endes der Preis entscheidend sein, sagt der für seine Effizienzstudien in der Autobranche bekannte Unternehmensberater Ron Harbour. „Heute ist es einfacher geworden, eine solide Finanzierung, eine bruchlose Fertigung und eine anhaltend hohe Qualität in der Fahrzeugfertigung zu erreichen“, urteilt Harbour. Deshalb rechnet er mit vielen neuen Playern.
Denn Fakt ist auch, dass die Entwicklungsprozesse schneller und kostengünstiger werden. Harbour: „Es war noch nie so einfach, ein Auto von Grund auf neu zu entwickeln.“Lesen Sie auch:
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