Herr Ploss, die Politik diskutiert über die Zukunft des Diesels. Was bedeutet das für Infineon?
Weniger Diesel bedeutet für uns mehr Elektro.
Also gute Neuigkeiten?
Für unser Geschäft: ja. Der Bereich Automotive ist innerhalb des Konzerns einer der großen Wachstumsmotoren, und dazu gehört vor allem das assistierte und autonome sowie das elektrische Fahren. 80 bis 90 Prozent der Innovationen im Auto beruhen inzwischen auf Elektronik. Dabei spielen Chips immer eine zentrale Rolle.
Sie produzieren Leistungshalbleiter in Dresden und bauen gerade eine neue Fabrik in Villach in Österreich. Sind sie auf die steigende Nachfrage durch E-Mobilität und autonomes Fahren eingestellt?
Wir bereiten uns auf Wachstum vor. Das Wichtigste ist, dass es genug Reinräume gibt, denn die Anforderungen der Chipfertigung sind sehr hoch, sie benötigen eine längere Bauzeit – und kosten ein paar hundert Millionen Euro. Aktuell fertigen wir in Dresden und bauen ein weiteres Werk an unserem österreichischen Standort Villach, wo die Fertigung ab 2021 anlaufen soll. Das maximal denkbare Wachstum der Elektromobilität haben wir in unseren aktuellen Plänen allerdings noch nicht berücksichtigt. Wir beobachten die Entwicklung sehr genau.
Brüssel will den CO2-Ausstoß noch deutlich stärker drücken. Brächte die dadurch steigende Nachfrage nach Chips für E-Autos Infineon an seine Kapazitätsgrenzen?
Sollte man sich darauf einigen, dass die Autohersteller bis zum Jahr 2030 den CO2-Ausstoß ihrer Flotten nochmal um 40 Prozent senken müssen, wie es das EU Parlament fordert, dann langt es nicht, wenn wir mit zwei Füßen auf dem Gaspedal stehen. Dann müssen wir uns noch ein paar Füße leihen.
Das bedeutet konkret?
Die Automobilindustrie baut die vielen Elektroautos nicht über Nacht, sondern benötigt Vorlauf. Wenn wir sehen, dass die Nachfrage stärker wächst, werden wir mit den Herstellern reden. Zusätzliche Kapazitäten sind immer eine unternehmerische Aufgabe. Dafür brauchen wir im Gegenzug verbindliche Zusagen. Je nach Wachstumstempo werden wir in absehbarer Zeit eine Entscheidung treffen. Die Möglichkeiten haben wir jedenfalls. Wir könnten zum Beispiel unsere Produktion in Dresden erweitern. Zudem haben wir eine gute Infrastruktur in Kulim in Malaysia. Auch hier könnten wir weiter wachsen.
Wann steht die Entscheidung an?
Ich denke, in zwei oder drei Jahren lässt sich schon genauer abschätzen, wie sich der Markt entwickelt und wie die bestehende Fertigung ausgelastet sein wird. Bis dahin haben sich auch viele politische Randbedingungen konkretisiert. Und wir sehen, was der Wettbewerb macht. Dann können wir sagen: OK, wir brauchen noch mehr, wir müssen investieren.
Wollen Sie Kapazitäten zukaufen?
Nein. Was wir machen, kann so heute kein anderer. Unser Geschäftsmodell beruht auf Eigenfertigung, mit deren Know-how wir uns vom Wettbewerb unterscheiden. Wir haben vor vielen Jahren entschieden, uns so zu positionieren, und haben dementsprechend investiert. Die Erfahrung ist zwar: Wenn ein Markt sehr attraktiv ist, kommt meistens der eine oder andere Wettbewerber dazu. Aber unseren Vorsprung holt man nicht von einem Tag auf den anderen auf. Deshalb bin ich überzeugt, dass wir in diesem Umfeld weltweit eine gute Position haben, die wir auch durch Partnerschaften wie mit dem chinesischen Autohersteller SAIC bei der Modulfertigung stärken können.
Sie wollen größter Halbleiterlieferant für die Autoindustrie werden. Seit Jahren belegen Sie Platz zwei hinter NXP. Wann schubsen Sie die Niederländer vom Thron?
Wen wir wann schlagen, ist zweitrangig. Wesentlich ist für mich, dass wir schneller wachsen als der Markt. Und das tun wir konstant: In der Elektromobilität, beim assistierten und autonomen Fahren und auch bei alldem, was sonst so im Auto passiert. Im Rennen um die Spitze wird aus unserer Sicht die Elektromobilität den Unterschied machen. Hier können wir uns besonders differenzieren, während beim automatisierten Fahren auch eine ganze Reihe Wettbewerber gut unterwegs sind.
Über einen großen Zukauf könnten sie sich an die Nummer eins katapultieren.
Auch wir wachsen durch Akquisitionen – und wir schauen uns um. Allerdings sind Zukäufe durch die politischen Randbedingungen nicht leichter geworden. Früher haben wir gesagt, wir können nicht darüber reden, weil es zu teuer wird. Heute muss man sagen, wir können gar nicht darüber reden, solange wir uns nicht mit allen, die relevant sind, geeinigt haben.
Sie sprechen vom Handelskrieg zwischen China und den USA...
Alle haben verstanden, welche Technologien für die Zukunft entscheidend sind – und Halbleiter sind die Basis für die Digitalisierung vieler anderer Industrien. Sich hier richtig zu positionieren, ist eine strategische Aufgabe. China ist fest entschlossen, sich auf seine eigenen Füße zu stellen. Das macht es für uns nicht einfacher.
Infineon wird immer wieder als Übernahmekandidat gehandelt. Ihr Automotive-Portfolio ist für Chiphersteller wie Qualcomm oder Broadcom hochattraktiv, weil sie sich schnell einen neuen Markt erschließen könnten.
Ob die anderen das wirklich so sehen, ist sehr spekulativ. Dazu müsste ich Gedanken lesen können. Ich sage: Wenn ich mir unser Kurs-Gewinn-Verhältnis anschaue, stehen wir gut da und sind sehr gut bewertet. Im Übrigen liegt bei Akquisitionen oftmals der Fokus auf dem zentralen Gehirn für autonomes Fahren. In diesem Feld stecken wir nicht ganz so tief drin. Systemisch hingegen sind wir sehr relevant.
Sie liefern Chips, mit denen Fahrzeuge automatisiert und irgendwann autonom fahren können. Warum brauchen die Behörden so lange, um Level 3 zuzulassen?
Level 3 zu konzipieren und zu regulieren, ist hoch komplex. Es stellen sich zwei große Fragen: Wer ist verantwortlich, wenn der Fahrer die Steuerung an das Fahrzeug abgibt? Und wie wird sichergestellt, dass der Fahrer schnell wieder das Steuer übernimmt, wenn es die Situation erfordert? Hier gibt es noch große Rechtsunsicherheit. Klarer, aber technologisch nicht unbedingt einfacher, wird es bei Level 5. Denn beim gänzlich fahrerlosen Auto fällt die zweite Frage weg. Hier wird das Auto allerdings zu einem Technologieschlachtschiff. Das könnten sich, rein finanziell gesehen, die wenigsten Menschen heute leisten. Über die Zeit wird es aber gelingen, zu lernen und die Kosten zu reduzieren. Dann wird es auf für eine größere Breite interessant.
Wird es sich für die Hersteller lohnen, autonom fahrende Privatfahrzeuge zu bauen?
Es ist einfach eine Kostenfrage. Wenn Sie sagen, ich fahre ein autonom fahrendes Fahrzeug und zahle pro Kilometer 40 Cent, ist das schon eine Menge Geld. Würden Sie sich das leisten?
Welche Form des selbstfahrenden Autos ist für Infineon lukrativer?
Stand heute ist das assistierte Fahren für uns viel interessanter als das autonome Fahren. Alle Fahrerassistenten, die man beispielsweise mit Hilfe des Radars konzipieren kann, also Spurerkennung, Wechselschutz, Abstandswarner oder Stopp-and-Go-Fahren oder auch Parkassistenten, das schätzen die Autofahrer und dafür legen sie auch einen Euro mehr auf den Tisch. Das ist auch der Grund, weshalb sich Radar mit einer Geschwindigkeit durchgesetzt hat, die so keiner erwartet hat. Und wenn diese Technik aus der Mittelklasse in die Kompaktautos kommt, bedeutet das für uns Stückzahlen. Umfassende Staupiloten oder selbstfahrende Robotaxis werden hingegen erst noch entwickelt und sind deshalb für uns, was den Umsatz betrifft, noch sehr weit weg.
Warum hat die Halbleiterindustrie mittlerweile eine so wichtige Rolle in der Autoindustrie eingenommen?
Nehmen Sie noch einmal autonome Autos. Der Halbleiterwert für das vollautonome Fahren liegt bei 700 bis 1000 Euro pro Auto. Das zeigt, welch großen Anteil unsere Industrie an dieser Technologie hat. Und für uns ist das umgekehrt ein enormes Wachstumspotenzial. Verkauft man irgendwann Millionen solcher Autos, bedeutet das einen riesigen Markt. Und noch ein Grund, warum die Konzeption eines selbstfahrenden Autos für Halbleiterlieferanten äußerst spannend ist: Das Auto ist das komplexeste Teil im Internet der Dinge. Wer das technisch beherrscht, profitiert auch in anderen Bereichen, zum Beispiel bei der kollaborativen Robotik.
Infineon ist in der Auto-Welt ein alter Hase. Fühlen Sie sich durch neue Wettbewerber bedrängt?
Wer glaubt, dass er eine Pause machen kann, hat schon verloren. Wir überlegen stets, was morgen die Lösung des Problems sein wird. Dazu muss man natürlich wissen, was morgen das Problem ist. Das bedeutet, immer mit Start-ups und Forschungseinrichtungen Kontakt zu halten und zu wissen, welche Entwicklung sich im Moment wie stark bewegt. Risiken für Industrien bestehen immer dann, wenn Konvergenzpunkte entstehen, wenn sich zwei Technologien aneinander annähern und damit industrieverändernd sind. Waymo, Googles Schwesterfirma, die derzeit einen Shuttleservice aufbaut, ist ein gutes Beispiel. Beim autonomen Fahren verbindet sich das Auto mit künstlicher Intelligenz und allem, was dazugehört: Hardware, Daten, Algorithmen. Und ja, ich glaube, wir haben eine Zäsur vor uns. Wer die gewinnt, wird sich zeigen. Neue Player kommen von außen. Aber auch die deutschen OEMs sind gut unterwegs.
VERANSTALTUNGSHINWEIS:
Sie sind selbst im Bereich Elektrik/Elektronik tätig? Sie planen einen Besuch der Messe Electronica in München? Dann notieren Sie sich diesen Termin:
Automobilwoche Electronica Talk from the Top: Dienstag, 13. November um 15 Uhr. Wir diskutieren mit sechs Experten aus der Auto- und Halbleiterindustrie - darunter auchPeter Schiefer, Präsident der Division Automotive bei Infineon Technologies - 60 Minuten lang live über das Thema: "Halbleiter- oder Autoindustrie, wer treibt wen?"
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