Ob Daimler, BMW oder Conti. Alle großen Unternehmen der deutschen Autoindustrie haben im zweiten Quartal wegen der Corona-Krise Federn lassen müssen und Verluste geschrieben. Conti-Chef Elmar Degenhart spricht von der schlimmsten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Auch Branchengrößen wie Daimler oder BMW müssen ihre Sparbemühungen weiter verschärfen. Einziger Hoffnungsschimmer ist China, wo die Verkäufe zum Teil das Vorjahresniveau bereits wieder übertroffen haben. Es ist eine Demonstration der Stärke, die Chinas Position als Machtzentrum der weltweiten Autoindustrie auf eine neue Stufe heben wird. Dafür gibt es fünf wichtige Gründe:
Demonstration der Stärke
Lange Zeit wurde von der Triade USA, Europa und China gesprochen, als wären die Märkte gleichberechtigt. Doch die Abhängigkeit von China ist längst viel größer als es die nackten Absatzzahlen vermuten lassen. "Bis zu 70 Prozent der Gewinne der großen deutschen Hersteller kommen inzwischen aus China", sagt Wilko Stark, Senior Adviser bei der Strategieberatung Bain & Company, und früherer Mercedes-Einkaufschef.
Diese Zahl dürfte sich 2020 noch erhöhen, da China deutlich schneller als etwa Europa oder die USA die Folgen der Corona-Krise überwunden hat. "Das Land hat sich durch strikte Maßnahmen und Konjunkturprogramme schneller erholt als andere. Corona wird die Trends, die vorher schon da waren, nochmals verstärken", ist Stark überzeugt.
Vor wenigen Tagen stellte Oliver Zipse den BMW iX3 vor. Mit dem rein elektrischen SUV will der Premiumhersteller aus der vom i3 besetzten Nische heraus und den Durchbruch als Elektroauto-Bauer schaffen. Was Zipse in seiner virtuellen Präsentation unerwähnt ließ: Mit dem iX3 wird ein BMW erstmals ausschließlich in China für den Weltmarkt produziert. Bisher war dies ein Tabu, vor allem für die Premiumhersteller. "Das wird Schule machen, da sich nach Corona die Produktionsmöglichkeiten und -notwendigkeiten verschieben werden", sagt Andreas Horberg, Vertriebschef der Produktionsberatung Ingenics.
Während viele deutsche Hersteller ihre Fertigungen in China ausbauen, werden in Europa Kapazitäten frei. So hat Daimler bereits den Verkauf seines französischen Werks in Hambach angekündigt. Stattdessen soll der dort geplante elektrische EQB nach Informationen der Automobilwoche in Peking für den Weltmarkt produziert werden. Auch der Standort Deutschland verliert an Bedeutung. "Audi beispielsweise wird seine chinesischen Produktionskapazitäten zum Nachteil der deutschen Standorte erhöhen, da sie jetzt schon um ausreichende Auslastung kämpfen müssen", ist Horberg überzeugt. Unterschiede in der Qualität sind trotz deutlich geringerer Kosten längst nicht mehr festzustellen. Die Prozesse in den Fabriken gleichen sich weltweit.
So lange der Verbrennungsmotor in China der Hauptantrieb war, hatten deutsche Zulieferer nichts zu befürchten. Den Rückstand bei dieser Technologie hat China bis heute nicht aufgeholt. Doch mit der Elektromobilität und Themen wie Vernetzung und automatisiertes Fahren verändert sich auch die Landschaft der Zulieferer. Am Auffälligsten zeigt sich dies bei den Batteriezellen, die das Herz eines Elektroautos sind. Die Industriepolitik einer strikten Bevorzugung der eigenen Unternehmen auch bei den Joint Ventures mit ausländischen Herstellern hat Unternehmen wie CATL oder Farasis zu weltweit bedeutenden Spielern gemacht.
"Dazu hat sich China vor allem bei der Batteriezelle ganze Lieferketten bis hin zu den Rohstoffen in Afrika gesichert", sagt Bain-Berater Stark. Natürlich würden deutsche Zulieferer in der Volksrepublik noch gute Geschäfte machen. "Aber gerade bei den Zukunftsfeldern Elektromobilität, Connectivity oder autonomes Fahren sind chinesische Unternehmen meist schon weiter und versuchen nun, sich einen globalen Markt zu erschließen." Weil viele deutsche Zulieferer im nächsten Halbjahr unter Druck gerieten, könne dies eine Chance für chinesische Unternehmen sein, sich verstärkt in Europa einzukaufen.
Verlängerte Werkbank – das war einmal. Längst haben alle deutschen Hersteller wesentliche Entwicklungstätigkeiten in China angesiedelt. Daimler etwa will im zweiten Halbjahr sein neues Forschungszentrum in Peking eröffnen. Ziel ist die beschleunigte Einführung von lokalisierten Modellen inklusive Elektrofahrzeugen. Auch das Infotainment spielt eine zentrale Rolle für die chinesischen Kunden. Inzwischen arbeiten rund 1000 der 21.000 Konzernbeschäftigten in China in der Entwicklung.
Der Volkswagen-Konzern hat im vergangenen Jahr eine neue Zentrale in Peking mit über 2000 Mitarbeitern eröffnet. In dem modernen High-Tech-Bau mit dem Namen "V-Space" sollen interdisziplinäre Teams die Innovationen von morgen austüfteln. "Die Zukunft von Volkswagen wird sich auf dem chinesischen Markt entscheiden", sagte Konzernchef Herbert Diess bei der Eröffnung. China sei das neue Kraftzentrum der Automobilindustrie. "Eine lokale Forschung ist schon deshalb notwendig, weil alle Themen der Connectivity von Tech-Firmen wie Tencent, Alibaba oder Baidu beherrscht werden", sagt Stark.
China hat nicht nur die Folgen der Corona-Krise schneller überwunden als andere Länder. Auch bei neuen Technologien drückt das Land aufs Tempo. Während in Deutschland meist die negativen Aspekte von Mobilität lang und breit diskutiert werden, konzentrieren sich die Menschen dort auf die Vorteile. "Die junge chinesische Generation ist aufgeschlossen gegenüber technischen Neuerungen, offen für Elektro-Mobilität", sagt Cheng Jing, Senior Digital Manager der Volkswagen Group China. Ihr Leben steuern sie begeistert mit Apps und digitalen Services, die ihnen den Alltag erleichtern.
Jörg Hofmann, Ex-Audi-Manager und Chef der Geely-Tochter LEVC, die für die Elektrifizierung der berühmten englischen Taxis bekannt ist, kennt beide Welten aus eigener Anschauung. Im Webcast der Automobilwoche zu chinesischen Start-ups sendet er eine eindrückliche Warnung an die Manager in der deutschen Autoindustrie. "Wir müssen hier in Europa schon genau aufpassen, dass wir nicht links und rechts überholt werden, wenn ich mir die Dynamik in China anschaue."
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