Herr Brandstätter, die Einführung des ID.3 sollte eigentlich im Frühjahr mit der First Edition beginnen. Das ist jetzt auf Sommer verschoben. Sind ausschließlich Software-Probleme die Gründe dafür? Wie schnell lassen sich die beheben?
Volkswagen steht wie kein zweites Unternehmen für attraktive und bezahlbare E-Mobilität und wird mit der ID-Familie das Elektroauto für alle auf die Straße bringen. Unser Zeitplan für den ID.3 steht: Die Weltpremiere fand auf der IAA 2019 statt, der Produktionsstart war plangemäß im November 2019. Im Sommer 2020 erfolgt dann die Markteinführung mit der limitierten 1ST Edition. Danach folgen die frei konfigurierten Modelle. Den Bestellstart für diese frei konfigurierbaren Fahrzeuge werden wir zeitnah bekannt geben. Wir sind auf dem Weg zu emissionsfreier Mobilität für alle. In dem Satz steckt die ganze Kraft der Marke. Für alle heißt: auch in Zeiten des Klimawandels wollen wir vielen Menschen weiterhin individuelle Mobilität ermöglichen, weil die Freiheit der individuellen Mobilität ein hohes Gut ist. In emissionsfreier Mobilität steckt auch unser klares Commitment zum Pariser Klimaabkommen 2050. Das heißt bilanziell CO2 neutrale Mobilität bedeutet saubere Autos aus sauberer Produktion. Das alles passiert nicht von heute auf morgen, aber wir haben diesen Weg unwiderruflich eingeschlagen.
Wie viele Fahrzeuge des ID.3 sind inzwischen vom Band gelaufen und müssen nun nachträglich geupdated werden?
Derzeit werden Serienfahrzeuge entsprechend unserer Fertigungskapazitäten produziert. Sie werden danach online gehen und den neuesten Stand der Software bekommen. Die digitalen Funktionen des ID.3 werden in den Folgemonaten in regelmäßigen Abständen aktualisiert.
Für wie lange ist die Versorgung mit Fahr-Batterien im Voraus gesichert?
Wir sind nicht nur kurz- sondern auch mittelfristig sehr gut mit Lieferverträgen abgesichert - regional balanciert in den Regionen China, Nordamerika und Europa. Hier arbeiten wir mit CATL, SKI und LG Chem vertrauensvoll zusammen. Zusätzlich bauen wir bekanntlich eigene Kapazitäten auf in unserem gemeinsamen Joint-Venture mit Northvolt in Salzgitter. Die Produktion wird hier allerdings frühestens 2023 starten.
Wie sieht überhaupt der Bestelleingang für das erste E-Auto von VW aus?
Wir sind sehr zufrieden mit den Ergebnissen des ersten Prebookings, das wir für die Marke durchgeführt haben. Mehr als 37.000 Kunden konnten wir bislang begeistern. Einige von ihnen hatten im Dezember die Gelegenheit an einem exklusiven Fahrevent mit dem ID.3 teilzunehmen. Sie waren hellauf begeistert von der Performance des Autos.
Sind es mehr Privat- oder Flottenkunden?
Für uns interessant ist vor allem, dass die Vorbestellungen zu fast 80 Prozent von Neukunden stammen, die bislang noch keinen Volkswagen gefahren sind. Das heißt, wir sprechen vollkommen neue Zielgruppen mit der ID.-Familie an. Und das bislang ausschließlich im privaten Bereich, denn das Pricing für die Flottenkunden vom ID.3 erfolgt erst in den kommenden Monaten. Das Interesse ist aber jetzt schon groß. Mit der geplanten Reichweite und dem sehr komfortablen Innenraumangebot ist das Fahrzeug für Firmenflotten interessant. Es gibt ja heute kaum noch ein Unternehmen, dass sich nicht selbst auch strenge CO2-Flottenziele setzt. Und die sind nur mit elektrifizierten Autos zu erreichen, die gleichzeitig die hohen Anforderungen beispielsweise an Anschaffungs- und auch Betriebskosten - die "Total Cost of Ownership" - der Flottenkunden erfüllen. Der ID.3 ist so ein Fahrzeug.
Und wie ist der Handel auf die Einführung der E-Mobilität vorbereitet? Gibt es spezielle Vorgaben aus Wolfsburg, die erfüllt werden müssen (Ladesäulen etc.)?
Der Handel ist gut vorbereitet. Wir haben mit dem internen Programm "Mission ID." sehr früh ein umfangreiches Paket geschnürt, das Händler und Märkte explizit bei der ID.-Familie in den Entwicklungs- und Vermarktungsprozess eingebunden hat, um sie entsprechend für die E-Offensive vorzubereiten. Wir haben mit unseren Handelspartnern zudem vereinbart, dass diese an ihren Standorten Ladesäulen errichten. So können sie den Kunden die E-Mobilität in der Praxis erklären und leisten ebenfalls einen Beitrag für eine flächendeckende Ladeinfrastruktur.
Dazu gleich die Frage, wie hat der Handel auf die Umstellung der CI und die damit verbundenen doch recht hohen Kosten für die einzelnen Betriebe reagiert? Gibt es finanzielle Unterstützung des Unternehmens?
Der Handel hat positiv reagiert auf unser New Brand Design. Dieses Design steht für die neue Haltung unserer Marke und für den Aufbruch ins Zeitalter der Elektromobilität. Volkswagen übernimmt die Umrüstungskosten der Signalisation im Außenbereich der Betriebe und wird Eigentümer dieser Elemente. Im Innenbereich steht den Händlern und Importeuren die Entscheidung frei. 17.500 von ihnen haben wir derzeit zu Gast in unserem Hafen1-Gebäude in Wolfsburg. Die Resonanz auf den neuen "Look" von Volkswagen ist überwältigend. Die meisten fahren zurück in ihre Heimat und nehmen ein Stück der Aufbruchstimmung mit, die bei uns herrscht.
Und jetzt zum Golf VIII: Wie läuft der Millionenseller an? Wie ist die Resonanz aus dem Kundenkreis?
Die Markteinführung des neuen Golf in Deutschland ist wie geplant im vergangenen Dezember angelaufen und wird von einer umfangreichen Marketingkampagne flankiert. Wir verzeichnen sowohl im Handel als auch online ein großes Interesse unserer Kunden und haben viel positives Feedback zum Fahrzeug als auch zur Kampagne erhalten. Kein Produkt steht so für die Marke Volkswagen wie der Golf - er ist eine der wichtigsten Säulen der Marke. Mit der achten Generation bringen wir unseren Bestseller in das digitale Zeitalter und rüsten ihn so für die Anforderungen von heute und morgen. Innen ist er eine Revolution. Im Mittelpunkt steht das neue Innovision Cockpit, das rund um den Fahrer angeordnet ist. Es kann individuell angepasst werden. Alles geht über Sprachsteuerung, über einen Klick oder einen Touch. Übrigens läuft das Auto eine Stunde schneller vom Band als sein Vorgänger - hier haben wir nicht nur beim Produkt sondern auch in der Produktion bemerkenswerte Fortschritte gemacht.
Wann ist mit den ersten Derivaten - GTI, GTD - zu rechnen?
Wie üblich und von früheren Generationen bereits bekannt, werden wir die Derivate im Anschluss sukzessive in 2020 in den Markt einführen. In Genf werden wir die ersten Derivate vorstellen. Dann geht es Schlag auf Schlag. Wir haben im Vergleich zu seinem Vorgänger unsere Dieselmotoren optimiert und eine neue Technologie eingeführt – Twin Dosing. Zwei SCR Systeme reduzieren die Stickoxide mehr als jemals zuvor. Unsere Ottomotoren haben wir elektrifiziert. Und zum ersten Mal gibt es Mild-Hybride. Sie haben bessere CO2-Werte als alle ihre Mitbewerber. Wir nennen sie eTSI. Und natürlich sind Plug-In-Hybride erhältlich: Der neue Golf GTE etwa, er kommt im Sommer und kann mit mehr als 50 Kilometern elektrischer Reichweite alle Alltagsfahrten lokal emissionsfrei erledigen.
Welche Assistenzsysteme werden bei VW Pkw häufig geordert? Wenn überhaupt, auf was könnte man perspektivisch verzichten?
Wir lassen nichts weg, sondern führen vielmehr mehrere Innovationen zu einem System zusammen, wie etwa bei "Travel Assist". Da verbinden wir den adaptiven Tempomat ACC mit dem Spurhalteassistenten Lane Assist. Das Fahrzeug übernimmt mit nur einem Knopfdruck am Lenkrad temporär die wesentlichen Fahrfunktion "Fahren, Bremsen, Lenken". Der Fahrer bleibt in der Verantwortung, wird aber beispielsweise im Stauverkehr komfortabel unterstützt. Im Dezember haben wir mit der Einführung unserer neuen Dachmarke Volkswagen "IQ.DRIVE" begonnen. Sie steht unter dem Motto "Auf dem Weg zum autonomen Fahren" und umfasst bereits heute eine Vielzahl moderner Assistenzsysteme im Fahrzeug.
Jetzt zu einem ganz anderen Thema. 2012 hatte VW noch etwa 14.000 Leiharbeiter, bis 2020 soll die Zahl auf 0 sinken. Wie ist der aktuelle Stand?
Die Transformation hin zur E-Mobilität bedeutet einen fundamentalen strukturellen Wandel. Denn erstens werden neue Kompetenzfelder wichtig, etwa in den Bereichen Software und Digitalisierung. Und zweitens ist die Fertigung von E-Autos weniger beschäftigungsintensiv, da die Komplexität des Verbrennungsmotors entfällt. Darum investieren wir massiv in die Qualifizierung und Talententwicklung unserer eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die die Garanten unseres Erfolges sind. Für die im Zuge der Digitalisierung notwendige personelle Transformation und zukunftsorientierte Qualifizierung der Mitarbeiter haben wir im Konzern das Qualifizierungsbudget um weitere 60 Millionen Euro auf insgesamt rund 150 Millionen Euro erhöht. Langfristige Beschäftigungsgarantien geben uns in zentralen Produktionsbereichen Planungssicherheit. Gleichzeitig fahren wir den Einsatz von Leiharbeitern entsprechend zurück - auf derzeit knapp 1700 Mitarbeiter.
Können Sie etwas zur geplanten Mehrmarkenfabrik in Manisa sagen? Wie weit ist der Plan gediehen, wie sieht die Aufgabenverteilung mit Skoda aus?
Wir haben hier keinen Handlungsdruck, sondern haben in unserem weltweiten Produktionsnetzwerk ausreichend Möglichkeiten auch kurzfristig notwendige Kapazitäten zu schaffen. Aber es gilt weiterhin, dass wir das Werk benötigen, um unsere langfristigen Wachstumspläne weiter zu verfolgen. Und es gilt ebenso unverändert, dass die Pläne für ein Werk in der Türkei aktuell auf Eis liegen. Zu gegebener Zeit werden wir uns dazu äußern, wie wir weiter verfahren.
Und schließlich zu Ihnen persönlich: Seit gut eineinhalb Jahren sind Sie COO VW Pkw. An welchen Stellhebeln haben Sie seither besonders geschraubt? Was läuft immer besser? Und in welchen Bereichen sehen Sie noch verstärkten Handlungsbedarf?
Unsere strategischen Stellhebel - die Produkt- und SUV-Offensive, der Zukunftspakt und der Umschlag in den Regionen - entfalten ihre Wirkung. Wir haben unsere Margen deutlich gesteigert und sind hier im Zielkorridor. Wir haben konsequent unsere Kostenarbeit intensiviert. Erstmals seit Jahren steigen die Fixkosten nicht mehr von Jahr zu Jahr. Mit der so genannten "MissionX" haben wir ein wirksames Programm zu Optimierung der Materialkosten aufgesetzt. Und ein effizientes Variantenmanagement eingeführt. Die Motor-Getriebe-Varianten wurden um 25 Prozent reduziert und die Angebotskomplexität vor Kunde vereinfacht.
Zudem haben wir die Roadmap Digitale Transformation aufgesetzt und mit der Arbeitnehmer-Seite zusammen entwickelt. Sie erlaubt es uns in den Verwaltungsbereichen durch Einsatz digitaler Technologien und durch Abbau von Bürokratie effizienter zu werden und diese gewonnen Ressourcen in zukunftsträchtige Digitalarbeitsplätze zu reinvestieren. Aber auch in der Produktion werden digitale Technologien zur Produktivitätsverbesserung umgesetzt. Die Roadmap Digitale Transformation erlaubt uns weiter zu automatisieren und somit wettbewerbsfähig zu bleiben. Und sie wird uns dabei helfen, uns noch schneller als bislang zu wandeln. Auf dem Weg zu einem Tech-Unternehmen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass uns dieser Wandel gelingt.
Das Interview führte Wolfgang Schäffer
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