Die digitale Revolution zwingt die Autoindustrie zum radikalen Wandel. Wenn Herbert Diess, Harald Krüger oder Ola Källenius davon sprechen, ihre Konzerne zu globalen Mobilitätsdienstleistern umzubauen, bedeutet das: Alles steht auf dem Prüfstand – das Geschäftsmodell, die Kultur, die Arbeitsweise.
„Google & Co. sind mit ihren digitalen Produkten nicht nur neue Wettbewerber für die
alteingesessene Industrie. Mit flachen Hierarchien und großer Eigenverantwortung der Mitarbeiter arbeiten sie anders und fördern eine agile Unternehmenskultur“, sagt Laura Kronen, Expertin für agiles Arbeiten bei PwC Strategy&.Wer sich von den digitalen Stars aus dem Silicon Valley nicht die Butter vom Brot nehmen lassen will, der muss nicht nur lernen, digitale Produkte oder ein vernetztes Ökosystem zu entwickeln, sondern auch entsprechend zu arbeiten. Denn der größte Wettbewerbsfaktor ist nicht mehr das fehlerfreie Produkt Auto, sondern die Geschwindigkeit, mit der neue Software für das Fahrzeug entwickelt und auf den Markt gebracht wird. Die Methode der Wahl ist die agile Softwareentwicklung, die auf das 2001 von 17Softwareexperten verfasste „Agile Manifest“ zurückgeht. Das Manifest definiert Werte und Leitsätze zur Zusammenarbeit, an denen sich mittlerweile ganze Industrien orientieren.
„Die voranschreitende Digitalisierung, volatilere Märkte und kürzere Produktlebenszyklen
erfordern von uns noch mehr Flexibilität als bislang“, sagt Nicola Leibinger-Kammüller, Chefin des Maschinenbauers Trumpf. Sie setzt in ihrem Unternehmen schon seit Jahren auf agile Arbeitsprozesse (siehe Seite 5). Das mag auf denersten Blick ungewöhnlich erscheinen, weil Trumpf als Maschinenbauer nicht originär Software produziert, sondern Hardware. Dennoch hat Leibinger-Kammüller früh begonnen, die Produktentwicklung mit agilen Arbeitsprozessen zu verweben, denn Software steckt mittlerweile überall drin. 14-tägige bis vierwöchige „Sprints“, in denen Software entwickelt und gleich veröffentlicht wird, lösen zunehmend die hierarchische Nullfehlerstrategie ab.Die größte Herausforderung für die Konzerne ist laut PwC-Expertin Kronen aber der sogenannte „Mindset-Change“. Damit ist die veränderte Sichtweise von Führungskräften gemeint, Ziele und Problemstellungen anzugehen. „Agiles Arbeiten bedeutet für Führungskräfte nicht Macht- und Verantwortungsverlust gegenüber agilen Teams“, so Kronen. Im Gegenteil: „Der Manager wird zum echten Leader. Anstelle von Mikromanagement gibt er Visionen, Ziele und Prioritäten eindeutig vor, die Ergebnisverantwortung bleibt in seiner Hand.“ Die Verantwortung für die Umsetzung und die inhaltliche Ausgestaltung liegt bei den Mitarbeitern in ihren interdisziplinär aufgestellten Teams. „Das führt zu mehr Verantwortung und Motivation und gleichzeitig zu weniger Zeitverlust, weil die Teams fokussiert arbeiten“, sagt Kronen.
So arbeitet Trumpf nach eigenen Angaben bereits seit zehn Jahren in der Softwareentwicklung agil und hat seit rund zwei Jahren komplett die Hierarchiestufe der Gruppenleiter abgeschafft. Stattdessen werden Teams von einem „Chief Product Owner“ und dem „Agile Manager“ geleitet. „Für den Erfolg eines Projekts ist es wichtig, dass die Teams eine Produkt-Vision haben – und den Weg dorthin gemeinsam gestalten“, sagt Rainer Schlegel, der mehrere Teams als „Chief Product Owner“ beim schwäbischen Maschinenbauer führt. Der „Agile Manager“ hingegen sorgt dafür, dass Teams lernen, selbstständig und eigenverantwortlich zu arbeiten.
Trumpf ist in der Anwendung agiler Prozesse ein Beispiel, wie einem Traditionsunternehmen der Wandel gelingen kann. Die Autoindustrie zieht mit.
Dieser Text ist Teil der Serie 100 Digital Leaders Automotive:
Hier stellt die Redaktion der Automobilwoche mit Unterstützung der Unternehmensberatung PwC insgesamt 100 Top-Unternehmen vor, die bei der Digitalisierung der Automobilbranche eine führende Rolle spielen.
Dieser Artikel ist Teil der vierten Folge, in der Unternehmen präsentiert werden, die bei Mobilitätsdiensten die Nase vorn haben.
Zur Gesamtübersicht aller 100 Unternehmen (wird fortlaufend ergänzt):