Herr Wissmann, Abgasskandale, Kartellvorwürfe – können Sie sich eigentlich auf die IAA freuen?
Natürlich freue ich mich auf die IAA – gerade weil wir uns in stürmischen Zeiten befinden. Besonders wichtig ist, dass die IAA überzeugende Zukunftswege aufzeigt. Auf der IAA wird für alle sichtbar, mit welchen Strategien und Ideen wir aus den Stürmen herausfahren. Im Mittelpunkt dieser weltweit wichtigsten Leitmesse der Mobilität steht die Digitalisierung. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Elektromobilität. Wir haben kürzlich eine Ifo-Studie vorgestellt, die besagt, dass die deutsche Autoindustrie die entscheidenden Zukunftstrends offensiv vorantreibt und keineswegs verschlafen hat, wie manche Gegner behaupten.Auch nicht in der Elektromobilität?
Vor sieben, acht Jahren hätte sich die Frage gestellt. Heute nicht mehr: Wir sind einer der drei weltweiten Leitanbieter. Unsere Unternehmen haben 30 E-Modelle im Markt, im Jahr 2020 werden es über 100 sein. Laut Ifo sind wir Spitzenreiter bei Antriebspatenten, auch in der Elektromobilität. Und bis 2020 investieren wir 40 Milliarden Euro in alternative Antriebe. In Westeuropa haben wir unseren Marktanteil bei Elektroautos auf 49 Prozent gesteigert, in Norwegen sogar auf 57 Prozent. Wenn die deutsche Autoindustrie dieses Innovationstempo beibehält, ist sie im Jahr 2025 der weltweite Leitanbieter, prognostiziert McKinsey. Unsere Stärke ist unbestritten da.Die deutsche Industrie hat ja kein Produkt- oder Technologieproblem. Sie hat ein Skandalproblem.
Ich bin weit davon entfernt, schwere Fehler schönzureden. Wir haben auch Vertrauen im politischen Raum verloren. Allerdings gibt es in Deutschland zum Teil auch eine öko-fundamentalistisch geprägte Wahrnehmung, die gern die Apokalypse ausruft. Wir müssen aufpassen, dass wir mit dieser deutschen Neigung nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Wenn schnell mal der Untergang einer ganzen Industrie vorausgesagt wird, dann ist das gefährlich.Was wussten Sie von möglichen Kartellen?
Von Kartellrechtsverstößen in diesen Kreisen weiß ich nichts. Auch von den Selbstanzeigen nicht. Es liegt in der Natur einer Selbstanzeige, dass keiner etwas davon wissen darf. Selbstanzeigen können auch vorsorglich stattfinden.Der handfesteste Vorwurf einer Kartellabsprache ist die Harnstoffthematik.
Beim Harnstoff gibt es Bereiche, in denen eine Unterhaltung sinnvoll und notwendig ist. Nur ein Beispiel: Wir im VDA haben bereits vor Jahren mit der Mineralölwirtschaft über eine flächendeckende Versorgung mit AdBlue gesprochen. Die Ölfirmen waren anfangs zögerlich, denn es gab noch kaum Autos, die die SCR-Technologie einsetzten. Aber wir wussten, dass der Bedarf mit der Euro-6-Norm stark steigen wird. Heute zieht die Mineralölindustrie mit, AdBlue ist an den Tankstellen verfügbar. Wie passt denn dieses Angebot zu dem in den Medien erhobenen Vorwurf?Wie schätzen Sie die Auswirkungen des Kartellskandals auf den Autoabsatz ein?
Aktuell sehe ich da keine Auswirkungen auf den Markt. Relevant hingegen ist der Rückgang der Diesel-Neuzulassungszahlen. In den ersten sieben Monaten ging der Diesel-Pkw-Absatz im Inland um 9,5 Prozent zurück. Das muss man ernst nehmen. Die Zahlen gingen aber erst richtig nach unten, nachdem die Fahrverbotsdiskussion begonnen hatte. Wir brauchen also schnell Lösungen, vor allem braucht der Kunde wieder Planungssicherheit. Deshalb begrüßen wir die Ergebnisse des Diesel-Gipfels. Die Maßnahmen können innerhalb eines überschaubaren Zeitraums zu einer deutlichen Verringerung der Stickoxidemissionen im Straßenverkehr führen. Wir rechnen hier mit einer Reduktion von zwölf bis 14 Prozent bis Anfang 2019. Die Umstiegsprämien für die Besitzer älterer Diesel von Euro 1 bis Euro 4 werden ihre Wirkung entfalten, das führt zu einer beschleunigten Erneuerung des Bestands. Und das Software-Update von Euro-5- und Euro-6-Diesel stellt einen großen Hebel dar.