Das Ende der Langeweile

Walkman war gestern, Gaming und Kino im Auto ist morgen. Denn wenn wir alle irgendwann in autonomen Autos unterwegs sind, haben wir Zeit. Zeit, um einen Berg an Mails zu bearbeiten, aber auch Zeit für Unterhaltung und viel Spaß. Audi hat es sich deshalb zur Aufgabe gemacht, den Innenraum seiner Fahrzeuge zum Gaming- und Kinosaal umzurüsten. Nicht über Tablets oder mickrige Smartphones sollen Passagiere unterhalten werden – Audi will Entertainment für alle Sinne schaffen.

So ist in Audis Ideenschmiede "Audi Electronic Ventures" Holoride entstanden, ein Start-up, das ausgegründet wurde, an dem Audi aber weiterhin eine Minderheitsbeteiligung hält. Die Firma entwickelt Spiele und Unterhaltung für den Einsatz im Auto. "Wir wollen jedes Fahrzeug zum mobilen Vergnügungspark machen", sagt Nils Wollny, Gründer und Chef von Holoride, der vorher bei Audi für die Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle zuständig war.

Wollnys Firma greift auf Virtual-Reality-Brille und Joystick zurück. Dabei wird die VR-Brille mit dem Auto verbunden. Mithilfe von Algorithmen wird die virtuelle Welt mit dem Fahrverhalten des Autos synchronisiert, ohne dass beim Passagier Übelkeit auftritt. Denn durch die Vernetzung mit dem Auto nimmt die Holoride-Technik Sensor- und Navigationsdaten des Fahrzeugs auf, wertet sie in Echtzeit aus und bindet sie in dievirtuelle VR-Welt ein. Fährt das Auto also eine Linkskurve, fliegt das Raumschiff in der virtuellen Welt nach links. Beschleunigt der Fahrer in der Realität, beschleunigt auch das Raumschiff.

Die Idee, in Echtzeit Daten des Autos zu verwenden und daraus weiterführende Informationen zu generieren, kommt ursprünglich aus dem vernetzten und autonomen Fahren. Hier werden Sensordaten zur Position, zur Geschwindigkeit, Lenkung, Beschleunigung oder zu Bremsvorgängen in Echtzeit genutzt, um das Fahren so sicher wie möglich zu machen und Unfälle zu vermeiden. Holoride nutzt die Daten, um die Unterhaltung ebenfalls in Echtzeit den Fahrgegebenheiten anzupassen. "Damit schaffen wir nicht nur eine perfekt bewegungssynchronisierte Reise durch virtuelle Welten, sondern schaffen auch etwas radikal Neues, das die Passagiere auf noch nie gekannte Weise unterhält", sagt Wollny.

Erstmals öffentlich vorgestellt wurde das Holoride-Konzept auf der Consumer Electronics Show 2019 in Las Vegas. Dafür hat sich Holoride Disney an Bord geholt und die fünfminütige Demo "Marvel's Avengers: Rocket's Rescue Run" entwickelt. Als Passagier auf dem Rücksitz fliegt man während der Fahrt im Raumschiff durchs All und kann mit dem Joystick Asteroiden abschießen. Über Kopfbewegungen wird das Fadenkreuz gesteuert. Auf die Bewegungen des Raumschiffs allerdings hat man keinen Einfluss, die bestimmt schließlich das Auto.

Holoride will sich auch mit einer neuen Erzählweise einen Namen machen. Durch die Vernetzung der Software mit den Navigations- und Positionsdaten des Autos sollen die Inhalte nicht nur an die Reisestrecke, sondern auch an die Reisezeit angepasst werden. Die Inhalte der Spiele werden flexibel auf die Dauer der Reise zugeschnitten. Wollny: "Deshalb nennen wir diese neue Kategorie ‚Elastic Content‘. Es ist das Ende der linearen Unterhaltung, wie wir sie kennen." Die erste vollständig integrierte Holoride-Lösung in Serienfahrzeugen soll es bereits 2021 geben. Ob Audi aber die erste Marke ist, mit der Passagiere in virtuelle Holoride-Welten abtauchen können, ist derzeit noch offen. Die Ausgründung entwickelt die Technik nicht exklusiv für die Ingolstädter, sondern stellt sie auch anderen Herstellern zur Verfügung.

Audi will seine Kunden aber nicht nur in virtuelle Parallelwelten schicken. Der Hersteller entwickelt derzeit auch ein Konzept, um den Innenraum in einen Kinosaal zu verwandeln. Das sogenannte "Immersive In-Car-Entertainment" soll es möglich machen, dass Passagiere im Fahrzeug von Netflix-Serien bis zu Hollywood-Blockbustern die Streifen nicht nur anschauen, sondern mit fünf Sinnen erleben: 5-D-Kino also. Dazu wird ähnlich wie bei der Holoride-Technologie auch das High-End-Unterhaltungssystem mit dem Auto vernetzt, damit passend zu den unterschiedlichen Szenen über das Fahrwerk und den Innenraum – etwa durch das Freisetzen von Düften – Effekte generiert werden können.

Bei dem Konzept sind den Entwicklern keine Grenzen gesetzt. Wenn in einem Blockbuster etwas explodiert, erleben die Insassen die Explosionsgewalt aktiv mit, da sie über das Fahrwerk ins Auto übertragen wird: Das Auto hebt sich, nickt, wankt oder vibriert synchron zum Geschehen im Film. Außerdem unterstützten Sitzvibrationen, die mit kleinen Unwuchtmotoren erzeugt werden, Innenlicht und Belüftung die Szenen. Auch der Ton wird speziell aufbereitet und über ein eigens für das 5-D-Kino entwickeltes Soundsystem abgespielt. Das Demo-Fahrzeug, ein Audi A8 L, mit dem Audi das 5-D-Kino auf der CES inLas Vegas gezeigt hat, wurde dafür mit 23 Lautsprechern ausgestattet.

Wann Audi ein solches Unterhaltungspaket für die Serie anbietet, ist offen. Mitte des nächsten Jahrzehnts, heißt es aus Ingolstadt, könne man sich das Kino als Zusatzpaket vorstellen. Die Realisierung der Technologie hängt dabei aber nicht ausschließlich von Audi ab: Ein Auto, in dem alle Insassen für zwei bis drei Stunden einen Kinofilm schauen, muss Stand heute entweder in der Garage oder im Stau stehen – oder autonom fahren. Doch gesetzliche Rahmenbedingungen für selbstfahrende Autos sind noch nirgendwo klar definiert. Zudem ist ein solches digitales Unterhaltungspaket, das auf Streaming-Daten zugreifen muss, abhängig von Netzabdeckung und Datentarifen. Da die Datenmengen sehr groß sein werden, ist dafür ein 5G-Netz unerlässlich. Denkbar ist auch, dass die Technologie bei Videospielen zum Einsatz kommt. Damit wäre in einem Auto auf der Fahrt ein realitätsnahes Fahrzeugrennen möglich, wie man es heute nur aus Simulatoren kennt.

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Dieser Text stammt auf der "Edition Audi - Aufbruch in ein neues Zeitalter" Hier können Sie das Heft im Shop der Automobilwoche bestellen >> ZUM SHOP