Mercedes umwirbt die Tekkies

Am Ende feierten die 10.000 Zuschauer in der Hamburger Barclaycard-Arena Alexei „Solo“ Berezin frenetisch. Soeben war der 27-jährige Russe nach zwei Tagen vor dem Computerbildschirm zum wertvollsten Spieler gewählt worden. Mit seinem Team Virtus.pro hat er das mit einer Million Dollar dotierte Dota-2-Turnier der eSport-Liga ESL gewonnen. Als Preis winkte ein Auto aus der Modellpalette von Mercedes im Wert von 50.000 Euro – der höchste Einzelgewinn, der jemals für einen eSports-Spieler gezahlt wurde.

Für Mercedes sind die Live­-Events um Computerspiele wie Dota 2 zunehmend ein wichtiger Teil des Sportmarketings. „Als Marke treten wir hier in engen Kontakt mit einer sehr interessanten, für unsere Marke neuen Zielgruppe, schaffen Spannung und Sympathien und werden Bestandteil ihrer Lebenswelt“, sagte Mercedes-Marketingchef Jens Thiemer im Gespräch mit der Automobilwoche.

Wie keine andere Entertainment-Plattform verkörpere eSports den gesellschaftlichen Wandel: „Unglaubliche Emotionen in ausverkauften Stadien und jährliche Preisgelder von 100 Millionen Euro und 500 Millionen Streaming-Stunden monatlich.“ Für Jens Thiemer ist klar, dass dies „sehr deutlich“ die Zukunft des Sports überhaupt ist. Neben Mercedes engagieren sich bei der Liga ESL auch Unternehmen wie Intel, Logitech, Wüstenrot und Gerolsteiner.

Wer dabei an bebrillte Nerds mit pickligen Gesichtern denkt, liegt falsch. Für diese Nische ist die Szene längst viel zu groß geworden. Stattdessen wirbt Mercedes hier laut eigener Aussage um „digital- und technologieaffine Menschen, die zudem gut gebildet und kaufkräftig sind“. Dazu passt, dass auf den riesigen Bildschirmen der Mercedes CLA zu sehen ist, der als schnittiger Kompaktwagen eine Eroberungsrate von über 50 Prozent vorweisen kann – also viele Käufer anlockt, die bisher noch keinen Mercedes fuhren.

Dabei will die Marke mit dem Stern nicht nur neue Käufer finden, sondern auch herausfinden, wie die junge Generation tickt – und ob sich Menschen, die einen Großteil ihrer Freizeit damit verbringen, sich in Fantasiewelten auf dem Bildschirm zu flüchten, überhaupt noch für Autos zu ­begeistern sind. „Unser Unternehmen entwickelt sich hin zum ganzheitlichen Mobilitätsanbieter. Auf dem Weg dahin ist es wichtig, zu verstehen, welche Produkte und Services wir in dieser Rolle in Zukunft anbieten sollten“, sagt Thiemer.

Nebenbei definiert Mercedes auch das Sportmarketing neu. „Die Strukturen und Sponsoringpakete im eSport sind noch nicht so festgezurrt wie in anderen Sportarten. Das gibt uns die Möglichkeit, als Partner aktiver mit­zugestalten“, schwärmt Thiemer. So habe man beim ESL-Turnier inHamburg ein komplett neues Showelement geschaffen. Der wertvollste Spieler wurde mit dem Titel „Mercedes MVP“ geehrt. Elemente davon will Mercedes in die Me Convention übernehmen. Dabei handelt es sich um ein neues Messe-Format mit Künstlern und Querdenkern aus unterschiedlichen Bereichen, das bei der IAA Premiere hatte.

Dennoch läutet Mercedes damit nicht das Ende des klassischen Sportmarketings ein. Das Mercedes-Turnier in Stuttgart bleibt ebenso im Programm wie diverse Golf- oder Reitveranstaltungen. „Der traditionelle Sport wird seine Rolle in der Sportmarketing-Strategie von Mercedes-Benz auch künftig behalten, aber er wird sicher weniger werden“, kündigt Thiemer an.

Mit eSports und der Formel E füge man zum Portfolio nun zwei neue, zukunftsorientierte Marketing-Plattformen hinzu. Dies habe jedoch nichts damit zu tun, dass Mercedes als Sponsor der deutschen Fußball-Nationalmannschaft das Feld VW überlassen musste. „Wir beabsichtigen schon länger, uns im eSport-Segment zu engagieren. Jetzt erhalten wir in den kommenden Jahren allerdings noch mehr finanziellen Spielraum.“