Leinfelden-Echterdingen. Nein, von einem Sparprogramm will Daimler-Lkw-Chef Wolfgang Bernhard nicht reden. "Programme hatten wir früher, es geht um einen kontinuierlichen Prozess", sagte er beim Investorentag in Leinfelden-Echterdingen bei Stuttgart. Doch die Maßnahmen, die er zuvor angekündigt hatte, um die Sparte fit zu machen für die Zukunft, sind mehr als nur kleine Anpassungen. Um den in diesem Jahr schwächelnden Absatz von aktuell gut 500.000 Lkw auf geplante 700.000 im Jahr 2020 steigern zu können und die Ziel-Marge von acht Prozent für das Lkw-Geschäft zu erreichen, geht es ans Eingemachte. Eine heikle Mission.
Bernhards heikle Mission
Alles soll einfacher und schlanker werden. Das betrifft auch die Modellpalette. So werden ältere Generationen des Atron, Atego, Axor oder Actros Classic, die für einzelne Märkte wie etwa Brasilien hergestellt werden, aus dem Programm genommen und durch aktuelle Modelle ersetzt. Davon verspricht sich Bernhard eine Verschlankung der Produktion. "Das schafft Platz, außerdem wird die Logistik und Lagerhaltung einfacher", so Bernhard. Insgesamt soll die Zahl der angebotenen Varianten um gut ein Drittel sinken. Außerdem sollen die moderneren Fahrzeuge den Absatz in diesen Ländern ankurbeln.
Weiter vorangetrieben wird auch die Plattformstrategie. Neben den markenübergreifenden Motoren und Getrieben sollen bis Ende des Jahrzehnts auch Fahrwerk und Elektronik vereinheitlicht werden. Bernhard präsentierte ein Telematik-Modul, das in Zukunft weltweit in allen Lkw eingebaut wird. "Damit können wir Entwicklungen sehr schnell überall auf der Welt umsetzen", sagte er. Angeglichen werden soll auch die Architektur der Fahrerkabinen für alle Marken, um die Effizienz in der Produktion zu steigern. Trotzdem sollen die Fahrzeuge auf die Bedürfnisse der jeweiligen Märkte zugeschnitten werden können.
Mit dem Ausbau der Gleichteilestrategie sollen auch die Materialkosten sinken. "Bei Stückzahlen jenseits der 100.000 sind wir gegenüber Zulieferern in einer anderen Position", sagte Bernhard. Der Ausbau des globalen Produktionsnetzwerks mit Wörth als Kompetenzzentrum soll die Fertigung zudem flexibler machen. Zum Effizienzprogramm gehört zudem eine geringere Fertigungstiefe. Laut Bernhard kommt alles auf den Prüfstand: "Wir müssen uns fragen, welche strategischen Projekte auch wirklich benötigt werden."
Die Neuausrichtung bekommen auch die Beschäftigten zu spüren."Wenn wir wettbewerbsfähig bleiben wollen, müssen wir mit weniger Mitarbeitern mehr Fahrzeuge herstellen", sagte der Chef von Daimlers Lastwagengeschäft, Stefan Buchner. Ende 2015 arbeiteten rund 86.400 der 284.000 Konzernmitarbeiter in der Lkw-Sparte. Während der Konzern insgesamt viele Jobs schafft, gehen sie bei den Nutzfahrzeugen verloren. So hat Daimler im vergangenen Jahr in Brasilien 3200 Stellen gestrichen, über ein Abfindungsprogramm sollen bis Ende des Jahres noch einmal 2000 Mitarbeiter gehen. Dafür hatte der Konzern jüngst rund 100 Millionen Euro bereitgestellt und deshalb eine Gewinnwarnung herausgegeben.
In den USA werden in diesem Jahr 2500 Stellen wegfallen, die meisten davon am Standort Mount Holly, wo Fahrzeuge der Marke Freightliner hergestellt werden. Zwar sei man damit in den USA auf einem Minimalstand angelangt. Gleichwohl wollte Bernhard weitere Stellenstreichungen nicht ausschließen. Immerhin: An den deutschen Standorten soll die Beschäftigung in den kommenden Jahren stabil bleiben.
Um die Kosten weiter zu senken, sollen die Mitarbeiter immer mehr leisten. in den vergangenen Jahren sei die Produktivität pro Beschäftigtem um zehn Prozent gestiegen, so Buchner. Bis 2018 soll sie nochmals erhöht werden. Die Zahl der pro Lkw benötigten Arbeitsstunden soll durch die verschiedenen Maßnahmen in der Produktion bis Ende 2018 um ein Viertel sinken.
Um die in vielen Regionen erreichte Marktführerschaft auszubauen, will Daimler bei den Zukunftstechnologien Gas geben. So sieht man sich etwa beim automatisierten Fahren in der Pole Position. Mit dem Highway-Pilot testet Daimler derzeit bereits auf deutschen Autobahnen ein System, das auf Knopfdruck Tempo und Spur des Fahrzeugs selbstständig halten und anpassen kann. Daimler verspricht sich davon neben der Entlastung des Fahrers auch eine Senkung der Betriebskosten, da sich der Treibstoffverbrauch über die optimierte Fahrweise senken lässt. Noch sparsamer wird ein Lkw, wenn er sich über das so genannte Platooning mit anderen Fahrzeugen vernetzen und im Konvoi fahren kann.
Weiter vorantreiben will Daimler auch die Digitalisierung und Vernetzung der Lastwagen. Eine neues Telematik-Modul, das in allen Lkw zum Einsatz kommen soll, bildet dafür die Grundlage. Es kann Daten von sämtlichen im Fahrzeug verbauten Sensoren und auch von außerhalb empfangen. Das System ist offen für unterschiedlichste Anwendungen und kann etwa mit Verkehrsinformationsdiensten oder Logistikzentren kommunizieren. Die Hardware kann auch in Modelle eingebaut werden, die nicht von Daimler stammen und ermöglicht es Speditionen so, in der Flotte einheitliche Telematiksysteme zu betreiben.
Noch ist der Diesel bei den Nutzfahrzeugen alternativlos, doch dies könnte sich in Zukunft ändern. So testet Daimler derzeit in Stuttgart eine batteriebetriebene Flotte von Fuso-Lastwagen. Wann zumindest kleinere Lkw mit einem rein elektrischen Antrieb etwa im Lieferverkehr in den Städten an den Start gehen könnten, ließ Bernhard aber offen. Die Kosten eines solchen Fahrzeugs seien noch zu hoch. Dies könnte sich mit günstigeren Batterien in den nächsten Jahren ändern.
Das Ziel von Wolfgang Bernhard ist klar – und ziemlich ehrgeizig. Mit der Neuausrichtung will sich Daimler fit machen für die Zukunft und die Position als weltweit größter Lkw-Hersteller sichern. "Ich gehe nach wie vor aus, dass wir 2020 einen Absatz in der Größenordnung von 700.000 Fahrzeugen erreichen", sagte Bernhard. 2015 wurden weltweit 502.500 Einheiten verkauft.
Woher diese enorme Steigerung von über 50.000 Einheiten jährlich kommen soll, konnte Bernhard allerdings nicht so recht beantworten. 2016 wird der Absatz nach der jüngsten Daimler-Prognose nämlich "deutlich" zurückgehen, was in der Regel ein Minus von fünf bis zehn Prozent bedeutet. So hat sich der Absatz nicht nur in den USA, sondern auch in Brasilien oder Indonesien noch schwächer entwickelt als ohnehin schon erwartet. Einzig Europa mit plus zehn Prozent wird die bisherigen Erwartungen eines stabilen Absatzes deutlich übertreffen. Weltweit rechnet Bernhard mit Zahlen wie im Jahr 2012, als rund 460.000 Lkw verkauft wurden.
Großes Potenzial sieht er in China, wo teure Mercedes-Fahrzeuge momentan nicht wettbewerbsfähig sind. Dafür sollen Trucks der Marke Auman, die Daimler zusammen mit seinem Kooperationspartner Foton baut, in Zukunft stärker nachgefragt werden. Von einem neuen Modell erwartet sich Bernhard einen Absatzschub. Gerade die Nachfrage nach technologisch ausgereifteren Fahrzeugen des mittleren Preissegments (60.000 bis 80.000 Euro) werde in den nächsten zehn Jahren deutlich anziehen. Hoffnungen setzen die Nutzfahrzeug-Manager auch in den Iran, wo die Produktion nach den Sanktionen wieder anlaufen soll. Ob damit aber bereits das prognostizierte Wachstum erreicht werden kann, scheint angesichts der Unwägbarkeiten in den anderen Regionen der Welt mehr als fraglich. Bernhard aber bleibt optimistisch: "All dies zeigt, dass wir gut aufgestellt sind."