Wenn es um die Herausforderungen geht, redet Volkswagen-Chef Herbert Diess Klartext. Die Transformation, vor der die Autoindustrie in den nächsten zehn bis 15 Jahren stehe, werde unvergleichlich sein mit allem, was man bisher gesehen habe. Die E-Mobilität sei da noch der einfachste Schritt gewesen, die Digitalisierung werde deutlich tiefgreifender. "Das wird ein Kraftakt." Den der Wolfsburger Konzern natürlich stemmen werde.
Am Dienstag wird der Vorstandschef erläutern, wie genau er sich die Zukunft vorstellt. Dann stellt er seine "Strategie 2030" vor, an der im 13. Stock des Markenhochhauses seit Monaten gefeilt wurde. Die E-Mobilität wird weiter vorangetrieben. Software und autonomes Fahren sollen zu weiteren Kernkompetenzen werden. Und das Geschäftsmodell wird komplett umgekrempelt: Statt nur mit dem Verkauf von Autos soll künftig mit Updates und Zusatzdiensten während der gesamten Nutzungsdauer Geld verdient werden. Geschäftsmodell 2.0 nennt man das.
Die Strategie dürfte in weiten Teilen noch die Handschrift seines langjährigem Chefstrategen Michael Jost tragen. Schon 2018 hatte der vorhergesagt, dass 2026 der letzte neue Verbrenner anläuft. Jost dürfte recht behalten: Audi will 2025 den letzten Verbrenner an den Start schicken, die Marke VW geht davon aus, dass in Europa 2033 oder 2035 Schluss ist. Ein Produktionsstart 2026 passt da genau in den Zeitplan.
Dabei war der bekennende Kostensenker Diess nach seinem Amtsantritt als VW-Markenchef vor sechs Jahren noch ausgebuht worden. Und im "System Wolfsburg", wie er das Machtgeflecht selbst nennt, ist der frühere BMW-Mann nach wie vor nicht wirklich angekommen. Intern gilt Diess weiter als "Ex-BMWler bei Volkswagen".
Diess selbst räumte erst im Herbst ein: "Bei meinem Amtsantritt in Wolfsburg habe ich mir fest vorgenommen, das System VW zu verändern." Das sei ihm "an vielen Stellen gelungen, an einigen nicht". Vor allem nicht, was seine Hausmacht in Wolfsburg angeht. Legendär sind seine Machtkämpfe mit dem früheren Betriebsratschef Bernd Osterloh. Das Problem löste sich in klassischer VW-Manier: Osterloh wechselte als Vorstand zu Traton. Eingefädelt haben soll das Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch.
Kritik am grundsätzlichen Kurs gibt es inzwischen aber nicht mehr, auch nicht vom Betriebsrat. Vor allem nicht an der E-Mobilität, die Diess zur neuen Kernkompetenz erklärt hat. Erst bei der Kernmarke VW, seit seinem Wechsel an die Konzernspitze 2018 dann in der gesamten Gruppe. "Diess hat die Elektromobilität absolut beschleunigt", sagt Analyst Schwope. Die Elektro-Plattform MEB, die viele Ingenieure anfangs noch für überflüssig hielten, gilt inzwischen als wichtiger Wettbewerbsvorteil. Die Softwareschmiede Cariad, wenn sie denn funktioniert, könnte der nächste werden.
Als Maßstab gelten längst nicht mehr Toyota oder General Motors, die VW einst unbedingt beim Volumen überholen wollte. Diess' Vorbild ist der E-Auto-Pionier Tesla, den er einholen und abhängen will, technologisch ebenso wie bei der Stückzahl. Und das dürfte zumindest beim Volumen auch gelingen: "Ich glaube, 2023 wird VW Tesla überholen", sagt Schwope. "Dann wird VW Weltmarktführer bei der E-Mobilität." Das sorgt auch bei Diess' Untergebenen für neue Aufbruchsstimmung. "Es tut gut, wieder an etwas Positivem arbeiten zu können, statt sich immer nur für Diesel zu rechtfertigen", sagt ein Manager.
Und Diess traut sich etwas, das vor ihm noch keiner gewagt hat: Er legt die Axt an das vom einstigen VW-Patriarchen Ferdinand Piëch geschaffene Firmenimperium. Erster Coup: das Herauslösen von Bugatti (siehe Kasten). Am liebsten hätte Diess auch gleich Ducati (komplett) und Lamborghini (per Teilbörsengang) abgestoßen. Doch hier scheiterte er am Widerstand Osterlohs. Zumindest bei der Motorradmarke Ducati gilt eine Wiedervorlage als nicht ausgeschlossen. "Das ist ein zäher Kampf, der bei Piëch undenkbar gewesen wäre", sagt Schwope.