Mehr Luxus, weniger Kosten. Stefan Reindl, Chef des Instituts für Automobilwirtschaft (IfA), erklärt die Folgen der Pläne für die Mercedes-Händler.
Herr Reindl, wie viele der rund 520 Partner von Mercedes werden wohl verschwinden?
Sicherlich wird es mittel- und langfristig auch zu Einschnitten im aktuellen Vertriebsnetz kommen. Nimmt man die Daten aus dem Jahr 2019 zur Hand, so wurden in Deutschland insgesamt 318.353 Fahrzeuge an Einzelkunden, Gewerbetreibende und Flotten abgesetzt. Theoretisch ergibt sich daraus je Partner ein Absatz volumen von 612 Fahrzeugen. Ich denke, dass die Stückzahl je Betrieb sukzessive auf bis zu 1000 Fahrzeuge jährlich anwachsen wird. Ich gehe auch davon aus, dass Daimler keine Vorwärtsintegration im Sinn hat, um die künftigen stationären Formate – ähnlich wie Niederlassungen – im großen Stil selbst zu betreiben.
Besteht nicht die Gefahr, dass durch die Ausdünnung im Kompaktwagen-Segment viele der gewonnenen Kunden abspringen?
Ein Netzumbau muss sorgsam und schrittweise erfolgen. Die Kunden müssen mitgenommen werden. Es wird wohl zu einer Strategie kommen, die Zug um Zug sowohl organisatorische und prozessuale als auch digitalisierte und strukturelle Anpassungen beinhaltet.
Ist die Fokussierung auf Luxus statt Premium die richtige Strategie für Mercedes?
Eine radikale Ausrichtung der Ursprungsmarke Mercedes-Benz auf Luxusautomobile halte ich für wenig erfolgversprechend. Ich denke, diese Marke ist im Premiumbereich gut aufgehoben und sichert dadurch auch wichtige Marktsegmente wie die der A- und C-Klasse ab. Bei der E- und S-Klasse könnte aber eine Höherpositionierung möglich sein. Richtig ist, dass über die ohnehin integrierten luxusorientierten Submarken wie AMG und Maybach höhere Wertschöpfungs- und Renditechancen realisiert werden sollten.
Braucht ein Luxus-Erlebnis nicht auch einen entsprechenden physischen Handel?
Ich denke, dass gerade im Premium- und Luxusbereich "Clicks and Bricks" notwendig sind. Das heißt, der Kunde wird entscheiden, welche Kontaktpunkte er on- oder offline – also vor Ort – nutzt. Gerade bei höherwertigen Automobilen ist sicherlich eine reale Markenwelt mit Fahrzeugen zum Anfassen auch in Zukunft sehr wichtig.
Rendite statt Volumen lautet die Ansage von Ola Källenius. Kann diese Rechnung aufgehen?
Sicherlich ist Volumen nicht alles, aber ohne eine bestimmte Schlagzahl ist auch keine ausreichende Rendite zu erwirtschaften. Dennoch wird Daimler darauf bedacht sein, das Niveau der Gewinnschwelle über die Optimierung der Kostenseite nachhaltig zu senken. Andererseits kann die Höherpositionierung einiger Produktlinien dafür sorgen, die Ertragsseite zu stärken.
Ist das Potenzial für Submarken wie AMG und Maybach, die auf hohe Einkommen zielen, wirklich so groß wie angenommen?
Einerseits hat sich der Premiummarkt in der Vergangenheit relativ robust gezeigt – auch bei gesamtwirtschaftlichen Dellen. Andererseits sind die Premium- und Luxussegmente vor allem in Asien in den vergangenen Jahren stark und nachhaltig angewachsen. Insofern macht die Fokussierung auf solche Segmente auch langfristig Sinn.
Lassen sich die angestrebten 25 Prozent Onlineverkauf bis 2025 wirklich realisieren?
Wir sind gerade in Deutschland bei der Diskussion um die Neuausrichtung von Vertriebskonzepten zu sehr auf den Verkaufsabschluss fokussiert. Richtig ist, dass die Kundenprozesse sehr individuell sein werden. Wir werden nach wie vor stationäre Formate für die Beratung, für das Anfassen, für die Probefahrt, aber auch für die Übergabe sowie bei Reparatur und Wartung während der Nutzungsphase benötigen. In welcher Form dann der Vertragsabschluss erfolgt, ist weniger relevant. Es wird vielmehr darum gehen, die Funktionen und Aufgaben der stationären Betriebe entsprechend zu vergüten, um die betriebswirtschaftliche Tragfähigkeit in den Vertriebsund Servicenetzen sicherzustellen.
Das Interview führte Michael Gerster.
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