Kein Zaun, keine Videokameras. Nur der blaue 911 vor der Tür verrät etwas über den Bewohner des 600 Jahre alten Bauernhauses am Hang. Einen Steinwurf entfernt gleiten die Gondeln der Seilbahn bergauf, weiter unten rauscht der Verkehr auf der Bundesstraße. „Kommt doch herein, es ist kalt“, sagt Wolfgang Porsche. Seit 1941 ist das Schüttgut in Zell am See im Besitz des größten deutschen Automobil-Clans. Im Jahr 2004 hatte es Wolfgang Porsche von seiner Familie erworben. Durch den holzgetäfelten Flur, vorbei an Hirschgeweihen und Kuhglocken, geht es ins behagliche Wohnzimmer. Die Haushälterin serviert Kaffee und selbst gemachtes Gebäck. Das Haus ist der Lebensmittelpunkt von Wolfgang Porsche. Hier verbringt er die Zeit zwischen Aufsichtsratssitzungen und Firmenterminen. Hier fand 1972 das legendäre Krisentreffen statt, das im Rückzug der Familienmitglieder aus dem operativen Geschäft bei Porsche und VW endete. Hier fiel auch der legendäre Satz von Cousin und Gegenspieler Ferdinand Piëch: „Ihr seid Hausschweine, ich bin das Wildschwein.“
Herr Porsche, was bedeutet Ihnen das Schüttgut?
Das Schüttgut ist meine Heimat. Ich bin zwar in Stuttgart geboren, aber wir sind kurz nach meiner Geburt hierher gezogen. Hier habe ich einen Teil meiner Kindheit verbracht, mit den Brüdern und Cousins auf den Wiesen und am Bach Verstecken gespielt. Es war herrlich. Als mein Vater starb, hatte er alles geordnet, nur nicht, was mit diesem Haus passieren sollte. Es gab sonderbare Vorschläge aus der Familie, wonach das Schüttgut in ein Gästeheim der Familie oder ein Seminargebäude umgewandelt werden sollte. Ich darf gar nicht daran denken. Schließlich habe ich es übernommen, um es als Familiensitz zu erhalten. Auch weil ich gewusst habe, wie sehr mein Vater das Schüttgut geliebt hat.Wann haben Sie zum ersten Mal bewusst wahrgenommen, dass ein Porsche ein besonderes Auto ist?
Sie werden es nicht glauben, aber zunächst habe ich das Autofahren gar nicht vertragen. Als Kind ist mir auf der Rücksitzbank schlecht geworden, wenn wir auf den kurvigen Bergstraßen um Zell am See unterwegs waren. Vielleicht habe ich mich deshalb schon recht früh selbst ans Steuer gesetzt. Als wir zurück nach Stuttgart gezogen sind, durfte ich auf unserem Grundstück am Feuerbacher Weg unseren Porsche 356 vor der Garage ein- und ausparken. Obwohl ich kaum über das Lenkrad schauen konnte, habe ich diese ersten Fahrversuche sehr genossen.Es ist ja häufig vom Mythos Porsche die Rede. Wie würden Sie den definieren?
Ach, das sind sehr viele Mosaiksteinchen. Ein Porsche war zwar immer exklusiv, aber eben auch alltagstauglich. Darin drückt sich eine Bodenständigkeit aus, die auch unsere Kunden schätzen. Die wollen nicht nur von A nach B kommen, sondern sie lieben und leben diese Sportwagen. Auch die Porsche-Mitarbeiter sind stolz darauf, für dieses Unternehmen zu arbeiten. Vielleicht hat es auch ein wenig damit zu tun, dass wir als Familie für eine gewisse Bescheidenheit und gegenseitige Rücksichtnahme im Unternehmen stehen. Zusammen mit den Rennsporterfolgen ergibt all dies offenbar eine besondere Ausstrahlung der Marke.Wie reagieren die Menschen, wenn Sie auf Ihren vielen Reisen Ihren Namen nennen?
In der Regel ganz normal. Ich kann mich nur an eine lustige Episode aus dem Hotel Imperial in Wien erinnern. Das ist aber schon eine Weile her. Da sagte die Empfangsdame, als ich ihr meinen Namen nannte: „Ich will nicht wissen, welches Auto Sie fahren, sondern wie Sie heißen.“Hätten Sie gedacht, dass sich die Porsche AG nach der gescheiterten VW-Übernahme im Jahr 2009 so gut entwickeln würde?
Da muss ich gleich einhaken: Die Porsche SE hält heute mit 52,2 Prozent die Mehrheit der Stammaktien der Volkswagen AG. Seit 2012 -gehört die Porsche AG zum Volkswagen-Konzern und hat sich unter dessen Dach gut weiterentwickelt. Porsche profitiert von den Synergien mit den anderen Marken im Konzern. Die Idee von Wendelin Wiedeking, sich an Volkswagen zu beteiligen, war aus heutiger Sicht absolut richtig, wenngleich man manches hätte anders machen müssen. Seine Bemerkung, dass es in Wolfsburg keine heiligen Kühe geben dürfe und permanent alles infrage gestellt werden müsse, war sicher nicht hilfreich.Was ist von den Strukturen, die Wiedeking bei Volkswagen anprangerte, denn noch da?
Grundsätzlich hat sich der Volkswagen-Konzern und speziell die Marke Volkswagen in den letzten Jahren stark gewandelt. Herr Müller und der gesamte Vorstand von Volkswagen haben vieles in die richtige Richtung bewegt, die kürzlich vorgelegten Konzernzahlen für 2017 sprechen für sich. Ich habe wiederholt darauf hingewiesen, dass ich mit der Mitbestimmung der Arbeitnehmer in deutschen Unternehmen grundsätzlich kein Problem habe. Ich sage aber auch ganz klar, dass in erster Linie der Vorstand für die Entscheidungen in einem Unternehmen verantwortlich ist. Sonst wackelt der Schwanz mit dem Hund. Nur ein wirtschaftlich gesundes Unternehmen ist auch ein guter und sicherer Arbeitgeber.Wolfgang Porsche öffnet die Tür zum ehemaligen Stallgebäude unweit des Haupthauses. Es riecht dezent nach Autowerkstatt, obwohl alles blitzblank ist. Auf der rechten Seite stehen drei rote Porsche-Traktoren, davor ein dunkelgrüner Porsche 356 Carrera 2 (Baujahr 1963), mit dem der 74-Jährige regelmäßig die Ennstal-Classic durch die österreichischen Alpen absolviert. Es ist eines der Lieblingsautos von Wolfgang Porsche. In einer Vitrine liegen Wimpel und Plaketten von Porsche-Clubs aus aller Welt. An der Wand hängen Werbeposter für den 911. Mit den Stücken ließe sich ein Museum eröffnen. Doch Wolfgang Porsche legt Wert darauf, dass die meisten der Fahrzeuge auch regelmäßig gefahren werden. Neben Raritäten wie einem Kübelwagen enthält die Sammlung auch neue Modelle wie einen Panamera Plug-in-Hybrid, zwei 918 Spyder und einen 911 Turbo S aus der limitierten Auflage „Exclusive Series“. Als die Fotografen um Bilder bitten, macht Wolfgang Porsche bereitwillig mit.Wie kann der VW-Konzern das durch die Dieselkrise verlorene Vertrauen wiedergewinnen?
Das Wichtigste sind unsere Kunden, und deshalb müssen wir alles tun, um ihr Vertrauen zurückzugewinnen. Gleichzeitig plädiere ich vor allem für mehr Bescheidenheit. Größe allein ist kein Wert an sich.Matthias Müller hat im vergangenen Jahr mehr als zehn Millionen Euro verdient. Ist das bescheiden?
Diese Debatte um Managergehälter ist sehr deutsch, es gibt sie in -anderen Ländern kaum. Wer hier Erfolg hat, wird schief angeschaut. Wir haben im Aufsichtsrat die Gehälter reformiert. Wir haben uns an der Zukunft statt an der Vergangenheit orientiert, die Vergütungssystematik an andere Industrien angepasst und liegen, was die Höhe der Vorstandsgehälter angeht, im Mittelfeld.Sie verteidigen Matthias Müller. Warum musste der VW-Vorstandschef vorzeitig gehen?Matthias Müller hat den Vorstandsvorsitz in einer Zeit übernommen, die für Volkswagen sehr schwierig war. Mit der Konzernstrategie „Together 2025“ hat er die strategische Neuausrichtung erfolgreich vorangetrieben. Die sehr guten Geschäftszahlen für das Jahr 2017 sind ein Beleg dafür, dass die von ihm getroffenen Maßnahmen richtig waren. Dafür gebührt ihm großer Dank.
Was muss Herbert Diess an der Konzernspitze besser machen?
Es geht nicht um die Frage nach besser oder schlechter, sondern um eine Erhöhung des Tempos und -eine verstärkte Nutzung von Synergien. Herr Diess hat deshalb eine umfassende Neustrukturierung für den VW-Konzern vorgelegt, die er jetzt umsetzen muss.Können Sie den Ärger der Dieselfahrer verstehen, die nun Fahrverbote fürchten müssen?
Natürlich. Wir müssen deshalb alles unternehmen, um großflächige Fahrverbote zu verhindern. Es gibt intelligentere Möglichkeiten, um die Luft in den Innenstädten zu verbessern. Politik und Hersteller sollten hier an einem Strang ziehen. Ich frage mich manchmal schon, ob allen klar ist, wie viele -Arbeitsplätze in Deutschland an der Autoindustrie hängen.Haben Sie noch Kontakt zu Martin Winterkorn?
Wir telefonieren ab und zu, ich schreibe ihm zum Geburtstag und zu Weihnachten. Das finde ich wichtig. Ich werde nie verstehen, wie mein Cousin diesen Mann, der ihm 35 Jahre lang treu gedient hatte, so fallen lassen konnte und nicht offen mit ihm geredet hat.Sie spielen auf den berühmten Satz an: „Ich bin auf Distanz zu Winterkorn.“
Damit hat Ferdinand Piëch seine unbestritten große Lebensleistung aufs Spiel gesetzt und sich ins Abseits bugsiert. Ich bin überzeugt, dass es andere Wege gegeben hätte, Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und Herrn Winterkorn zu lösen.Haben Sie sich nach seinem Rückzug aus allen Ämtern und dem Verkauf der Firmenanteile mal ausgesprochen?
Nein, wir haben wenig Kontakt. Ich habe ihn aber zu meinem 75. Geburtstag eingeladen.Wenige Meter neben dem Schüttgut steht eine kleine, weiß getünchte Kapelle. Wolfgang Porsche geht hinüber, öffnet die Tür und blinzelt in die Sonne, die sich zwischen den Wolken für einen kurzen Augenblick zeigt. Ein frischer Blumenstrauß, sechs Kerzen, unter dem Kreuz eine Gedenktafel. „Hier ruht der große Techniker und Erfinder Ferdinand Porsche.“ Auch weitere Familienmit-glieder wie seine Frau Aloisia, Tochter Louise und deren gleichnamige Tochter sowie Sohn Ferry, dessen Frau Dorothea und deren Sohn Ferdinand Alexander sind hier beigesetzt. „Der Kern unserer Tradition ist diese Kapelle“, sagt Wolfgang Porsche. Sie ist auch ein Grund, warum er das Anwesen 2004 von seinen Verwandten erworben hat. Die Familie ist das Zentrum, um das sich die Welt des Unternehmers Wolfgang Porsche dreht. Unerträglich ist für ihn die Vorstellung, dass im Falle eines Verkaufs einmal Touristen oder Seminargäste über die Wiesen am Schüttgut getrampelt wären.Jetzt zieht die vierte Generation der Familie in den Aufsichtsrat der Porsche SE. Wie wichtig ist dies für Sie?
Ich könnte mir vorstellen, dass die Ressentiments zwischen den Familienzweigen in Zukunft keine Rolle mehr spielen und ein Einvernehmen leichter herzustellen ist. Wir sind zwar eine große Familie, aber sicher ist nicht jeder geeignet, in die verschiedenen Aufsichtsratsgremien zu gehen. Viele stehen ja auch voll in -ihren Berufen. Deshalb bin ich froh, dass wir mit Josef Ahorner, Stefan Piëch und Peter Daniell Porsche drei geeignete Kandidaten gefunden haben. Daneben -haben wir auch andere namhafte Experten aus den Bereichen Recht und Finanzen gewinnen können.Porsche ist in den vergangenen Jahren enorm gewachsen. Fürchten Sie um die Identität des Unternehmens?
Tatsächlich müssen wir aufpassen, dass der Porsche-Mythos gewahrt bleibt. Vor wenigen Jahren beschäftigte Porsche 15.000 Mitarbeiter, jetzt sind es 30.000. Die müssen alle echte Porscheaner bleiben, das wird zunehmend schwierig. Das Unternehmen braucht den VW-Konzern für die Zusammenarbeit in Entwicklung und Produktion, muss aber auch eine gewisse Eigenständigkeitbewahren. Porsche verkauft schon über 250.000 Autos im Jahr. Da ist es entscheidend, die Exklusivität zu wahren.Mit dem Mission E baut Porsche den ersten elektrischen Sportwagen. Eine richtige Entscheidung?
Mein Großvater hatte mit dem Lohner Semper Vivus ja schon 1899 ein Elektroauto gebaut. Insofern steht der Mission E auch für den Wagemut, der bei Porsche Tradi-tion hat. Es gab viele Stimmen, die gesagt haben, der Ausbau des Standorts Stuttgart lohnt sich nicht. Sicher war dies nicht die günstigste Variante. Aber es war wichtig, dass dieses Elektroauto aus Stuttgart kommt. Dafür verzichten die Mitarbeiter auf einen Teil ihrer Lohnerhöhung und zahlen das Geld in einen Zukunftsfond ein. Auch das zeigt für mich den Geist, der in diesem Unternehmen nach wie vor lebendig ist.Der Rennsport war immer ein wichtiger Teil der Historie von Porsche. Reicht die Formel E in Zukunft aus?
Die Formel E ist sicher geeignet, die Elektromobilität zu befördern. Und die Konkurrenz zu Audi schadet hier nichts. Aber ich werde auch dieses Jahr wieder nach Le Mans gehen, obwohl Porsche nicht mehr in der LMP1-Klasse antritt. Mir geht es dabei gerade auch um den Kundensport, den wir noch mehr stärken wollen. Außerdem geht Porsche in der GT-Serie mit einer Rekordzahl an Fahrzeugen an den Start und wird den Ferraris und anderen Wettbewerbern das Feld nicht überlassen.Die Autobranche ist im rasanten Wandel. Gibt es ein Thema, bei dem Sie sich schwertun?
Schwer tue ich mich weniger mit den technologischen Veränderungen als vielmehr mit der bürokratischen Überregulierung. Früher -hatten wir bei Porsche eine Rechtsabteilung mit fünf Juristen, heute sind es über 30. Und darüber hinaus ist für viele Entscheidungen Expertise von außen notwendig. Das Gleiche gilt für die Arbeitsgesetze. Es ist doch absurd, wenn ein Praktikant an einem spannenden Thema arbeitet und dies abschließen will, dann aber nach Hause gehen muss, weil er sein Stundenbudget schon erreicht hat. Wenn wir unseren Wohlstand dauerhaft erhalten wollen, brauchen wir vor allem Eigeninitiative und Leistungsbereitschaft unserer Mitarbeiter. Die müssen wir fördern und nicht behindern.Sie sind Sprecher der Familie und Integrationsfigur bei Porsche. Wer soll diese Rolle einmal übernehmen?
Ich werde mich in der Hauptversammlung der Volkswagen AG nochmals als Aufsichtsratsmitglied für fünf Jahre zur Wahl stellen, weil ich glaube, dass ich den angestoßenen Wandel mitüberwachen sollte. Das Gleiche gilt für die Porsche AG. Wie lange ich das gesundheitlich durchhalte, wird man sehen. Wenn Sie mich nach einem Nachfolgekandidaten fragen, würde ich aus heutiger Sicht am ehesten Ferdinand Oliver Porsche sehen. Er sitzt ja schon seit mehreren Jahren im Aufsichtsrat bei VW und Audi -sowie bei der Porsche AG und der Porsche SE. Er kennt diese Unternehmen sehr gut. Ihm würde ich diese Rolle voll und ganz zutrauen. Allerdings hat unsere Familie über einen Nachfolgevorschlag noch nicht entschieden.Am Ende des Gesprächs lädt Wolfgang Porsche ins nahe gelegene Schloss Prielau, das wie die Bergbahnen auf die Schmittenhöhe, die Schifffahrt auf dem Zeller See oder der kleine Flugplatz zum Familienbesitz im Pinzgau gehört. 22 Betten hat das Schloss, in dem einst der Wiener Dramatiker Hugo von Hofmannsthal lebte. Jedes Zimmer ist mit viel Liebe zum Detail renoviert. Das Schloss wird gerne komplett gemietet, wie die Hotelchefin verrät. So haben namhafte Industriellenfamilien hier bereits ihren Urlaub verbracht. Wolfgang Porsche hat das rustikale Anwesen mit Kirche 1981 erworben und selbst einige Jahre hier gewohnt. Gerne speist er im Restaurant, in dem der Witzigmann-Schüler Andreas Mayer kocht. Bei all dem strahlt Wolfgang Porsche eine warmherzige Bescheidenheit aus, die kaum in größerem Kontrast zum Reichtum der Familie stehen könnte. Dies sollte allerdings niemand als Schwäche missdeuten. Als er entdeckt, dass vier Glühbirnen an einem Deckenleuchter fehlen, kommt prompt die klare Ansage: „Sofort ersetzen.“Lesen Sie auch:
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