München. Wenn VW-Konzernchef Martin Winterkorn zu Stift und Serviette greift, um etwas zu erklären, wird es interessant: „Muss es für jedes dieser Autos einen Nachfolger geben?“, fragt er in die Runde und wirft eine lange Liste von Modellen aufs Papier, darunter neben Vans wie dem VW Sharan und Seat Alhambra vor allem Cabrios: Audi A3 und A5 Cabrio, VW Eos, Golf Cabrio, Beetle Cabrio. Die Nachricht ist klar: Zwölf offene Modelle bieten die VW-Konzernmarken derzeit an. Winterkorn: „Für die Marke Volkswagen genügen sicherlich nur zwei Cabrios.“
Einst als hoch profitable Fahrzeugnische geschätzt, lässt der Markt das Cabrio-Segment im Regen stehen: Peugeot will deshalb den 207 CC stoppen. Nicht nur der Sparzwang der Autohersteller setzt der Modellvielfalt zu. Der Siegeszug der modischen SUVs und Crossover-Modelle hat in den vergangenen Jahren immer weniger Menschen zum Cabrio greifen lassen. Das war noch vor wenigen Jahren anders: 2007 wurden laut Autofacts, einer Marke der Unternehmensberatung Pricewaterhouse-Coopers, in den beiden wichtigsten Cabrio-Regionen Nordamerika und Europa rund 827.000 Cabrios produziert. 2013 waren es jedoch nur noch rund 444.000. Schafften die offene Autos in Deutschland im ersten Halbjahr 2007 noch einen Marktanteil von 5,4 Prozent, sackte er nach Angaben des Informationsdienstes AID im ersten Halbjahr 2014 auf 3,3 Prozent ab. Das bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die Lieferanten der Verdecksysteme. So schließt der finnische Zulieferer Valmet seine Stoffdach-Fertigung in Osnabrück bis 2017. Valmet hatte 2010 die Dachproduktion vom insolventen Zulieferer Karmann übernommen. Auch in den Boomzeiten war das Cabrio-Fieber auf bestimmte Märkte beschränkt. In Europa sind das Deutschland, England, Dänemark und Schweden. In Nordamerika vor allem die Sonnenstaaten Kalifornien und Florida. Dabei werden laut Christoph Stürmer, Global Lead Analyst bei PwC Autofacts, in den beiden USStaaten offene Autos häufig von Menschen gefahren, „die vorher ihr Leben in verregneten oder kalten Industrieprärien wie Detroit oder Boston verbracht haben. Und die wollen jetzt jeden Sonnenstrahl nutzen.“ Ein Blick auf die arabischen Staaten, China oder Singapur, wo es fast gar keine Cabrios gebe, zeige hingegen, „dass es den Leuten dort nicht im Traum einfallen würde, sich die Sonne auf den Kopf scheinen zu lassen“, so Stürmer. Auch Trend- und Zukunftsforscher Sven Gabor Janszky ist skeptisch, was die Belebung des Cabriomarkts angeht: In den Hochzeiten des Offenfahrens seien Cabrios von Menschen gekauft worden, „die damit zeigen wollten, dass sie einer bestimmten Community angehören.“ Von Menschen, die es verstehen, das Leben zu genießen, und die auch über das nötige Geld verfügen, um ein solches Auto fahren zu können. „Heute zeigt man eher mit einem Elektroauto wie dem Tesla oder dem BMW i3, dass man etwas Besonderes ist oder einem etwa Ökologie sehr wichtig ist“, ergänzt der Trendforscher. Wegen der Abhängigkeit vom Image hätten es die Cabriohersteller deshalb auch nicht in der Hand, den Markt durch Innovationen zu beleben. „Ein anderer Klappmechanismus für das Verdeck reicht da nicht aus“, resümiert Janszky. Matthias Meyer, Mitglied der Geschäftsleitung beim Analyseunternehmen Research-Fellows, sieht einen wichtigen Grund für das schleppende Cabriogeschäft „in der gestiegenen Angebotsvielfalt bei anderen Karosserievarianten wie beispielsweise SUVs oder Crossover-Modellen. Die breite Verfügbarkeit großer Panoramadächer führt zusätzlich dazu, dass Kunden sich häufiger überlegen, ob sie den Mehrpreis für das Cabrio bezahlen wollen“, so Meyer. Zudem manifestiert sich die Cabrio-Nachfrage nur zu einem geringen Teil im Neufahrzeugmarkt. „Cabrios verfügen über hohe Restwerte und werden nicht unbedingt neu gekauft“, erklärt Stürmer. Auch er sieht Substitutionsbeziehungen zwischen Cabrios und SUVs. „Aber das verringert den Cabriomarkt viel stärker, als es den SUV-Markt unterstützt.“ Das zeige schon allein die Größe der einzelnen Segmente. Den 444.000 produzierten Cabrios in Europa und Nordamerika standen 2013 rund 7,8 Millionen SUVs gegenüber. Könnte das SUV als Cabrio die Lösung aller Probleme sein? Zukunftsforscher Janszky glaubt nicht daran, dass das den Cabriomarkt wieder nach oben zieht. „Denn während Cabrios für Werte wie Leichtigkeit oder Genuss stehen, steht das SUV eher für Stärke. Das zu verbinden, schwächt eher beide Identitäten.“ Mehr Potenzial verspricht er sich von der Verbindung Cabrio und Elektroauto. Zudem kann er sich gut vorstellen, dass Menschen mit einem Faible für Cabrios auch Interesse an voll vernetzten Fahrzeugen oder dem autonomen Fahren haben. Webasto-Chef Holger Engelmann glaubt jedenfalls weiter ans Cabrio. Er ist davon überzeugt, dass das Gefühl des offenen Fahrens mit keiner anderen Karosserieform zu ersetzen und immer Interessenten finden wird. „Wir haben bei Webasto bei vielen Themen einen langen Atem bewiesen, und das werden wir auch beim Cabriomarkt beweisen.“