"Hersteller kommt Basisverpflichtungen nicht nach"

Mit ihrer Fusion wollen die Groupe PSA und Fiat Chrysler Automobiles in neue Dimensionen aufbrechen – darauf deutet schon der neue Name Stellantis hin. Doch während Paris von den Sternen träumt, gehen die Händler in Deutschland auf die Barrikaden. Die geplante Klage der Opel-Händler wegen Missbrauchs der Marktmacht ist der vorläufige Höhepunkt eines zerrütteten Verhältnisses zwischen dem französischen Hersteller und seinen Vertriebspartnern.

Und der Ärger könnte noch zunehmen. "Wenn Fiat dazukommt, wird das Chaos noch größer", fürchtet ein PSA-Mehrmarkenhändler, der nicht genannt werden will. Auch andere wollen lieber anonym bleiben. Sie haben Angst vor Sanktionen des Herstellers. Das hat der PSA-Konzern in den vergangenen Jahren durchexerziert. Nur wenig ist bislang über die geplante Fusion bekannt. Kommuniziert wird fast nichts. Die Vertriebspartner sind völlig im Ungewissen – egal ob auf PSA- oder FCA-Seite.

Ein Blick auf die aktuelle Situation im PSA-Konzern kann helfen, zu erahnen, was nach der Fusion auch auf die FCA-Vertriebspartner zukommen könnte. Klar ist: PSA-Chef Carlos Tavares ist bei der Fusion die treibende Kraft. Der rastlose Portugiese hat nach seinem Wechsel von Renault zu PSA den Hersteller saniert. Noch bevor der Konzern gesundet war, kam Opel hinzu. Und noch bevor der Rüsselsheimer Autobauer integriert ist, soll nun die Fusion mit FCA stattfinden. Tavares ist nicht nur immer einen Schritt weiter, sondern schon Meilen von seinem Team entfernt. Er agiert nach dem Motto "Le groupe automobile, c'est moi."

Das erschwert den Alltag – nicht nur für Mitarbeiter, auch für Händler. Denn die Entscheidungen fallen in der französischen Hauptstadt. Die Zentralisierung lässt die Situation in den Märkten oft außen vor. Um zu wissen, was vor Ort notwendig ist, wären starke Statthalter gefragt. Doch die fehlen. So berichten Händler in Deutschland von Diskussionen mit Topmanagern aus dem PSA-Konzern: Wenn Argumente für ein schlüssiges Verhalten fehlten, war die Antwort "Herr Tavares will das so, also machen wir das so." Diskussion beendet.

Die Zweifel der Vertriebspartner betreffen auch die oberste Führungsetage bei Opel. Das Machtzentrum ist Paris, nicht Rüsselsheim. "Eigentlich hat man dafür in Deutschland Manager, doch die müssen stark genug sein, eine vernünftige Vertriebspolitik durchzusetzen. Das bezweifle ich manchmal", sagte Kurt Kröger jüngst diplomatisch im Interview mit der Automobilwoche. Als Kröger 1987 als Geschäftsführer bei Dello begann, hatte Opel einen Marktanteil von rund 17 Prozent. Heute liegt er bei gut fünf Prozent. Viele Autohäuser sind völlig überdimensioniert.

Hilfe können die Händler von PSA nicht erwarten. Die Unternehmenspolitik hat dazu geführt, dass viele Manager und Fachkräfte das Weite gesucht haben. Der Aderlass ist groß. Er macht die Zentrale in Rüsselsheim zu einem Verschiebebahnhof. Das sorgt nicht für Motivation bei den Mitarbeitern. Ohnehin blieb beim Umzug der PSA-Deutschland- Zentrale viel Know-how zwischen Köln und Rüsselsheim auf der Strecke. Deutlich weniger als jeder Zweite war Anfang 2020 bereit, den Schritt nach Hessen zu gehen. Nun verlassen noch viele Mitarbeiter, die zunächst umgezogen waren, das Unternehmen in den ersten zwölf Monaten. Dabei war man bei PSA gewarnt: Als Peugeot Deutschland einst von Saarbrücken nach Köln zog, hatten rund 95 Prozent der Mitarbeiter der Zentrale das Unternehmen verlassen. PSA scheint das in Kauf zu nehmen.

Der Zentralismus wirkt als Hemmschuh im Betriebsalltag. Oft warten die Händler auf Antworten. Manchmal ist es schwierig, den richtigen Ansprechpartner zu finden. Nur wenige sind bereit, Verantwortung zu übernehmen. Geduld ist gefragt. Manche Händler warten noch auf Prämien aus dem Jahr 2018. Man halte sich an vertragliche Vereinbarungen, teilt PSA mit. Daran gibt es Zweifel bei den Vertriebspartnern. "Der Hersteller kommt seinen Basisverpflichtungen zur Lieferung von Fahrzeugen und Teilen und zur Information der Handelspartner nicht mehr nach", kritisiert der Opel- Händlerverband in einem internen Schreiben, das der Automobilwoche vorliegt. Ein PSA-Händler findet drastischere Worte: "Tavares hat den Laden kaputtgespart."

Was das konkret heißt, machen die Beispiele aus dem Händleralltag deutlich: "Es gibt Tausende Kundenbestellungen, die der PSA-Konzern nicht ausliefern kann", sagt ein Händler. Das Problem habe bereits vor der Corona-Krise bestanden und sei durch die Pandemie weiter verschärft worden. "Anfang September musste ich Kunden mitteilen, dass es das von ihnen bestellte Fahrzeug in der Motor-Getriebe-Kombination nicht mehr gibt", sagt der Händler. Die Folge: Stornierungen. "Drei Wochen später kam von PSA der Anruf, dass die entsprechende Kombination nun doch wieder produziert wird." Anderes Beispiel: Dem potenziellen Käufer eines Berlingo, dem Top-Seller von Citroën, musste er innerhalb eines Jahres knapp zehnmal Vertragsänderungen mitteilen. "Am Ende war der Kunde weg. Den sehe ich nie wieder."

Händler erwarten Erklärungen vom Hersteller. "Die Marken der Groupe PSA optimieren stets ihr verfügbares Modellportfolio, um den Erwartungen der Kunden gerecht zu werden und um die strengen CO2-Ziele in Europa einzuhalten", begründete der Konzern gegenüber der Automobilwoche solche Vorgehensweisen. Um den Kundenerwartungen gerecht zu werden? Wenn die Kunden den Händlern nicht abspringen, dann sind sie zumindest sauer. Und das bringen die Kunden spätestens dann zum Ausdruck, wenn sie danach gefragt werden – in den Zufriedenheitsumfragen. Boni in Höhe von rund einem Prozent hängen daran. Liegt bei einem Peugeot-Partner die Weiterempfehlungsrate unter 70 Prozent, wird der Bonus komplett gestrichen.

Ohnehin hat der Konzern die festen Margenbestandteile zusammengestrichen. Umso wichtiger ist die flexible Vergütung. Nun will PSA Deutschland im vierten Quartal in die Offensive gehen. Opel will zurück auf sechs Prozent Marktanteil. Deshalb hat die Marke die Ziele für seine Partner von Oktober bis Dezember pauschal um 13 Prozent erhöht. Laut internen Unterlagen vom Opel-Händlerverband haben sich viele Partner dagegen gewehrt und Widerspruch eingelegt. Ist das Verhalten von PSA eine reine Machtdemonstration oder bewusste Margenkürzung? Die Händler sind sich uneins. Es könnte der Auftakt zu einer neuen Sparrunde sein. Denn die Fusion von PSA und FCA ergibt nur Sinn, wenn alle Synergien ausgeschöpft werden. "Mit dem Zusammenschluss wird der Ausleseprozess verstärkt", sagt ein Peugeot-Partner. Der Konzern werde die Vertriebsnetze übereinander legen und aussortieren.

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