Die ersten Tests im Realbetrieb laufen

Die Arbeit an autonomen Nutzfahrzeugen erhält zwar weniger Beachtung als das Rennen der Hersteller bei automatisierten Pkw. Doch die ersten Serieneinsätze dürften bei Nutzfahrzeugen zu sehen sein. Allerdings nicht auf öffentlichen Straßen. Experten sind sich einig, dass Nutzfahrzeuge in klar abgegrenzten Gebieten, wie etwa auf den Höfen von Speditionen, im Warenanlieferungsbereich von Unternehmen oder auch auf Flughäfen, recht bald vollautomatisch fahren könnten.

"Wir erwarten, dass sich das automatisierte Fahren auf Werks- und Logistikgeländen, in Hafenarealen oder in der Landwirtschaft zuerst durchsetzen wird", sagt Wolf-Henning Scheider, Vorstandschef des Zulieferers ZF. Das Unternehmen will im kommenden Jahr mit der Aachener e.Go Mobile AG die Produktion des automatischen Busses e.Go Mover starten. "Der e.GO Mover ist das erste serienreife Fahrzeug mit ZF-Systemen, um ein automatisch fahrendes Mobilitätskonzept für Städte zu ermöglichen", so Scheider.

Volvo lässt bereits einen schweren Laster in einer Erzmine im schwedischen Kristineberg autonom fahren. Daimler hat schon demonstriert, wie autonom fahrende Actros-Trucks auf einem Flugfeld Schnee räumen können. ZF verfügt über Systeme, mit denen ein schwerer Lkw Wechselbrücken auf Betriebshöfen transportiert und ein sogenannter Terminal Yard Tractor das Rangieren von Sattelaufliegern übernimmt.

In solchen abgegrenzten Bereichen lässt sich autonomes Fahren deutlich einfacher realisieren, weildort viele hochkomplexe Situationen aus dem normalen Straßenverkehr ausgeschlossen werden können. Zudem treibt der wirtschaftliche Druck solche Entwicklungen voran und Akzeptanzprobleme spielen – anders als im Pkw – kaum eine Rolle.

Auch sind die möglichen wirtschaftlichen Vorteile des autonomen Fahrens für Logistiker enorm. In letzter Konsequenz würden die Kosten für den Fahrer wegfallen und die Fahrzeuge könnten ohne auf Ruhezeiten achten zu müssen fast rund um die Uhr fahren. Die Berater von McKinsey kamen in einer Studie zum Ergebnis: "Autonomes Fahren der Stufe 5 kann die Gesamtbetriebskosten (TCO) bei Lkws um 35 Prozent und bei LCVs um 50 Prozent senken." Bis einschließlich Level 4 seien die Vorteile dagegen mäßig: etwa zehn Prozent sowohl bei schweren als auch bei leichten Nutzfahrzeugen.

Die Technologie für das automatisierte Fahren ist derzeit bei Personenwagen und Nutzfahrzeugen auf ähnlichem Stand. So erwartet Continental Level-4-Automatisierung "bei Personenwagen frühestens 2025. BeiNutzfahrzeugen rechnen wirungefähr zur selben Zeit mit den ersten Level-4-Fahrzeugen im Normalbetrieb." Anwendungen in vom öffentlichen Verkehr abgegrenzten Bereichen werde es wohl aber schon früher geben.

Die technische Basis für das automatisierte Fahren ist bei Pkw und Nutzfahrzeugen weitgehend gleich – aber "zumeist werden die Technologien zunächst für Personenwagen entwickelt und dann für Nutzfahrzeuge adaptiert", heißt es bei Continental. Es sei aber auch denkbar, dass der aktuell für Lastwagen forcierte Rechtsabbiegeassistent seinen Weg in Personenwagen finden werde. Andererseits habe dieses System auch von Sensorikentwicklungen und künstlicher Intelligenz aus dem Pkw--Bereich profitiert.

Auch bei ZF findet der "Technologietransfer wechselseitig zwischen Pkw, Nutzfahrzeugen und Industrieanwendungen statt". So könnten Erfahrungen mit fürLastwagen gesetzlich vorgeschriebenen Systemen wie automatische Notbremsung oder Warnungen beim Spurverlassen auch für Pkw-Entwicklungen genutzt werden. Bei der Sensorentwicklung finde der Transfer aktuell meist vom Personen- zum Lastwagen statt.

Prinzipiell kommen die gleichen Sensoren zum Einsatz – Radar, Kamera, Lidar, erläutern die Entwickler bei Continental und ZF. Nur die Rahmenbedingungen und die Integration ins Fahrzeug seien komplett anders, heißt es bei ZF. Andere Bordnetzspannungen oder Anforderungen an Robustheit und Lebensdauer machten bei Nutzfahrzeugen Anpassungen erforderlich. Ein Truck benötige auch "eine andere Konstellation von Sensoren, schlicht weil er größer ist", erläutern Experten von Continental.

Ein genereller Unterschied tut sich bei den Aktoren auf, die das Fahrzeug steuern müssen: Zum einen ist die Aufgabe komplexer, weil Lastwagen, teils mit Anhängeroder Auflieger, mehr Achsen haben. Zum anderen sind die Kräfte, die zur Steuerung nötig sind, deutlich höher.

Nutzfahrzeuge benötigen zudem eine Wankregelung, um das Aufschaukeln zu vermeiden. Auch sei es sinnvoll, die Fahrerkabine zustabilisieren, weil sie Sensoren trägt, die beim Schwanken der Kabine ihre Position zum Rest des Fahrzeugs verändern.

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