Es war nur ein Nebensatz, doch der hatte es in sich. Auf der Elektronikmesse CES in Las Vegas saß Daimler-Entwicklungschef Markus Schäfer in einem kleinen Raum hinter der Bühne des Mercedes-Stands und plauderte mit Journalisten über die Software-Kompetenzen von Autoherstellern. Wie beiläufig kündigte Schäfer an, dass Mercedes in Zukunft ein eigenes Betriebssystem entwickeln und dafür in den nächsten Jahren massiv Stellen aufbauen werde. In drei bis vier Jahren solle das MB.OS genannte System in den ersten Fahrzeugen eingebaut werden.
Damit ist Daimler mittendrin im Wettrennen um die Software-Hoheit in der Autobranche. Auch Volkswagen-Konzernchef Herbert Diess hatte jüngst angekündigt, ein eigenes Betriebssystem für alle Modelle der zwölf Marken zu entwickeln. In einer Brandrede vor Managern machte er den Aufbau der Car-Software-Organisation zu einer zentralen Säule seiner Strategie. "Der Erfolg dieser Einheit entscheidet über unsere Zukunft", rief Diess den versammelten Führungskräften in Berlin zu.
Die Ankündigungen bedeuten einen Strategiewechsel, der in seiner Bedeutung kaum zu unterschätzen ist. Wird das Auto tatsächlich zum rollenden Smartphone, dann reicht es für die Hersteller nicht mehr aus, Blech in schicke Formen zu biegen und mit Motoren und Getrieben auszustatten. "Wir sind überzeugt, dass ein eigenes Betriebssystem notwendig ist, um die Features in einem Fahrzeug wie Fahrerassistenz, Entertainment, Navigation oder Shopping bieten zu können", sagte Schäfer.
Natürlich haben das Fahrzeuge zum Teil heute schon. Das Problem ist aber, dass sich Autobauer wie Daimler, BMW oder der VW-Konzern hierfür vor allem auf externe Partner verlassen. So ist die Zahl der einzelnen Steuergeräte und Schnittstellen in den vergangenen Jahren geradezu explodiert. Ob Kamera für den Spurhalteassistenten, Sprachsteuerung beim Infotainment oder die Integration des Telefons über Bluetooth: Mit jeder Funktion ist das System komplexer geworden.
"Heute haben wir bis zu 100 einzelne Rechner in einem Fahrzeug, die zumeist bei Lieferanten von Software-Technik programmiert werden. Diese müssen alle vernetzt werden", klagte Daimler-Manager Schäfer. Nicht immer klappt dies reibungslos. So hatte VW bei der Entwicklung von Golf VIII und dem rein elektrischen ID.3 bis zuletzt massive Schwierigkeiten mit der Software, die beinahe eine rechtzeitige Markteinführung dieser Fahrzeuge verhindert hätten. Beim Golf VIII waren zu Beginn nicht alle Funktionen verfügbar und sollten nachträglich freigeschaltet werden. Der ID.3 wird erst auf den letzten Drücker fertig, auch wenn VW am Starttermin im Sommer 2020 festhält.
"Die Verknüpfung der Software-Lösungen unserer Lieferanten stellt uns vor große Herausforderungen. Bereits heute haben wir in einem modernen Volkswagen eine zehnfach höhere Komplexität als bei einem Smartphone-Betriebssystem. In einigen Jahren wächst das auf den Faktor 30", sagt VW-Digitalvorstand ChristianSenger. Als Vorbild dient VW dabei auch Elon Musk, der die Software von Anfang an zu einem Kerngeschäft von Tesla gemacht hat.
Um in Zukunft besser gewappnet zu sein, plant der Volkswagen-Konzern den Aufbau der Car-Software-Organisation. Bis 2025 sollen mehr als 10.000 Digitalexperten die Software im Fahrzeug, die digitalen Ökosysteme rund um myVolkswagen und die Dienste von Volkswagen We sowie kundennahe Funktionen im Handel vorantreiben. Heute entwickelt der Konzern nur knapp zehn Prozent der Software im Auto selbst. Bis 2025 soll der Eigenanteil auf 60 Prozent steigen.