"Ich habe mit nichts als einem Handy angefangen"

Perfektion reicht nicht. Mercedes soll geliebt werden. So will es Jens Thiemer, Marketingleiter von Mercedes-Benz Pkw. "Wann werde ich denn zu einer 'Loved Brand'?", fragt er. "Das werde ich nicht, wenn ich ständig über Sonderangebote spreche und nur Verkaufsimpulse sende", sagt Thiemer. Deshalb soll sich das Mercedes-Marketing verändern. Der Marketingchef will weg von Produktüberhöhung in Kampagnen, wie sie bisher oft praktiziert wurde.

Für ihn erreichen sollen das die Branchengrößen Tonio Kröger und André Kemper mit ihrem Team. Eigens für Mercedes hatten die beiden 2014 die Agentur Antoni gegründet. Das hat für Daimler zwei Vorteile: voller Fokus auf den Stern. Und ein gewisses Maß an Kontrolle. So hatten die Stuttgarter unter anderem Mitspracherecht bei der Personalauswahl. Dennoch war das Projekt ein außergewöhnlich großes Risiko für beide Seiten. "Ich habe mit nichts als einem Handy angefangen", erzählt Tonio Kröger, der zuvor Präsident der DDB-Holding war.

In der Branche hatte die Nachricht, dass Mercedes den Etat einer noch nicht gegründeten Agentur geben wird, für enorme Aufregung gesorgt. Denn trotz eines halbjährigen Pitchs, an dem auch die vorherige Leadagentur Jung von Matt teilgenommen hatte, entschieden sich die Stuttgarter kurzerhand für die Neustarter mit dem dicken Adressbuch.

Man hätte sicherlich mit allen Teilnehmern der Finalrunde arbeiten können, aber es habe bei jedem das gewisse Etwas gefehlt, begründet Thiemer die Entscheidung. Darauf angesprochen, redet der seit 2013 amtierende Marketingchef viel von "peoples business" und "personal fit". Die persönliche Ebene sei genauso wichtig wie die fachliche Kompetenz. Also habe man eine Liste mit Namen geschrieben, mit denen man sich die Zusammenarbeit vorstellen konnte. Dass daraus dann ein Duo wurde, war die Idee von Kröger.

Der "personal fit" war bei Kröger sicherlich vorhanden. Schließlich kannten sich Thiemer und er schon aus früheren Zeiten. Der Werber hatte Mercedes Ende der 90er-Jahre mit Springer & Jacoby aus der Elchtest-Krise geführt. In der Branche ist er als kühler Kopf bekannt. "Von Tonio Kröger wusste ich, dass er im Aufbau von Agenturen und als Stratege super fit ist", sagt Thiemer. Kemper sei hingegen im Bewegtbild eine der echten Koryphäen. "Und er ist ein hervorragender kreativer Sparringpartner für unseren Chefdesigner Gorden Wagener", fügt der Mercedes-Mann hinzu. Auch hier gab es also die persönliche Ebenezwischen Agentur und Autobauer.

Kemper war zwar noch für Opel kreativ, als die Wahl der Stuttgarter auf Antoni fiel. Doch er war laut Kröger sofort für das Projekt zu motivieren. Die Suche nach den restlichen Mitarbeitern gestaltete sich etwas schwieriger. "Die Bewerbungen kamen anfangs nicht gerade im Überfluss", erzählt der promovierte Betriebswirt. Keiner wusste, ob das Projekt klappen wird.

Heute, knapp zwei Jahre nach Gründung, hat Antoni rund 140 Mitarbeiter und jeden Tag trudeln 25 bis 30 Bewerbungen ein. Vier Stockwerke braucht die Agentur inzwischen in Berlin-Mitte. Seit Oktober 2016 gibt es zudem eine Dependance in Stuttgart, um näher am Kunden zu sein.

Mindestens für zwei Jahre sollte Antoni für Mercedes exklusiv arbeiten, so war es ursprünglich angedacht. Dieser Zeitraum nähert sich bald dem Ende. Doch Mercedes hat die vertraglich festgelegte Option, die Exklusivität über diesen Zeitraum hinaus zu verlängern. Noch gebe es aber ohnehin keine Bestrebungen seitens Antoni, auch für andere Auftraggeber zu arbeiten, wie Kröger bestätigt.

Der Marketingchef von Mercedes ist zufrieden mit dem Agenturmodell, das er in den vergangenen zwei Jahren aufgebaut hat: Antoni fungiert als Leadagentur in Deutschland, BBDO adaptiert die Inhalte für Europa. BBDO China konzipiert die Werbung für den chinesischen Markt und Merkley + Partners versorgt die USA mit Werbung.

Inhaltlich sei die Arbeit aber noch ausbaufähig. Die erste große Kampagne von Antoni mit "Vive la Mannschaft" anlässlich der Fußball-Europameisterschaft sei in Ordnung, aber nicht herausragend gewesen, sagt der Stuttgarter. Das gibt auch Kröger zu. Rein an der Qualität des Outputs bewertet hat sich der Wechsel laut Thiemer also noch nicht gelohnt. Aber: "Wir bewerten ja vielschichtiger und bauen an etwas Größerem."

Mit Antoni will Thiemer im Marketing eine "Branded-Content-Denke" etablieren, wie er selbst sagt. Mercedes müsse sich davon lösen, dass die Produkteinführungen den Takt für die Kampagnen vorgeben. "Die Welt wartet jetzt nicht auf ein Facelift oder auf ein Derivat", erläutert Thiemer. Es gehe stattdessen darum, in der Kommunikation mit den Kunden ein echtes Gemeinschaftsgefühl zu senden.

Vor allem im Digitalen will der Mann aus Stuttgart künftig stärker werden. "Ich erwarte von all unseren Agenturen ein Verständnis dafür, dass das datengetriebene Marketing zunehmend unsere Arbeit bestimmt." Der Weg geht auch für den Premiumhersteller hin zu personalisiertem Marketing. Zwar werde man nicht ausschließlich auf digitale Plattformen setzen, aber den Fokus signifikant auf sie lenken.

Das gilt auch für die Kompaktwagenkampagne, die Anfang 2017 anlaufen wird. "Sie wird der absolute Hammer", kündigt Thiemer an. Das sei die beste Arbeit, die er von Antoni bisher gesehen habe. Sie sei "born digital, stark Social-Media-getrieben, mit viel Bewegtbild und hat viel Einfühlungsvermögen".

Auch in Sachen Elektromobilität plant die Marketingabteilung bald einen großen Aufschlag. Ende September hatte Daimler-Chef Dieter Zetsche auf der Pariser Messe eine neue Submarke für Elektromobilität angekündigt. Bis 2025 sollen 15 bis 20 Prozent der Fahrzeuge mit elektrischem Antrieb verkauft werden.

Da heißt es für Thiemer nun, bei der Werbung kräftig aufs Gas zu gehen. "Wir glauben, jetzt ist der richtige Zeitrahmen, damit anzufangen, weil es nicht nur um Elektrifizierung alleine geht", erläutert der Mercedes-Manager. Man werde Elektromobilität im Marketing mit den anderen Megatrends Digitalisierung, autonomes Fahren und "Shared Economy" verzahnen.

Gerade wegen den zunehmend abstrakten technologischen Themen wie Vernetzung oder autonomes Fahren, die nur schwierig zu veranschaulichen sind, will Thiemer mithilfe von Antoni wieder zu mehr Emotionalität in der Werbung finden. "Mercedes ist im Selbstverständnis weniger eine Automobilmarke als eine Luxusmarke", sagt der Daimler-Mann. Von den Luxuslabels könne man sich in Sachen Emotionalität und Identifikation noch einiges abgucken. Damit auch der Stern eineMarke wird, die die Kunden lieben.