Die Hochschule Pforzheim gehört zu den weltweit wichtigsten Ausbildungsstätten für Automobildesigner, neben dem Art Center College of Design in Kalifornien und dem Royal College of Art in London. Vor wenigen Tagen wurden die Master- und Bachelor-Abschlussarbeiten des jüngsten Jahrgangs präsentiert. Automobilwoche sprach mit ihrem Studiengangleiter, Professor Lutz Fügener.
Herr Professor Fügener, die Abschlussarbeiten Ihrer Studenten sehen zum Teil aus, als seien sie für Science-Fiction-Filme konzipiert. Warum sind die Entwürfe so fern von der Realität?
Aus Designersicht sind die Autos auf der Straße – sogar die auf dem Messestand –immer längst Vergangenheit. Manch Designer erinnert sich schon fast nicht mehr, was er da eigentlich gemacht hat. Wir haben ja Anlaufzeiten von fünf bis sechs Jahren, für einen Jungdesigner ist das eine große Spanne seines Lebens. Der Designer lebt mit seiner Arbeit also sowieso quasi in der Zukunft. Und die konzeptionellen Entwürfe meiner Studenten stellen noch einmal einen weiteren Schritt in die Zukunft dar. Deswegen hat das mit der Gegenwart auf den ersten Blick wenig zu tun.
Nach der Ausbildung aber müssen doch jetzt Rückspiegel und Dachlinien entworfen werden, die im Hier und Jetzt angenommen werden…
Das bringen wir unseren Studenten natürlich bei, das ist ja klar. Aber zum Beispiel ein Retro-Design zu entwerfen, etwas Neues auf Basis von tradierten Formen, das ist letztlich eine Fingerübung für einen Designer. Zu gucken, was die Konkurrenz macht und dann selbst etwas Ähnliches hinzustellen, das ist gestalterisches Handwerk. Sich ein wirklich neues Konzept auszudenken und das durchzubekommen, das ist die Königsdisziplin des Automobildesigns.
Was für konzeptionelle Themen haben Ihre aktuellen Abschluss-Studenten umgesetzt?
Ganz unterschiedlich. Im Rahmen einer Zusammenarbeit mit dem Hersteller wurde ein Van für Porsche entworfen. Dann gab es eine Masterthesis zum Thema Urban-Pick-Up-Truck. Da beschäftigte sich ein Student aus Mexiko mit der Frage, ob es eine Zukunft für den Pick-Up-Truck gibt. Dann wurde in Zusammenarbeit mit Mercedes ein "Le Mans Show Car 2040" gestaltet, mit Rolls Royce wurde untersucht, ob es für die klassische Limousine eine Zukunft gibt. Das sind nur einige Beispiele.
Hat Sie einer der Entwürfe besonders überrascht?
Ich möchte hier natürlich niemanden herausheben, alle Entwürfe sind in sich stimmig. Was ich aber tatsächlich überraschend finde, das ist das Le Mans Show Car 2040. Da denkt man zunächst, dabei kann eigentlich nicht viel rauskommen.
Wieso?
Rennwagen sind nach bestimmten Formeln konzipiert, nach Vorgaben der Rennserie, wie so ein Auto auszusehen hat. Das Korsett hat der Student aufgebrochen, indem er gesagt hat: ‚Wenn Autorennen auch in Zukunft spannend sein sollen, dann müssen wir einfach nur die richtigen Sachen erlauben." Vor allem muss so ein Rennwagen wieder spannend sein als Vorbild für den Serienautomobilbau, hinsichtlich Nachhaltigkeit, Effizienz, neuen Energien. Der Student hat dann ein neues Regelwerk aufgestellt, so dass sein Auto, sehr logisch, vollkommen anders aussieht.
Wie haben sich die Abschlussarbeiten in den letzten zehn Jahren verändert? Werden sie futuristischer? Oder sind sie näher an der Serie?
Tatsächlich sind die heutigen Entwürfe deutlich seriennaher. Das liegt auch daran, dass sich in den letzten zehn Jahren in der Automobilindustrie einiges bewegt hat, hinsichtlich der Karosseriegestaltung, oder auch betreffs neuer Antriebstechnologien, Stichwort BMW i3. Deswegen erscheinen uns die Entwürfe der Studenten heute realistischer als noch früher. Dieselben Arbeiten wären im Umfeld der neunziger Jahre noch sehr viel mehr Science Fiction gewesen. In der Automobilindustrie ist man mutiger geworden, man versucht alles herauszuholen, was an Ideen da ist. Das ist im Serienauto heute vielleicht noch nicht so ganz zu spüren, sehr wohl aber in den Entwicklungsabteilungen. Und weil das Denken wie gesagt einfach wieder freier geworden ist, kommen einem die Entwürfe machbarer vor.
Glauben sie, dass die Entwürfe Ihrer Studenten, oder Teilaspekte davon, irgendwann auf der Straße wiederzufinden sein werden?
Oh ja! Wenn ich über die Automessen gehe, sehe ich immer wieder, was aus den Entwürfen wird. Da kann ich bestimmte Dinge wiedererkennen. Weil es eben auch die Absolventen sind, die in den Designabteilungen Sachen mittragen und an ihren Ideen drangeblieben sind. Das betrifft natürlich nie ganze Fahrzeuge.
Werden alle Absolventen einen Job bekommen?
Zum großen Teil bestimmt. Verglichen mit konkurrierenden Ausbildungsstätten in der Welt haben wir eine sehr gute Quote, aber eine Job-Garantie gibt es nicht. Wobei unsere Studenten schon in der komfortablen Situation sind, meistens auch dort zu landen, wo sie gerne hinmöchten. Sie müssen nicht jedes erste Angebot direkt nach dem Abschluss wahrnehmen.
Kann man mit der Ausbildung am Studiengang Transportation Design auch in andere Branchen wechseln?
Ja, die Grundlagenausbildung ist allgemein ausgerichtet. Und es gibt durchaus Tendenzen, dass man versucht, Absolventen von uns in andere Branchen abzuwerben. Ein Beispiel ist da die Schuhbranche, das Design von Turnschuhen scheint sehr viel mit dem Automobildesign zu tun zu haben. Es gibt auch in wirklich guten Industriedesignbüros Absolventen von uns.
Wenn Studenten der Branche treu bleiben, sind dann nicht viele schnell frustriert? Im Studium entwirft man Showcars, und in der Realität Rückspiegel für ein Facelift.
Das kommt sicher vor. Wobei ich von dem Frust meist erst höre, wenn der Betreffende die Rückspiegel-Phase längst hinter sich gelassen hat. Wobei es auch nicht für jeden Frust sein muss, Rückspiegel zu designen. Denn es gilt ja, nach dem Studium erst einmal in der Praxis Fuß zu fassen. Die meisten gehen mit der grundsätzlichen Einstellung in die Industrie, dass sie erst einmal zeigen müssen, was sie können.
Was sind denn klassische Aufgaben, die ein ehemaliger Student überantwortet bekommt?
Generalisieren kann man das nicht. Es gibt Abteilungen, die nur After-Sales-Marketing machen, da werden dann Felgen und andere Anbauteile entworfen. Es gibt aber auch Studenten, die sofort in eine Advanced-Design-Abteilung gehen und sich nur mit Zukunftsprojekten beschäftigen. Normal ist auch, dass man Vorschläge für neue Produkte zeichnet, einen Kühlergrill zum Beispiel, und dann gemeinsam mit dem Modelleur zusammenarbeitet und überwacht, dass der Entwurf richtig umgesetzt wird. Die Bandbreite ist enorm. Und meistens ist es ja auch so, dass ein Designer in der Industrie nicht nur ein Projekt betreut, sondern bis zu sieben oder acht gleichzeitig. Da ist die Wahrscheinlichkeit, dass das alles gleich ist, sehr gering.
Wo arbeiten denn ehemalige Studenten von Ihnen heute?
Das klingt jetzt ein bisschen eingebildet, aber aufzuzählen in welchen Autounternehmen die nicht sind, würde mir jetzt leichter fallen. Unsere Studenten sind bei fast allen Herstellern tätig. Unser Studiengang ist ja noch relativ jung, die Absolventen kommen jetzt in die Führungsebenen hinein. Derzeit gibt es drei Chefdesigner, die bei uns studiert haben: Thomas Ingenlath von Volvo, Michael Mauer von Porsche und Marc Lichte von Audi. Oder Kai Lange zum Beispiel, der ist Leiter Advanced Design BMW.
Können Experten eine gewisse "Fügener-Handschrift" bei Ihren Studenten erkennen?
Das hoffe ich nicht! Wir wollen unsere Studenten ja darin unterstützen, dass sie ihre eigene Handschrift entwickeln. Wenn sie dabei einfach etwas von uns übernehmen, von ihren Dozenten, dann wäre das nicht im Sinne der Ausbildung.
Was muss man denn mitbringen, um bei Ihnen aufgenommen und später ein guter Automobildesigner zu werden?
Unsere Studenten müssen, das ist sehr simpel, das Zeichnen als Denkmittel und als Kommunikationsmittel beherrschen. Das heißt, wir müssen diese gemeinsame Sprache des Zeichens miteinander sprechen können. Auch ein gutes Maß an Kreativität ist Grundvoraussetzung. Eine positive Affinität zum Fahrzeug sollte auch vorhanden sein. Wir versuchen in unseren Aufnahmeprüfungen all die auszusortieren, die nur studieren wollen, weil es halt irgendwie gerade Mode ist.
Haben Ihre Studenten in der Regel schon irgendeine kreative oder gestalterische Vorausbildung gemacht?
Ja, das kommt oft vor. Viele haben zum Beispiel Zeichen-Kurse oder Ähnliches belegt vorher. Wobei ich gar nicht weiß, ob ich das wirklich empfehlen soll, das hängt immer auch von den jeweiligen Kursen ab. Ich halte mich da bewusst heraus, weil mit solchen Angeboten eben auch viel Geld verdient wird. Viele Studierenden haben auch schon ganz andere Erfahrungen gemacht. Wir hatten einen Studenten, der war vorher Croupier. Ob ihm das etwas für sein Studium geholfen hat? Ich weiß es nicht. In Sachen Menschenkenntnis hatte er jedenfalls die Nase vorn.