Lutz Fügener ist einer der wichtigsten Designexperten Deutschlands. Der Professor für Transportation Design an der Hochschule Pforzheim warnt im Automobilwoche-Interview davor, beim Innenraum der Zukunft zu große Erwartungen zu wecken. Und er sagt, wen er für mutiger hält: Tesla oder BMW?
Herr Fügener, wird die Entwicklung des Elektroautos das Innendesign radikal verändern?
Die Veränderungen sind nicht so groß, wie viele annehmen. Es sitzen Menschen in einem Fahrzeug, das gesteuert werden muss. Das klassische Interface Mensch-Maschine bleibt erhalten. Allerdings ergeben sich durch die E-Mobilität viel mehr Möglichkeiten im Packaging. Die Innenräume bieten mit dem E-Auto auch in kleinen Fahrzeugen mehr Platz, weil Aggregate wegfallen.
Finden Sie die Konzepte der Hersteller für E-Autos überzeugend?
Nicht wirklich. Tesla ist ein gutes Beispiel dafür, dass man die Möglichkeiten eines reinen Elektroautos nicht genutzt hat. Der Kunde soll hier offensichtlich nicht mit allzu ungewöhnlichen Konzepten verschreckt werden. Aus Marketinggründen ist das nachvollziehbar. Es gibt aber Hersteller, die schon mehr gewagt haben, beispielsweise BMW mit dem i3.
Was ist der nächste Schritt?
Immer mehr Designer lassen sich nicht mehr von den eigenen Traditionen erdrücken. Viele zeigen mehr Mut, auch weil die Kunden für Neues bereit zu sein scheinen. Gerade jüngere Leute achten besonders auf die Details im Innenraum.
Welche Bedeutung hat der Innenraum im Fahrzeug der Zukunft?
Früher lag der entscheidende Kaufanreiz aus Designsicht im Außendesign. Das hat sich geändert. Weder die Autobauer noch die Autojournalisten haben jahrelang den Innenraum wirklich ernst genommen. Man hat den Antrieb diskutiert und vielleicht noch eine Alcantara-Ausstattung. Die Automobilindustrie ist sehr konservativ. Jahrelang galt im Innenraum die Dreifaltigkeit aus Leder, Klimaanlage und Wurzelholz.
Kommt auch im Innenraum die Revolution aus China?
Ja und nein. Einerseits gibt es in China keine automobile Tradition. Die Kunden orientierten sich deshalb bislang an den europäischen und amerikanischen Geschmacksmustern. Doch das ändert sich gerade mit den immer jüngeren Autokäufern in China. Das ist eine sehr spannende Entwicklung, die noch andauert.
Was wird im Innenraum wichtiger, was unwichtiger?
Der wirkliche Bruch mit den Traditionen des Autofahrens kommt mit dem autonomen Fahren. Ein Level-4- und noch mehr ein Level-5-Auto bietet ganz neue Erlebnisse. Aus Sicht eines Designers ist der entscheidende Schritt von Level 4 auf Level 5. Das Auto, wie wir es heute kennen, wird damit verschwinden.
Was werden die sichtbarsten Veränderungen im selbstfahrenden Auto sein?
Natürlich wird die Rolle des mobilen Entertainments deutlich zunehmen. Deshalb entdecken die Autobauer derzeit eine Spezies im Auto, die sie bislang nahezu ignoriert haben: die Passagiere. Die Branche hat die Passagiere schlecht behandelt, sie bekamen bestenfalls einen Becherhalter. Aber warum sollten sie im Fahrzeug nicht über einen echten Kaffeevollautomaten verfügen?
Kommt also bald das rollende Wohnzimmer auf die Autokunden zu?
Das Konzept ist ja nicht wirklich neu. Es gibt schon lange Verkehrsmittel, die Lounge-artige Elemente aufweisen, etwa in der Bahn, imBus und im Flugzeug. Die Lounge-Konzepte sind im Pkw ebenfalls berechtigt, vor allem aus Gründen der Kommunikation. Allerdings haben die Sicherheitsanforderungen zu Recht einen hohen Stellenwert. Ein rollendes Wohnzimmer wird daher wohl Fantasie bleiben. Ich sehe hier latent die Gefahr, dass durch sehr futuristische Konzepte bei den Kunden eine Erwartungshaltung aufgebaut wird, die die Hersteller künftig nicht einhalten werden können.
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