Herbert Diess‘ Ziel und Kurs sind klar: Die Lösung heißt Elektromobilität. Mit rein batteriebetriebenen Fahrzeugen will die Volkswagen AG die weltweiten CO2-Regulierungen einhalten und den Verkehr sauberer ?machen. Das Konzept sei, für die VW-Hauptsegmente vollelektrische Varianten – die ID-Familie – zu bauen, wie der Konzernchef im Interview mit der Automobilwoche sagt. Entscheidend für den Hochlauf der E-Mobilität ist laut Diess die hauseigene Plattform, der Modulare E-Baukasten. Auch für den umstrittenen Plug-in-Hybrid hat der Top-Manager Lob übrig.
Herr Diess, Sie sind mit dem neuen E-Modell ID.3 im Sommerurlaub an den Gardasee gefahren. Heißt das, Sie fahren demnach mit dem ID.4 – dem nächsten Modell – in die Winterferien?
Da habe ich noch nicht drüber nachgedacht. Wegen Corona habe ich noch keine Pläne für den Winter gemacht.
Wie beschwerlich war denn der Gardasee-Trip mit dem E-Auto wirklich?
Überhaupt nicht. Es war durchweg ein schönes Erlebnis. Auch das Laden funktioniert schon richtig gut.
Volkswagen geht so konsequent wie sonst keiner der alteingesessenen Autohersteller in Richtung batteriebetriebener Elektromobilität. Warum?
Man muss es konsequent machen, wenn der Verkehr CO2-frei werden soll. Und wenn man den Verbrenner nicht in der Plattformentwicklung mitzieht, werden die E-Autos auch richtig gut. Daher haben wir uns für eine eigenständige E-Plattform entschieden.
Wie oft im Monat haben Sie Zweifel, dass dieser radikale Ansatz vielleicht doch nicht der richtige ist?
Zweifel hatte ich zum letzten Mal vor zehn Jahren. Seitdem sind Ziel und Kurs klar. Wir wollen CO2-frei werden und die Flottenziele erreichen. Die Antwort, wie man das erreicht, ist eindeutig.
Es gibt viele Länder, in denen Verbrenner vielleicht noch über Jahrzehnte fahren werden. Wie ist Ihre Strategie dort? Wird Volkswagen diese Märkte einfach aufgeben?
Nein, wir haben auch sehr gute Verbrennungsmotoren und Hybride. Auch in Ländern mit noch geringem Autoverkehr ist es sinnvoll, von Anfang an elektrisch zu denken. Macht es dort noch Sinn, ein Tankstellennetz aufzubauen? Da sind Sonnenenergie und Elektromobilität doch viel naheliegender. Grundsätzlich gilt für die Marktstrategie: Elektromobilität ergibt dort besonders viel Sinn, wo es CO2-freien Strom gibt.
Andersherum gefragt: Könnten Sie mit der Marke VW Pkw in weit fortgeschrittenen Ländern auch bald schon ausschließlich Elektroautos verkaufen und überhaupt keine Verbrenner mehr anbieten?
Das entscheiden die Kunden und der Gesetzgeber. In verschiedenen Ländern wird diskutiert, ab wann nur noch emissionsfreie Fahrzeuge verkauft werden dürfen. Zulassungsbeschränkungen für Verbrenner oder gar Verbote dieses Antriebs werden die Frage von allein beantworten, was Kunden zukünftig noch kaufen können.
Warum baut Volkswagen dann noch Plug-in-Hybride, wenn die rein batteriebetriebenen Fahrzeuge doch die Zukunft sein sollen?
Der Plug-in-Hybrid hat seine Berechtigung und wird zu Unrecht so stark kritisiert. Wenn Sie den neuen VW Tiguan fahren, der schafft 50 bis 60 Kilometer elektrisch. Viele Tiguan-Kunden bestreiten damit 80 Prozent ihrer gesamten Fahrstrecke. Dazu kommt, dass die im Vergleich zum E-Fahrzeug kleinere Batterie deutlich weniger CO2-Emissionen aufweist. Moderne Plug-in-Hybride sind sowohl ökonomisch wie ökologisch eine gute Wahl. Die CO2-Bilanz ist bei weitem nicht so negativ wie gelegentlich dargestellt.
Wie viel Reichweite eines E-Modells ist überhaupt nötig, um den Kunden von dem Antrieb zu überzeugen? Es kam ja über Jahre zu einem regelrechten Reichweiten-Contest unter den Autoherstellern.
Die Debatte wird zurückgehen. Es muss das angeboten werden, was unterm Strich ökologisch ist. Zu große Batterien sind mit ihrem hohen Gewicht für die CO2-Bilanz ja auch nicht sinnvoll. Richtig ist ein guter Mittelweg. Wir hatten bei unserer Gardasee-Tour rund 350 Kilometer Reichweite und das hat ganz gut gepasst.
Die ID.-Familie startet mit den Zahlen 3 und 4. Wie wird die Nomenklatur am Ende einmal aussehen? Wird es das Pendant der bestehenden Plattform, also von A00 bis L?
Das Konzept ist, für die VW-Hauptsegmente vollelektrische Varianten zu bauen. Der ID.3 startet im Golf Segment, der ID.4 entspricht in den Abmessungen dem Tiguan. Dazu wird eine Limousine kommen, und Sie kennen die ID.Buzz-Studie. Da sind natürlich noch Lücken in der Nomenklatur, für die wir Angebote machen können. Das werden wir tun.
Würden Sie sagen, dass VW rechtzeitig mit der ID.-Familie gestartet ist? Oder ist VW im Grunde zu spät dran?
Der Zeitpunkt ist der richtige. Solange Elektromobilität in der Nische war mit Marktanteilen unter einem Prozent, machte es Sinn, nur bestehende Plattformen zu elektrifizieren. Das haben wir mit dem Golf oder dem e.Citigo getan. Aber in dem Maße, wie jetzt die Volumina in den Märkten kommen, ist die eigene ID-Plattform mit ihren Vorteilen für den Kunden, die konsequente und beste Lösung. Das passt genau.
Der Produktionsstart des ID.3 in Zwickau war kein leichter. VW musste nach Informationen der Automobilwoche im September rund 500 Mitarbeiter zusätzlich zum Nacharbeiten einsetzen. Ist da die Produktion eines E-Autos noch profitabel?
"Nacharbeiten" trifft es nicht richtig. Wir haben Fahrzeuge vorproduziert, auf die wir die Software jetzt aufspielen. Das stimmt. Dafür brauchen wir Mitarbeiter. Wir fahren Sonderschichten, um die Nachfrage zu befriedigen.
Anderes Thema: Wie wichtig ist Ihnen der Börsenwert von VW? Der deutlich kleinere Elektropionier Tesla hat den zehnfachen Börsenwert der Volkswagen AG – können Sie die Welt der Börsen noch nachvollziehen?
Ich kann das nachvollziehen. Tesla wird aber nicht als herkömmliches Automobilunternehmen bewertet. Durch die hohe Bewertung kann man auch anspruchsvolle Expansionspläne gut über den Markt finanzieren.
Wie wollen Sie die VW-Werke fit für die Zukunft machen? Die sind teils mehr als 70 Jahre alt.
Wir haben eine Vielzahl neuer, moderner Standorte. Anders als andere bauen wir ganze Werke für die Produktion von E-Fahrzeugen um. Wir nutzen die Skaleneffekte konsequent. Deshalb laufen in Zwickau E-Modelle auf dem MEB Plattform von vier verschiedenen Konzernmarken an.
VW wollte groß in die Produktion in der Türkei einsteigen. Das ging nicht. Nun, heißt es, wird es Bratislava?
Die Türkei ist vom Tisch. Wir haben entschieden, in Bratislava die Kapazitäten aufzubauen. Das bedeutet keinen Kostennachteil gegenüber der Türkei. Auch wegen Corona haben wir den Kapazitätsbedarf neu bewertet und benötigen zurzeit kein zusätzliches Werk. Aber es bleibt ein Nachteil, dass wir uns über ein Werk in der Türkei nicht den dortigen Markt besser erschließen können.
Sie strukturieren gleichzeitig das Management stark um, was Unruhe ins Unternehmen gebracht hat. Warum der Umbau?
Im Bereich TMK (das Topmanagement des Konzerns, Anm. d. Red.) haben zuletzt rund 30 Kolleginnen und Kollegen von rund 300 die Position gewechselt. Das ist eine vergleichsweise kleine Zahl. Wechsel sind wichtig, um sich zu verbessern. Das gilt für das Unternehmen insgesamt und für das Management. Daher gehört eine gezielte Rotation auch zur Führungskräfteentwicklung.
Über Managerwechsel war im Jahr 2020 viel zu hören. Personalentwicklung scheint Ihr Lieblingsthema zu sein…
Es ist entscheidend, dass die richtigen Leute an der richtigen Stelle Verantwortung übernehmen. Business is People. Mindestens 70 Prozent des Erfolgs hängen an der richtigen Besetzungen im Management.
Sie haben kürzlich in einem Interview gesagt, dass 80 Prozent der Managementumstrukturierungen erfolgt sind – was heißt, dass 20 Prozent noch offen sind. Wer sind die 20 Prozent?
Inzwischen sind wir schon weiter und haben neue Besetzungen vorgenommen.
Letzte Frage, Herr Diess: 2020 war ein Jahr, das in die Geschichte eingeht. Was hat die Corona-Pandemie mit dem Unternehmen VW gemacht?
Wir arbeiten fokussiert und konsequent und nutzen unsere Marktchancen. Wir konnten in der Corona-Phase im laufenden Jahr unseren Weltmarktanteil um 0,5 Prozentpunkte steigern. Natürlich vermissen wir den persönlichen Kontakt mit den Kolleginnen und Kollegen an unseren Standorten und in unseren Märkten. Ich kann mit vielen Geschäftspartnern nur telefonieren.
Das Interview führte Burkhard Riering.
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