In der Gläsernen Manufaktur von VW schafft Larry Thompson im Automobilwoche-Interview Transparenz: Was bei der Dieselgate-Aufarbeitung schon gut funktioniert, wo der Monitor Defizite sieht – und dass er gern mit Bundeskanzlerin Angela Merkel spräche.
Herr Thompson, wie hat Ihre Frau reagiert, als sie von Ihren Plänen mit VW erfahren hat – und drei absehbar arbeitsreichen Jahren als Monitor des Konzerns?
Ehrlich gesagt, war sie nicht begeistert. Wir hatten Urlaubspläne. Meine Frau hat mich immer unterstützt. Sie weiß, wie viel Energie mir diese Tätigkeit gibt, wie wichtig diese Arbeit ist. Aber ich denke nicht, dass sie wollen würde, dass ich die Leitung eines weiteren Monitorships übernehme.
Und wie haben Sie selbst reagiert, als Sie gefragt wurden, ob Sie die Leitung des Monitorships bei VW übernehmen möchten?
Herbert Diess hatte mich kürzlich gebeten, auf der Konferenz für leitende Führungskräfte eine Rede zu halten. Ich sagte den Teilnehmern, dass mich damals ein Rechtsanwalt angerufen hatte, der Porsche vertrat. Und der hatte mich gefragt, ob ich grundsätzlich an der Aufgabe eines "unabhängigen Compliance-Monitors und Auditors" Interesse hätte. Ich habe damals ohne zu zögern Ja gesagt.
Wirklich ohne zu zögern?
Volkswagen! Ich wusste, dass der Konzern von einem großen Skandal betroffen war. Ich dachte mir: Es handelt sich um ein symbolträchtiges, sehr wichtiges Unternehmen. Ein toller Konzern in Bezug auf die Produkte, die er herstellt, seine Technologien. Und ich dachte, dass ich mit den Erfahrungen aus meiner Karriere als Staatsanwalt, als Verteidiger, als General Counsel einer Aktiengesellschaft sehr gut für die Aufgabe geeignet wäre. Ich habe meinem Team später gesagt, dass man im Laufe seiner Karriere nicht oft die Möglichkeit hat, wirklich etwas zu bewirken. Und das gilt für den jüngsten Anwalt im Team genauso wie für mich. Es ist nicht einfach. Es ist sehr viel mehr Arbeit, als ich dachte, aber ich bereue meine Entscheidung nicht.
Sie haben schon für die US-Regierung gearbeitet und auch bei Pepsi. Welche Rolle ist für einen Anwalt am anspruchsvollsten?
Zweifelsohne meine Tätigkeit als stellvertretender Generalstaatsanwalt der USA, als das Land am 11. September 2001 angegriffen wurde. Es gab keine Anleitung, die dem Justizministerium die Frage hätte beantworten können, was zu tun ist, wenn 3000 Menschen getötet werden. 19 Männer waren bereit, ihr Leben für einen teuflischen Zweck zu opfern. Und deshalb brachte es nichts, Menschen strafrechtlich zu verfolgen. Wir mussten von einer nachträglichen Ermittlung zur Prävention übergehen, bei der es auch um Bürgerrechte geht. Das war die schwierigste, schmerzlichste Zeit meiner Karriere.
Sind Sie vor Ihrer Arbeit für VW schon gefragt worden, ob Sie als Monitor tätig sein möchten?
Ja, zweimal. Und ich habe mich jeweils dagegen entschieden.
Als Sie sich erstmals mit der Dieselkrise bei VW beschäftigten, was dachten Sie, sei das Kernproblem dahinter, der Ursprung für das Entstehen des Problems?
Das ist Teil der Problematik, der wir als Monitor-Team derzeit gegenüberstehen, und ich habe immer noch Fragen dazu. Und dann sind da die involvierten Akteure, sehr kluge Leute. Warum haben sie so etwas getan? Warum haben sie das Unternehmen einem solchen Risiko ausgesetzt? Sie haben das Unternehmen nicht um Gewinne gebracht. Ihre Arbeitsplätze wären gesichert gewesen, denke ich, wenn sie nur ehrlich gewesen wären.
Mit welchen Führungskräften aus Wolfsburg haben Sie sich im Rahmen Ihrer neuen Tätigkeit zuerst getroffen? Und worüber haben Sie gesprochen?
Das waren Hiltrud Werner und Thomas Meiers in den USA. An meinem ersten Abend in Wolfsburg hatte Hiltrud Werner mehrere Vorstände von VW eingeladen. Matthias Müller konnte nicht daran teilnehmen, aber Herbert Diess war dabei. Ich saß neben ihm. Ich war in Deutschland, und ich saß neben der Person, von der ich nicht wissen konnte, dass sie CEO des Unternehmens werden würde.
Der Jones-Day-Bericht über VW ist für Außenstehende schlecht greifbar. Ist er für Sie als Monitor von großer Bedeutung?
Es gibt nicht den Bericht, sondern viele kleinere Berichte, viele Unterlagen. Das Monitorgremium wurde über deren Inhalt in Kenntnis gesetzt. Das ist sehr detailliert, sehr umfassend, und die Kanzlei hat sehr gute Arbeit geleistet beim Versuch, zu verstehen, was passiert ist. Ich glaube, dass noch nicht mal alle Mitglieder der Konzernführung von Volkswagen diese Unterlagen kennen, denn nach deutschem Recht muss der Aufsichtsrat mittels einer eigenen Untersuchung prüfen, ob der Vorstand seine treuhänderische Verantwortung wahrgenommen hat.
Wie beurteilen Sie die Verhaftung von Audi-Chef Rupert Stadler?
Natürlich beobachte ich diese neue Entwicklung besonders aufmerksam.
Warum haben Sie sich entschieden, ein Büro bei der Premiummarke Audi in Ingolstadt einzurichten?
Wir müssen vor Ort mit Vollzeitkräften sein. Und ein Großteil der Arbeit bezieht sich auf Audi. Es gibt juristische Unterschiede, etwa zwischen deutschem und US-amerikanischem Arbeitsrecht.
Ein Jahr von drei möglichen Jahren ist bereits vergangen, seit Sie bei VW angefangen haben. Ist schon ein Drittel der Arbeit getan?
Die Aufgabe ist überwältigend. VW ist ein großes, komplexes Unternehmen. Wir haben mit dem Konzernvorstand vereinbart, dass der Monitor und VW ein -gemeinsames Ziel verfolgen. Wir sind keine Gegenspieler. Wir arbeiten beide daran, Veränderungen im Konzern herbeizuführen. Wir werden es versuchen. Doch wir werden uns nichts Unmögliches vornehmen.
Wo hat sich VW seit Mitte 2017 bei Integrität und Compliance deutlich verbessert?
Das Unternehmen hat Prozesse, Systeme, Kontrollen eingeführt in Bezug auf einige der Hauptprobleme im Dieselskandal. Also Zertifizierungs-, Test- und Kontrollverfahren, die darauf abzielen, Fehler und Betrügereien zu vermeiden oder die Vernichtung von Dokumenten zu verhindern. Und diese neuen Prozesse und Systeme wurden von einigen sehr talentierten Führungskräften erarbeitet, die VW intern rekrutiert und gefördert hat.
Wo sehen Sie nach wie vor die größten Defizite?
Ich möchte lieber von Veränderungspotenzial sprechen. Das größte bietet die Unternehmenskultur. VW muss sich um eine weniger autoritäre Struktur bemühen, stärker dazu bereit sein, neue Ideen zuzulassen, schlechte Nachrichten zu akzeptieren.
Gibt es Pläne, Ihr Team in naher Zukunft zu erweitern – sei es in der VW-Zentrale in Wolfsburg, sei es bei Audi oder in den USA?
Ich plane nicht, das Team wesentlich zu vergrößern. Wir werden vielleicht noch ein paar weitere technische Auditoren und technische Experten hinzunehmen.
VW-Vorständin Werner ist Ihre wichtigste Ansprechpartnerin in Wolfsburg. Wie interagieren Sie?
Regelmäßig, täglich, manchmal minütlich. Hiltrud und ich gehen sehr offen miteinander um. Ich denke, dass wir eine sehr gute Beziehung aufgebaut haben. Es wäre völlig inakzeptabel, wenn das Monitor-Team einfach so zu VW-Mitarbeitern ginge und Einsicht in bestimmte Dokumente erbittet. Es muss alles geregelt ablaufen. Wir gehen also über das Projektmanagementbüro und haben Dokumente im Umfang von mehr als 100.000 Seiten angefordert. Und wir haben um Gespräche mit mehr als 400 Mitarbeitern von Volkswagen gebeten.
Herbert Diess betont, dass sein Hauptziel darin besteht, eine "gesunde Unternehmenskultur" zu schaffen. Was raten Sie ihm?
Er muss sicherstellen, dass diese Botschaft bei allen Mitarbeitern ankommt. Und sie zu, wie ich es nenne, "professional courage" aufrufen, zu Mut im beruflichen Kontext.
Hat Ihr Besuch der Gläsernen Manufaktur Ihnen ein umfassenderes Verständnis des Umgangs von VW mit Elektromobilität vermittelt?
Auf jeden Fall. Am meisten beeindruckt haben mich die jungen Menschen am Roboter. Sie verkörpern die Zukunft von VW. Wer weiß schon, wer als nächster Bill Gates oder Steve Jobs aus solchen Projekten hervorgehen wird?
Gibt es Türen, die Sie in Wolfsburg oder anderswo bei VW nicht öffnen dürfen oder möchten?
Ich habe Zutritt zu jedem Raum.
Stellt die Tatsache, dass Hans Dieter Pötsch vor seinem Wechsel in den VW-Aufsichtsrat Vorstandsmitglied war, eine zusätzliche Belastung dar?
Nicht für mich. Ich habe nichts gehört, was mich veranlasst hätte, zu glauben, dass es ein Problem darstellt. Herr Pötsch hat den Monitor-Prozess sehr unterstützt.
Haben Sie schon mit Bundeskanzlerin Angela Merkel über Ihre Tätigkeit bei Deutschlands größtem privaten Arbeitgeber und dem weltweit führenden Automobilhersteller gesprochen?
Nein, habe ich nicht. Dabei bin ich ein großer Fan von ihr und würde die Gelegenheit, mit ihr sprechen zu können, auf jeden Fall wahrnehmen.
Welcher neue Bereich wird im kommenden Jahr auf Ihrer VW-Agenda stehen?
Das steht noch nicht komplett fest. Wir werden einen risikobasierten Ansatz verfolgen. Uns etwa markenübergreifend mit Compliance- und Ethik-Verfahren befassen. Unterschiedliche Regionen betrachten, uns mit potenziellen Korruptionsbereichen auseinandersetzen. Uns also beispielsweise auf Mexiko oder China konzentrieren. Wir werden uns mit neuen Technologien beschäftigen, die sehr wichtig sind für VW. Zum Beispiel Elektrifizierung oder autonomes Fahren. Ich möchte nach Ablauf der drei Jahre nicht vorwurfsvoll gefragt werden: "Warum hast Du das gemacht? Und warum hast Du dies nicht gemacht?" Ich möchte ein wissenschaftlich fundiertes Verfahren bei der Themenauswahl anwenden. Deshalb werden wir die Dienste einer Drittpartei in Anspruch nehmen.
Sind Sie optimistisch, dass es VW gelingt, zu dem Konzern zu werden, der öffentlich erwartet wird?
Ich bin optimistisch. Aber das Schlimmste, meine größte Angst wäre, dass mir aus irgendeinem Grund etwas entgeht und ich die Zertifizierung vergebe – und plötzlich tritt ein Jahr später ein großes Problem auf. Ich würde mich persönlich verantwortlich fühlen. Ich weiß, dass sich auch die Führungskräfte des Unternehmens schlecht fühlen würden. Lassen Sie mich Ihnen zum Schluss eine Frage stellen, bitte?
Nur zu.
VW ist ein großer Konzern mit vielen Mitarbeitern. Ist Ihnen weltweit eine Stadt mit 640.000 Menschen bekannt ohne Polizei?
Nein, in der Tat nicht.
Sehen Sie. Mir sind Studien bekannt, wonach sich in jedem Unternehmen ungefähr fünf Prozent der Mitarbeiter unethisch verhalten, wenn ihnen die Gelegenheit dazu geboten wird. Was wir also für VW entwickeln müssen, ist eine Methode, die es ermöglicht, auf den nächsten Compliance-Vorfall angemessen zu reagieren. Weil es einen nächsten Vorfall geben wird. Ich möchte, dass Ihre Leser verstehen: Wenn ich die Zertifizierung vergebe, bedeutet das nicht, dass in diesem großen Unternehmen nie wieder ein Problem auftreten wird. Es ist mir wichtig, dass dies wirklich jedem bewusst wird. Aber Volkswagen wird in der Lage sein, offener, schneller und zeitnaher zu reagieren und somit durch ein robusteres und effektiveres Ethik- und Compliance-Programm seine Risiken erheblich zu reduzieren.
Das Interview führte Henning Krogh.
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