Herr Leibfritz, Trends wie Vernetzung, autonomes Fahren, Carsharing und Elektromobilität verändern unsere Mobilität. Wie sehr haben diese Trends die Produktentwicklung bei der Allianz schon beeinflusst?
Diese Veränderungen vollziehen sich teilweise mit rasender Geschwindigkeit und schlagen sich sehr stark in unserer Produktentwicklung nieder. Konnektivität bedeutet für uns, dass unsere Versicherungs- und Serviceprodukte vollständig digital eingebettet werden in das Ökosystem der Autobauer. Die Pannenhilfe zum Beispiel wird heute nicht mehr über eine Telefonnummer aktiviert, sondern über eine App oder das On-Board-System des Herstellers.
Unser Selbstverständnis ist es, stets bei diesen Trends vorne mit dabei zu sein. Daher haben wir vor einigen Jahren das Automotive Innovation Center (AIC) gegründet. Das AIC fungiert als Schnittstelle in die Entwicklungsabteilungen der Hersteller, so dass wir sehr früh Themen gemeinsam entwickeln können.
Mit wem kooperieren Sie?
Beim autonomen Fahren sind wir seit zwei Jahren Partner von Firmen, die autonome Fahrzeuge auf der Straße haben, zum Beispiel das französische Unternehmen EasyMile. Gemeinsam mit solchen Partnern entwickeln wir unsere Produkte weiter und glauben auch, dadurch die Mobilität von morgen aktiv mitzugestalten.
Carsharing ist ein großes und gewichtiges Thema bei der Allianz. Wir haben entsprechende Versicherungstarife entwickelt und zum Beispiel mit Car2go ausgerollt – mit Tausenden von Autos. Da wird die Versicherung im Minutentakt gepreist und das Produkt an das Geschäftsmodell des Partners angepasst. Wir nennen das unser B2B2C (Business-to-Business-to-Consumer)-Modell, weil es sich von der Allianz über den Hersteller oder Mobilitätsanbieter bis zum Kunden erstreckt.
Bei der Elektromobilität gibt es weniger Komponenten in den Fahrzeugen, dafür ist die Batterie von zentraler Bedeutung. Wir arbeiten in dem Bereich zum Beispiel mit Tesla zusammen – mit einem globalen Anschlussgarantieprogramm für Europa und Asien.
Die Digitalisierung bietet den Versicherern neue Möglichkeiten, etwa eine bessere individuelle Risikoeinschätzung des Kunden aufgrund der größeren Datenbasis. Welche Potenziale will die Allianz hier noch nutzen?
Zunächst: Für die Allianz-Gruppe haben Datenschutz, die Integrität von Daten und die Regeltreue höchste Priorität. Deshalb investieren wir viel in die Datensicherheit.
Wir haben bereits Pay as you drive- und Pay-how-you-drive-Policen im Markt. Bei beiden Produkten verzeichnen wir steigende Nachfrage. Die Daten gehören dem Kunden und er entscheidet selbst, welche er zur Verfügung stellt. Diese Tarife bringen dem Kunden zusätzliche Transparenz, das ist für ihn ein echter Vorteil.
Wie hoch ist der Anteil solcher Policen?
Die Marktanteile derartiger Policen schwanken geografisch sehr stark. Eine Zahl kann ich daher nicht nennen. Grundsätzlich gilt: Wir arbeiten daran, kundenfokussierte Produkte zu entwickeln und Technologie mit Risikoeinschätzung zu verbinden. Für junge Fahrer beispielsweise bieten solche Tarife die Möglichkeit, ihre Fahrqualität zu untermauern. Auch deshalb werden diese Produkte gerne von den Kunden angenommen. Ich denke, dass als nächstes Fahrerassistenzsysteme zum Teil einer dynamischen Versicherungsbepreisung werden. Hier gibt es noch Potenzial.
Laut Branchenverband GDV lassen die modernen Assistenzsysteme bisher die Schadenkosten nicht im erhofften Umfang sinken. Können Sie das bestätigen?
Die Systeme haben ein großes Potenzial, die Schadenfrequenz zu senken. Gleichzeitig verursachen diese höherwertigen Komponenten aber oft höhere Reparaturkosten. Außerdem schützen Assistenzsysteme nicht vor Schadenarten wie Hagel oder Steinschlag. Dennoch gehen wir unbedingt davon aus, dass die Assistenzsysteme noch großes Potenzial haben.
Durch die Digitalisierung sind die Kunden aus anderen Branchen teilweise schon sehr verwöhnt, was die Verfügbarkeit von Infos und Services angeht. Kann die Allianz hier Schritt halten?
Wir haben den Anspruch, nicht nur mitzuhalten, sondern den Standard zu setzen. Die Allianz hat 2015 die sogenannte Renewal Agenda-Strategie verabschiedet. Darin ist Kundenzentriertheit einer von fünf Punkten. Wir entwickeln unsere Produkte immer aus der Kundenperspektive und setzen auf "digital by default" (Digital als Standard), einen weiteren Schwerpunkt der "Renewal Agenda".
Wichtig für Allianz Automotive ist dabei, dass wir meistens nicht unter dem Allianz-Label agieren, sondern eingebettet in die digitalen Erlebniswelten unserer Partner. Wenn ein Hersteller sagt, so definieren wir die Customer Journey, dann passen wir dort genau rein. Es gelingt in vielen Fällen, uns als Partner in den Ökosystemen der Hersteller mit zu verankern.
Welche Konsequenzen hat das autonome Fahren für einen Kfz-Versicherer?
Vollautomatisch fahrende Autos haben das Potenzial, die klassische Kfz-Versicherung stark zu beeinflussen. Die Schadenshäufigkeit sollte mit dem autonomen Fahren sinken, die Produkthaftung künftig eine zentrale Rolle spielen und Flotten werden Teile der individuellen Eigentümerschaft ersetzen. In Summe wird sich die Autoversicherung hin zu einem Produkthaftungsprodukt verändern. Unabhängig davon muss aus unserer Sicht bei jeder Lösung der Opferschutz im Zentrum stehen, damit Geschädigten schnell geholfen werden kann. Wir arbeiten ja bereits mit Herstellern zusammen, daher ist die Versicherung von autonom fahrenden Fahrzeugen für uns heute schon ein Geschäftsfeld.
Ein ungelöstes Problem beim autonomen Fahren ist zum Beispiel, dass im Zweifelsfall ein Algorithmus eine ethische Entscheidung treffen muss.
Das ethische Dilemma beim autonomen Fahren kann ein Versicherer nicht beantworten. Das ist eine gesellschaftliche Frage, mit der sich ja auch schon die Ethikkommission der Bundesregierung beschäftigt hat.
Auch autonom fahrende Autos brauchen im Versicherungsschutz eine Haftpflichtkomponente. Im Zweifelsfall kommt es dann zu einer Diskussion zwischen dem Versicherer und dem Produktverantwortlichen des jeweiligen vollautomatischen Verkehrssystems. Das kann ein Autohersteller sein oder ein Infrastrukturanbieter. Diese Konstellation macht unser Geschäft zwar komplexer, aber die Aufarbeitung der Ursächlichkeit findet im Hintergrund statt. Das ist nicht Aufgabe des Geschädigten.
Bis dato als erste Autohersteller bieten Daimler und Audi die Verwendung des Smartphones als Autoschlüssel an. Die Allianz hat nun einheitliche Anforderungen an den "Virtuellen Fahrzeugschlüssel" formuliert.
Das Allianz Zentrum für Technik (AZT) arbeitet seit Langem mit den Autoherstellern an Sicherheitsstandards, etwa im Bereich der Crashtests oder des Diebstahlschutzes. Damit leisten wir einen Beitrag zur Fahrzeug- und Verkehrssicherheit. Wir sehen uns hier als strategischer Partner der Autoindustrie. Die Schlüssel-Diskussion steht in diesem Kontext.
Die Allianz will verhindern, dass Autobauer allein über den Zugriff auf Unfalldaten moderner vernetzter Fahrzeuge entscheiden und fordert die Einsetzung eines unabhängigen Treuhänders, bei dem die Daten gespeichert werden sollen. Wie soll das konkret aussehen?
Wir möchten, dass im Falle eines Unfalls schnelle Klärung erfolgen kann. Die Übertragung der für die Unfallaufklärung erforderlichen Daten vonhochautomatisiertenFahrzeugen könnte daher zukünftig an einen unabhängigen Treuhänder erfolgen, der die Daten verbraucherfreundlich und kostengünstig an alleBerechtigten zur Verfügung stellt. Bei Servicedaten für Versicherungs- und Serviceprodukte sind wir offen für andere Datenaustauschmodelle und arbeiten hier auch bereits konkret mit der Automobilindustrie zusammen.
Wird sich der Kampf um den Kunden vor dem Hintergrund der neuen Mobilität eher verschärfen oder sind auch Kooperationen mit Wettbewerbern denkbar?
In Summe rechnen wir mit einer Erhöhung des Wettbewerbs, die einhergeht mit einer Erhöhung der notwendigen Kompetenzen, um in diesem Segment erfolgreich zu sein. In Regionen, wo wir selbst nicht über die notwendigen Lizenzen verfügen, kooperieren wir auch schon mit anderen Versicherungsanbietern, zum Beispiel in Südkorea mit Dongbu Insurance.
Der BGH hat Dashcam-Aufnahmen vor Gericht zugelassen. Der Branchenverband GDV kritisierte, dass die Rechtslage trotz des Urteils nicht eindeutig sei.
Grundsätzlich haben wir außerhalb Deutschlands mit Dashcams bereits gute Erfahrungen gemacht, insbesondere bei Flotten oder neuen Mobilitätsmodellen. Grundsätzlich gilt: Alles, was wir experimentell erproben, muss immer im Einklang mit dem Datenschutz stehen.
Vor etwa einem Jahr kündigten sieben Großunternehmen, darunter auch die Allianz, an, eine eigene Datenplattform als Gegenpol zu Google, Facebook & Co ins Leben zu rufen. Sie soll es Kunden erleichtern, sich für Dienste im Internet zu registrieren. Was ist aus dem Projekt geworden?
Der Marktstart von Verimi war erfolgreich, und es kommen noch weitere Unternehmen dazu. Die Plattform wächst, Verimi ist im Zeitplan und wird zügig mit den ersten Produkterweiterungen und weiteren Anwendungspartnern live gehen.
Im Zusammenhang mit der Ausweitung der Kooperation mit Scania Financial Services Ende 2017 sprachen Sie von dem großen Potenzial im Firmen- und Flottengeschäft.
Insgesamt beobachten wir eine Zunahme von Fahrzeugflotten. Auch große Hersteller reagieren darauf mit spezialisierten Dienstleistern, wie zum Beispiel Daimler mit Athlon oder BMW mit Alphabet. Der Trend zu weniger individueller Eigentümerschaft setzt sich fort und gerade beim Flottenmanagement spielen digitale Lösungen und Telematik eine herausgehobene Rolle. Insbesondere mit dem automatisierten Fahren wird die Bedeutung der Flotten weiter steigen. Als Allianz Automotive haben wir ein spezielles Team für das Thema.
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