Christian Senger ist der oberste Elektrifizierer bei Volkswagen und Vater des neuen Modularen Elektrifizierungsbaukastens (MEB). Der Leiter der Baureihe e-Mobility will auf dem MEB eine komplett neue und eigenständige Elektrofamilie begründen. Starten wird VW mit dem Kompaktauto I.D. Doch auch Audi, Škoda und Seat werden auf dem MEB Elektroautos bauen. „Zentrales Element des Konzepts ist die Kompromisslosigkeit“, sagt Senger. Und er kündigt im Interview eine Renaissance der Limousine an.
Herr Senger, wie weit sind Sie mit dem Modularen Elektrifizierungsbaukasten, auf dem einmal die Zukunft des Konzerns gebaut werden soll?
Die wesentlichen Pflöcke sind eingeschlagen. Aus einer Vision wird jetzt Wirklichkeit. Das Konzept der Plattform steht, die meisten Lieferanten sind nominiert. Die Produktionsplanung liegt vor. Der Nachweis ist erbracht, dass der MEB die erforderlichen Anforderungen bedienen kann. Vom kompakten I.D. bis hin zum I.D. Buzz. Das erste Modell auf Basis der neuen Plattform ist auch entschieden: Es wird der I.D., danach kommen I.D. Crozz und dann I.D. Buzz.
Haben sich auch schon andere Chefs von den Konzerntöchtern bei Ihnen angemeldet?
Auch das ist entschieden. Der MEB wird bei den Konzernmarken Audi, Škoda und Seat Anwendung finden. Vier Marken auf einer technologischen Plattform. Auch hier haben wir den Nachweis erbracht, dass das gelingt. Und obwohl sich die Marken eine Plattform teilen, werden die Modelle sich durch eigenständige Funktions- und Designumfänge deutlich voneinander unterscheiden.Andere Konzerne bauen auch Elektroautos. Was macht denn die Plattform so besonders?
Zentrales Element des Konzepts ist die Kompromisslosigkeit. Die Plattform ist zu einhundert Prozent für den Elektroantrieb und zu einhundert Prozent für digitale Fahrzeuge konzipiert. In dieser Klarheit differenzieren wir uns gegenüber dem bisherigen Modularen Querbaukasten und auch gegenüber dem Wettbewerb. In der Regel muss dieser komplexer arbeiten. Mit dem MEB haben wir neben Tesla die geringste Komplexität erreicht.
Die I.D.-Familie gibt die neue Richtung vor. Wenn hier das erste Auto auf dem Markt ist, was passiert dann mit den bisherigen Elektroautos der Marke Volkswagen?
Volkswagen hat sich zum Ziel gesetzt, im Jahr 2025 eine Million E-Fahrzeuge abzusetzen. Um dies zu erreichen, startet die Marke ab2020 eine umfassende E-Fahrzeug-Offensive. Die E-Mobilität gewinnt an Dynamik. Auf die neue Ära bereitet sich die Marke vor und gestaltet mit ihrem Engagement neue Märkte. Entsprechend passt Volkswagen sein Angebot kontinuierlich an.
Wie hoch ist der Eigenanteil von VW an Fahrzeugen aus dem MEB?
Zum Start der I.D.-Familie wird dieBatteriezelle zugekauft. Das Gesamt-Batteriesystem wird am Standort Braunschweig produziert. Die Produktion des Antriebs, also der elektrischen Maschine, wird Kassel übernehmen. In Kassel steht eines der modernsten Produktionswerke für solch leistungsfähige E-Maschinen. Ansonsten setzen wir auf die etablierten Zulieferer für die Fahrzeugelektronik. Zudem darf man unsere eigene Wertschöpfung bei der Komponente nicht vergessen. Wir sehen natürlich auch, dass ein Elektroauto weniger Komponenten braucht und sich das Verhältnis Eigenleistung-Einkauf zugunsten der Eigenleistung verschiebt. Unsere Produktion wird in Summe um 15 Prozent schlanker werden als die Produktion von Autos mit Verbrennungsmotoren.
Volkswagen hat eine große SUV-Offensive angekündigt. Wie passt das zu den Zukunftsvisionen des modernen Autofahrens? Denn dort hätten Sie ja ganz andere Möglichkeiten, Fahrzeuge zu gestalten?
Menschen lieben SUVs. Das ist nicht abzustreiten. Alle wesentlichen Quellen zeigen diesen Trend auf. E-Mobilität und SUVs schließen sich aber auch nicht aus. Der I.D. Crozz zum Beispiel hat eine deutlich aerodynamischere Form als vergleichbare SUVs. Noch besser stehen E-Fahrzeuge in Limousinenform dar. Sie haben 15 bis 25 Prozent weniger Luftwiderstand. Der Luftwiderstand ist ein zentraler Faktor bei der Elektromobilität.
Und das Gewicht?
Das ist das zweite große Thema. 100Kilogramm mehr Gewicht bedeuten drei Prozent mehr Stromverbrauch. Durch die Plattform beziehungsweise die konsequente Umsetzung des Konzepts verändern sich viele Dinge, so haben E-Autos auf Basis des MEB keinen Tunnel und keine Mittelkonsole mehr. Großbauteile werden wegfallen. Die Architektur erlaubt mehr Flexibilität im Auto. Es wird ein neues Raumgefühl geben. Ich persönlich glaube, dass wir eine Renaissance der Limousine erleben werden. Und als weiteren Trend sehe ich Vans und Kleinbusse. Der I.D. Buzz wird der nächste Differenzierer zum SUV sein. „The next cool“ nach dem SUV – das ist der I.D. Buzz.
Bleibt aber immer noch die leidige Frage nach der Reichweite. Ein ungelöstes Problem.
Die Fahrzeuge werden eine Normreichweite von 400 bis 600 Kilometer haben. Die Aussichten bei der Batterieentwicklung zeigen Potenzial nach oben. Doch plädiere ich für eine eigene Messgröße für E-Fahrzeuge. Der Standardzyklus hilft nicht viel. Wie wäre folgender Vorschlag: Eine konstante Fahrt bei 120km/h. Das ist für mich die Vergleichsgröße von morgen.
Letzte Frage, Herr Senger: Kommen bei Ihnen im Hause manchmal die Dieselkollegen vorbei, schauen neidisch auf Ihre progressiven Themen und fragen dann nach einem Tag Arbeitsplatz-Tausch?
(lacht) Wir im Elektroteam haben das Privileg, in eine neue Ära aufzubrechen. Zeitgleich ist es, wie Sie sich vorstellen können, eine riesige Aufgabe, die wir bewältigen müssen. Das ist alles kein „Walk in the Park“, aber wir haben bereits viel aufdie Beine gestellt und werden weitermachen.
Dieser Beitrag stammt aus unserer Sonderpublikation Automobilwoche Edition: Volkswagen - Die neue Mission, die zum Einzelpreis von 12 Euro bestellt werden kann.
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