Las Vegas. Der norddeutsche Fahrzeugzulieferer Continental hat seinen Hauptsitz in Hannover. Dort spricht man noch besseres Hochdeutsch als in Hamburg, und die ehrbaren Kaufleute sind fast so hanseatisch. Auf dem Conti-Messestand bei der SEMA in der US-Glückspielmetropole Las Vegas allerdings ist von vornehmer Zurückhaltung keine Spur. Gediegene Atmosphäre wie sonst im Hause Conti, bei den Shows zu Genf, Detroit oder Frankfurt am Main? Fehlanzeige! Im Gegenteil: Hier, im wahrlich wilden Westen, sind die ausgestellten Kraftwagen überbreit bereift und tiefer gelegt wie Gullydeckel; das weibliche Standpersonal – höher gelegt auf samtschwarzen Stilettos – trägt gut gürtelbreite Röcke und wirft sich lasziv in Pose.
SEMA: Schrill. Extrem. Martialisch. Außergewöhnlich
Willkommen in Nevada, bei der legendären Fachmesse SEMA, was für "Specialty Equipment Market Association" steht. Fände sie auf deutschen Boden statt, die weltweit beachtete Leistungsschau der Brachialtuninggilde würde ihre vier Buchstaben wohl mit "S_chrill", und "E_xtrem" sowie "M_artialisch" und "A_ußergewöhnlich" deuten lassen. Denn was sonst als schrill ist etwa dieser vor allem im Interieur aufgemotzte Lamborghini Aventador im Lackton "Schlüpferblau", der auf dem SEMA-Freigelände parkt, begehrlich bestaunt von amerikanischen Öl-Magnaten und russischen Oligarchen? Beide Berufsstände jedenfalls folgert der Autor dieser Zeilen aus den Unterhaltungen am Flatterband vor der italienischen Flunder. Vielleicht waren die Gesprächspartner auch nur Möchtegern-Multimilliardäre, die am Abend zuvor das Duell gegen einarmige Banditen verloren haben.
Extrem ist der Hummer, der gegenüber in der Sonne glänzt. Seine Hinterräder sind bereift mit Walzen im Format 305/25 R 34 110 V XL. Gegen diese 34-Zoll-Riesenräder wirken selbst die gewiss weder kleinen noch schmalen Felgen am besagten Lambo wie Bürostuhlrollen. Es geht aber noch toller: Einer der SEMA-Aussteller hat seinen Jeep tatsächlich zum Schützenpanzer "veredelt" – auf dem Dach thront ein 50-er Maschinengewehr mit durabler Beschussplatte und seitlich montiertem Munitionskasten als "Großvorratspackung" für unerwartet ausgedehnte Scharmützel im Straßenverkehr. Ein Geländewagen der martialischen Sorte.
"Make love, not war", das war die Losung der Blumenkinder, die in ihren betagen Bullis nach Woodstock karriolten. Auf der SEMA werden heutzutage auch Hippies im vorgerückten Alter fündig – so zielt ein T-1-Sambabus mit Niederquerschnittsbereifung und Ultraflach-Fahrwerk auf den mobilen Methusalem mit Hang zur Exaltiertheit und Freude an chromblitzendem Zierrat. Außergewöhnlich, dieser betagte Bulli. Der Greis ist heiß. Fazit: Die SEMA ist nichts für Fans reiner Elektrofahrzeuge oder verbrauchsoptimierter Plug-in-Hybridautos. Hingegen kommen Freunde großvolumiger Verbrennungsmotoren, brettharter Fahrwerke und stupender Um- und Anbauteile hier voll auf ihre Kosten. Falls nicht – das nächste Kasino ist gleich um die Ecke.