Herr Kötz, wie laufen die Geschäfte der europäischen Reifenindustrie?
In Summe haben wir ein relativ stabiles Marktumfeld und 2014 ein leichtes Wachstum gesehen.
Im vierten Quartal gingen die Verkäufe nach unten. Die ersten Zeichen eines Abschwungs?
Das vierte Quartal war schwach. Es wurde aber auch mit einem starken Vorjahresquartal verglichen und der verspätete Winter hat das Ersatzgeschäft gebremst. Für 2015 gehen wir von einem stabilen Markt aus. Der Start wird wohl schwächer sein als 2014, das Jahresende eher besser.
Was sind derzeit die größten Herausforderungen für die Reifenindustrie?
Zum einen die steigenden gesetzlichen Vorgaben zu Sicherheit und Nachhaltigkeit. Zum anderen stellen die Autohersteller erhöhte Anforderungen an uns, was die Reduzierung von CO2 und Geräuschemissionen angeht.
Ist das gut oder schlecht für die Industrie?
Durchaus gut. Alles, was uns hilft, das Produkt Reifen kontinuierlich technisch zu verbessern, ist uns grundsätzlich immer sehr willkommen.
RDKS ist bei Neuwagen seit vergangenem Herbst Pflicht. Wie fällt ihr Fazit aus?
Bei der Erstausrüstung ist das für die Reifenindustrie kein großer Unterschied. Der Neuwagen braucht immer noch vier Reifen. Beim Ersatzgeschäft ist es heute noch zu früh, um eine Bilanz zu ziehen.
Und auf lange Sicht?
Der Fachhandel für Reifen und Auto-Service muss investieren. Einerseits besteht die Chance, zusätzliche Serviceleistungen zu verkaufen, andererseits aber auch die Herausforderung, die längeren Zeiten für den Reifenwechsel in den saisonalen Stoßzeiten zu bewältigen. Dem Endverbraucher entstehen zusätzliche Kosten, die ihn vielleicht negativ überraschen. Hier sehen wir noch Aufklärungs- und Kommunikationsbedarf.
Könnten Kunden angesichts der zusätzlichen Kosten für die Sensoren beim Reifen sparen?
Wir sehen die Gefahr, dass das passiert. Wie groß die Auswirkung sein wird, lässt sich aber derzeit noch nicht sagen.
Wie stark machen sich die konjunkturellen Schwankungen in den europäischen Ländern bemerkbar?
Wir spüren sie deutlich weniger als beispielsweise die Fahrzeughersteller. Es kann sogar so sein, dass ein Umfeld, in dem weniger Neuwagen verkauft werden, dazu führt, dass der Ersatzmarkt anzieht. Solange die durchschnittlich gefahrenen Kilometer pro Autofahrer konstant sind, ist auch der Reifengesamtmarkt relativ konstant.
Wie wirkt sich der niedrige Ölpreis aus?
Er senkt die Kosten im Rohstoffbereich und macht Treibstoff billiger, was vielleicht dazu führt, dass mehr Auto gefahren wird. Letzteres wirkt sich wiederum positiv auf das Ersatzgeschäft aus.
Wie würden Sie die Bedeutung des Ersatzgeschäfts gegenüber dem Erstausrüsterbereich einschätzen?
Das schwankt stark von Hersteller zu Hersteller. Aber weltweit dürften es etwa ungefähr ein Drittel Erstausrüstung gegenüber zwei Drittel Ersatzgeschäft sein.
Welche Rolle spielen chinesische Reifenhersteller inzwischen?
Ihre Importzahlen nach Europa und in die USA steigen – und es sind nicht nur Billighersteller. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, beim Thema Regulierung und Überwachung für gleiche Bedingungen für alle Marktteilnehmer zu sorgen.
Worum genau geht es dabei?
Als ETRMA wollen wir die EU-Kommission davon überzeugen, dass es nicht damit getan sein darf, Regularien zu formulieren, sondern idealerweise auch von Beginn an ihre Einhaltung überwacht wird. In China oder den USA wird das bereits sehr intensiv gemacht. In Europa wird dagegen vieles nicht richtig überprüft und das erzeugt bei uns die Sorge, dass unfaire Wettbewerbsbedingungen entstehen. Als europäische Hersteller können und wollen wir es uns nämlich nicht leisten, die Anforderungen nicht zu erfüllen.
Woran liegt das Defizit in der Überwachung?
Die Anforderungen werden auf EU-Ebene formuliert, die Überwachung findet aber in den Mitgliedsstaaten statt. Es gibt keine Behörde und kein Labor, die das zentral durchführen. Es gibt aber von Seiten der EU und der Mitgliedsstaaten eine zunehmende Bereitschaft, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.
In Deutschland ist derzeit viel Bewegung im Aftermarket zu sehen. Der Internethandel nimmt zu, die Autohäuser drängen verstärkt ins Ersatzgeschäft, der Markt konsolidiert sich, die Ketten wachsen. Ist das in anderen europäischen Ländern auch zu sehen?
Die Richtung ist die gleiche. Die Geschwindigkeit und der Konsolidierungsgrad sind sehr unterschiedlich. In Großbritannien ist die Konsolidierung sehr weit, auch in einigen skandinavischen Ländern. In Südeuropa, beispielsweise Italien, gibt es heute noch ein sehr heterogenes Bild.
Wo liegt Deutschland?
Vom Konsolidierungsgrad her im Mittelfeld. Wir haben hier sowohl große und dominante Marktteilnehmer, aber auch viele kleine und mittelständische. Das Marktumfeld ist sehr heterogen und zusammen mit der zentralen Größe und Bedeutung Deutschlands für den europäischen Markt sorgt das dafür, dass die Bewegung in Deutschland ganz besonders ausgeprägt ist.
Ist das aus Sicht der Industrie eine gute oder eine schlechte Entwicklung?
Ich würde das neutral sehen. Veränderung ist Teil der normalen wirtschaftlichen Entwicklung und es ist unsere Herausforderung, uns darauf einzustellen.
Was ist Ihr wichtiges Ziel in Ihrer dreijährigen Amtszeit?
Aus unserer Sicht geht es hauptsächlich darum, in der EU-Kommission eine Veränderung im Bewusstsein zu erreichen, dass der Fokus sich von neuen Regularien hin zur Überprüfung der bestehenden verschiebt. Sonst laufen wir diesem Thema immer weiter hinterher.