Bringt Level 3 weniger oder mehr Unfälle?

Eigentlich sollen autonome Fahrzeuge Verkehrsunfälle verhindern. Doch es werden Stimmen lauter, die warnen, dass die bald zu erwartenden Level-3-Fahrzeuge nicht für mehr Sicherheit sorgen werden, sondern sogar zur mehr Unfällen führen könnten. Einige Automobilhersteller wollen deshalb auf Level-3-Fahrzeuge verzichten, und direkt zu Level 4 springen.

„Volvo betrachtet den Level-3-Modus als unsicher und wird diese Stufe des autonomen Fahrens überspringen“, macht Volvo-Chef Hĺkan Samuelsson klar. Ford hat ebenfalls sehr große Zweifel an Sicherheit und Handhabbarkeit der bei Level 3 nötigen Interaktion von Mensch und Auto – und hat ebenfalls angekündigt, diese Stufe zu überspringen und 2021 direkt Level-4-Fahrzeuge auf den Markt zu bringen. Beispielsweise Audi, BMW und Mercedes dagegen halten an ihren Level-3-Plänen fest.

Worum geht es? Aktuell verfügbare Fahrzeuge, etwa von Tesla, beherrschen maximal Level 2: Das beinhaltet beispielsweise Spurhaltefunktionen oder Abstandsassistenten, die dem Fahrer die Quer- und Längssteuerung zeitweise abnehmen – aber ihn keine Sekunde aus der Verantwortung entlassen. Level 3 bedeutet, dass die Automatik – zunächst wohl auf Autobahnen – die Fahraufgabe komplett übernimmt und der Fahrer sich „vom Verkehrsgeschehen und von der Fahrzeugsteuerung abwenden“ darf, wie die gerade verabschiedete Änderung des Straßenverkehrsgesetzes festlegt. Aber er muss laut Gesetz, dass sehr bald in Kraft tritt, auch „derart wahrnehmungsbereit bleiben“, dass er die Fahrzeugsteuerung „unverzüglich“ wieder übernehmen kann, „wenn das hoch- oder vollautomatisierte System ihn dazu auffordert oder wenn er erkennt oder auf Grund offensichtlicher Umstände erkennen muss“, dass das System überfordert ist.

Und an dieser Stelle wird es mindestens schwierig, je nach Einschätzung auch gefährlich. Weil nämlich der Mensch ins Spiel kommt. Selbst wenn der sich eine halbe Stunde oder eine Stunde in ein Videospiel oder ein Hörbuch vertieft hat und mit seinen Gedanken überall ist, nur nicht auf der Straße, muss er „unverzüglich“ wieder ans Steuer und eine Situation meistern, die zumindest so schwierig ist, dass die Fahrautomatik sich überfordert fühlt.

Wie schnell muss er wieder voll im Bilde und der Verantwortung sein? Der Gesetzgeber hat sich hier aus der Affäre gezogen, indem er vorschreibt, die Automatik müsse dem Fahrer eine „ausreichende Zeitreserve“ geben, bevor sie sich ausschaltet. Darüber, was ausreichend ist, gehen die Meinungen auseinander. Klar ist, dass die Aufgabe schwierig wird. Immerhin muss diese Übergabe mit einem 20- wie mit einem 90-jährigen Fahrer funktionieren, mit einem der gerade absolut fit ist wie mit einem der müde ist oder eine kräftige Erkältung hat oder schwerhörig ist.

Oft werden sechs bis zehn Sekunden als ausreichende Zeit genannt. Viele testen das. Bei BMW sind die Probanden schnell. „Durchgängig zwei bis drei Sekunden“ betrage die „Rückholzeit“ in den Versuchen, erläutert ein BWM-Sprecher der Automobilwoche und betont „wir wollen Level 3 auf jeden Fall anbieten“. Konkret soll das zuerst mit dem iNext im Jahr 2021 und dann mit weiteren Modellen geschehen. Audi prescht hier vor, allerdings nur mit Vorsicht: „Im neuen Audi A8 werden Kunden erstmals eine Level-3-automatisierte Fahrfunktion in Stausituationen bis 60 km/h einsetzen können“, kündigen die Ingolstädter an. Bei Audi sieht man allerdings auch „Tendenzen, die Automatisierungsgrade zu verringern, speziell die Level 3 und 4 in einer Kategorie 'teil-autonom' zusammenzufassen“.

Bei Ford sind die Testingenieure offenbar weniger fix beziehungsweise sie dösen ein, wenn sie während des automatischen Fahrens lange inaktiv sind. Selbst wenn man sie mit Lichtreizen, Tönen oder vibrierenden Sitzen traktierte, kämpften die Ingenieure stets gegen den Verlust der „situational awareness“, zitiert die US-Nachrichtenagentur Bloomberg den Chef der Produktentwicklung von Ford, Raj Nair.

„Situation Awareness“ übersetzt Guido Meier-Arendt mit „Antizipationsleistung“. Der Psychologe sieht es ähnlich wie Nair und erläutert: „Wenn man länger automatisiert fährt, erlebt man Einbrüche in der in der Antizipationsleistung.“ Meier-Arendt kennt die Thematik aus allen Perspektiven. Denn er beschäftigt sich als Principal Technical Expert Human Machine Interface beim Zulieferer Continental mit den sogenannten „Out-of-the-Loop Issues“. Sprich: Wie holt man den Fahrer zurück in die Fahraufgabe, wenn er gedanklich gerade an einem völlig anderen Ort ist?

Wenn der Fahrer einfach nur so dasitzt, während das Auto selbst fährt, „wird man ein bisschen dösig“, bewege sich ein bisschen in Richtung Schläfrigkeit. Die Folge: Der Fahrer hat „nicht mehr die psycho-physiologischen Grundlagen haben, um Informationen von außen schnell zu verarbeiten“, erläutert Meier-Arendt. Beschäftigt man sich hingegen mit einer anderen Aufgabe, ist man möglicherweise völlig abgetaucht in die Welt der Nebenaufgabe, mit der man sich befasst.

„Es gibt Anhaltspunkte für die Annahme, dass Level 3 mit einer Zunahme der Verkehrsunfälle einhergehen könnte.“ Mit dieser Aussage aus einem Hearing vor dem US-Kongress zitiert Bloomberg Nidhi Kalra, den Ko-Director des Rand Center for Decision Making Under Uncertainty. Die Erkenntnisse seien zwar nicht so klar, dass ein Verbot von Level 3 anzuraten sein, aber sie gäben Anlass für Sicherheitsbedenken.

Wirklich lösen lässt sich das Problem auch nicht, indem man dem Fahrer deutlich mehr als zehn Sekunden Zeit gibt, um „zurückzukehren“. Denn für die Sensorik und Auswertungssoftware ist es eine enorme Herausforderung so weit vorauszuschauen und zu erkennen, dass in zehn Sekunden eine Situation vorliegen wird, der das System nicht mehr gewachsen ist – und dann diese über diese zehn Sekunden noch weiter autonom und sicher zu fahren. Bei 130 km/h legt ein Fahrzeug in zehn Sekunden immerhin 360 Meter zurück. Gäbe man dem Fahrer 30 Sekunden Zeit, müsste das Automobil noch fast 1100 Meter autonom weiterfahren. Da scheint der Sprung zu Level-4-Fahrzeugen nicht mehr riesig, die auf bestimmten Strecken den Fahrer nicht mehr als Rückfallebene benötigen.

Zulieferer wie Continental stecken angesichts der komplexen Lage mutmaßlich in einer Zwickmühle. Einerseits setzt Continental alles daran, Systeme zu entwickeln, die jeden Fahrer in jeder Situation rechtzeitig wieder in die Fahraufgabe zurückholen. Denn sicher werden einige Automobilhersteller solche Systeme haben wollen. Aber „aus systemergonomischer Sicht wäre es am besten, Level 3 zu überspringen“, gibt Guido Meier-Arendt unumwunden zu.

Neben der Frage, wie sicher Mensch und Maschine in Level-3-Fahrzeugen zusammenarbeiten können, muss sich auch noch zeigen, ob die Kunden bereit sind, deutliche Aufpreise für die überschaubaren Vorteile der Level-3-Technologie zu zahlen.

Bei Daimler ist man da zuversichtlich. „Die Qualität des Zusatznutzens jetzt schon zu bewerten wäre verfrüht. Es gibt einige Anwendungsfälle für Level 3 Szenarien, die über die bisher in den Medien diskutierten hinausgehen“, erläuterte ein Unternehmenssprecher der Automobilwoche und gibt sich geheimnisvoll. Welche das seien wolle man „noch nicht verraten. Allerdings dürfte hier der Komfort sehr zentral im Mittelpunkt stehen; ein Mehrwert, den Mercedes Kunden bisher sehr hoch schätzen“, betont der Daimler-Sprecher.

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