Droht der Zelle das Schicksal der Fotovoltaik?

In der Biologie ist die Zellvermehrung, die sogenannte Mitose, eine zügige Angelegenheit. Innerhalb weniger Stunden teilt sich eine Mutterzelle und bildet zwei identische Tochterzellen. Wievon Zauberhand setzt sich die ­Vermehrung fort.

Der Aufbau einer europäischen Zellfertigung hingegen kommt ­einem höchst langwierigen Kraftakt gleich – in Politik und Industrie gleichermaßen. Zauberhaft sind bisher höchstens die Fantasien derBürokraten. EU-Vize Maroš Šefcovic schwebt ein europäischer Batterie-Champion vor, vergleichbar mit dem Gemeinschaftsunternehmen Airbus. Zu sehen ist davon bisher nichts.

Auch die deutsche Politik, die ­eine Milliarde Euro Fördergeld in Aussicht stellt, hat bisher nur Hoffnung. Wirtschaftsminister Peter Altmaier rechnet damit, dass es bis Ende März konkrete Investitionsentscheidungen für eine deutsche Batteriezellfabrik geben wird. Subventionen haben schon manchen Industrietraum wahr werden lassen. Die Zellfertigungsfantasie der Bundesregierung erinnert an das Fotovoltaikwunder der 2010er-­Jahre.

Rund 111.000 Beschäftigte zählte die Branche zur Hochzeit. Firmen wie Q-Cells, Centrotherm und ­Solarworld ließen die Anlegerherzen höherschlagen. Dann wurde es Nacht in der Sonnenbranche und die Papiere zu Pennystocks. Keines der Unternehmen war ­ohne den Push der staatlichen Ökostrom­umlage überlebensfähig.

Skeptiker erinnern sich an diese Zeit und weisen auf die hohen Markteintrittshürden undden extremen Preiskampf hin. „Sich als neuer Player ohne Vorkenntnisse im Zellmarkt zu etablieren, ist sehr schwierig“, sagt Wolfgang Bernhart, Auto­experte bei Roland Berger. Daimler-Chef Dieter Zetsche hält die Zellfertigung auch gar nicht für nötig, da sich die asiatischen Anbieter längst in Europa angesiedelt haben.

Die deutschen Autokonzerne ­haben sich über milliardenschwere Verträge mit Zellen für die nächsten drei bis vier Jahre eingedeckt. BMW bezieht einen Teil aus der ersten deutschen Produktion des chinesischen Herstellers CATL. Selbst bei einem „sprunghaften Anstieg“ der E-Mobilität, von dem die EU-Kommission laut Memo von Oktober 2018 ausgeht, sei es keine Frage der Marktgröße, ob ein europäisches Unternehmen reüssiert, so Bernhart. „Der europäische Zellfertiger muss sich fragen: ‚Kann ich die richtige Qualität zu marktfähigen Preisen anbieten?‘ Da habe ich bei einem Newcomer große ­Bedenken.“

Dennoch gibt es Firmen, die es mit den Batteriegiganten LG, CATL, Panasonic, Samsung & Co. aufnehmen wollen. Northvolt ­etwa. 2023 wollen die Schweden Zellen mit einer Leistung von 32Gigawattstunden produzieren.

­Gute Chancen rechnet sich Martin Anderlind, im Unternehmen für die Geschäftsentwicklung verantwortlich, aus, weil Northvolt direkte Drähte zu Rohstofflieferanten wie Nemaska Lithium habe.

Branchenkenner halten Northvolt auch deshalb für das einzige Unternehmen mit Chancen auf einen Markteintritt, weil dahinter eine internationale Mannschaft von Experten steckt – unter anderem die Ex-Tesla-Manager ­Peter Carlsson und Paolo Cerruti.

Das deutsche Konsortium TerraE hat bereits aufgegeben. Die Anteile sind an den Akku- und Systemanbieter BMZ übergegangen. Dieser fährt eine kleine, aber feine Strategie: eine Zellproduktion von vier bis acht Gigawattstunden, die sich zunächst über die Besetzung von Nischenmärkten rechnet. Zum ­Beispiel durch die Produktion von Batterien für elektrische Gabelstap­ler und andere Transportfahrzeuge. Märkte, die für die großen Hersteller aus Fernost nicht interessant, aber doch lukrativ sind. Gerade weil diese Unternehmen es sonst schwer haben, Lieferanten zu finden.

Die EU stellt derweil weitere 114?Millionen Euro für Batterie-Entwicklungsprojekte unter dem Dach des Forschungsprogramms „Horizon 2020“ zur Verfügung. Die EU-Kommission sieht gar die Möglichkeit, mit einer Batterie­industrie – inklusive Zellproduktion – bis 2025 vier bis fünf Millionen Arbeitsplätze in der EU zu schaffen. Die Hoffnung ruht auf Konsortien wie jenem um den Batterie­hersteller Saft, den belgischen Chemieriesen Solvay, den Recycling-Konzern Umicore, Siemens und Maschinenbauer Manz, die an der nächsten Generation der Festkörperbatterie forschen.

Umicore will Kathodenmaterialien im polnischen Nysa herstellen, Solvay arbeitet an Elektrolyten und Separatoren für Elektroden und ­erwägt den Bau einer Anlage in ­Europa. BMW, Umicore und North­volt arbeiten in einem weiteren Konsortium an einer nachhaltigen Wertschöpfungskette für Zellen in Europa. Bleibt noch Varta, der Batteriehersteller aus Ellwangen, der wohl ins Geschäft mit E-Auto-­Zellen einsteigen will, aber noch nicht konkret wird.

Interessenten für das Spiel mit der Zelle gibt es durchaus. Jetzt heißt es warten auf die Evolution, bis aus „losen Zellhaufen“ nach milliardenschweren Investitionen und Subventionen eine Industrie wird. Sonst bliebe am Ende nur die bittere Erkenntnis, dass nicht jeder „Einzeller“ auf Dauer überleben kann.

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